Industrie Österreich : IV: Rezession zeichnet sich ab

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung Österreich

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung: "Die noch vorhandene Auftragsreichweite wird nicht ausreichen, um ein Durchtauchen der kommenden wirtschaftlichen Schwächephase zu ermöglichen."

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Das Konjunkturbarometer der Industriellenvereinigung, welches als (gewichteter) Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, weist einen seltenen – und herben – Vorzeichenwechsel auf. Von über 19 Punkten im Plus fällt der Wert auf nunmehr -2,0 Punkte. In retrospektiver Betrachtung indizierte ein solches Niveau des IV-Konjunkturbarometers stets eine bevorstehende Rezession in der österreichischen Industrie. 410 Unternehmen mit rund 294.000 Beschäftigten beteiligten sich an der Umfrage.

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Der neuerliche Rückgang sei sowohl auf die Teilkomponente der aktuellen Geschäftslage als auch auf die Einschätzung der Geschäftsaussichten zurückzuführen, heißt es aus der IV. Ersterer Saldo sinkt von 56 Punkten auf 42 Punkte, was wesentlich darauf zurückzuführen ist, dass sich der Anteil der Unternehmen mit einem schon derzeit dezidiert schlechten Geschäftsverlauf von 4% auf 11% nahezu verdreifacht. Noch drastischer fällt die Revision der Geschäftsaussichten mit einem Horizont von sechs Monaten aus. Dieser Indikator stürzt von -22 Punkten regelrecht ab und dringt mit -46 Punkten tief in negatives Terrain vor. Nur noch jedes zwanzigste Industrieunternehmen erwartet im kommenden Halbjahr einen günstigen Geschäftsverlauf, während bei einem Anteil von 51% jedes zweite Unternehmen mit einer zum Teil erheblichen Verschlechterung rechnet.

„Die österreichische Industrie steht vor einer Rezession im Winterhalbjahr 2022/23. Seit nunmehr bereits fünf Quartalen hintereinander flaut der jeweils aktuelle Geschäftsgang in der Industrie im Vergleich zum Vorquartal ab", so Christoph Neumayer, Generalsekretär der IV.

Der Grund liege ganz klar in mehreren Großkrisen, während sich der noch vorhandene Auftragsbestand aus den Vorperioden bis dato stabilisierend auswirke. Dieser sei nicht zuletzt eine positive Spätfolge der Investitionsprämie zur Dämpfung der COVID-Effekte. "Im Zuge einer Entspannung bei den Lieferkettenstörungen gehen die Auftragsbestände nunmehr allerdings beschleunigt zurück", erklärt Neumayer. "Die noch vorhandene Auftragsreichweite wird nicht ausreichen, um ein Durchtauchen der kommenden wirtschaftlichen Schwächephase zu ermöglichen."

Mit einem Saldo von +52 nach zuvor +62 Punkten liegen die Gesamtauftragsbestände in der Industrie nach wie vor auf einem auskömmlichen Niveau, allerdings setzt sich die zum Vorquartal zu verzeichnende, negative Trendumkehr fort. Zugleich verringert sich die Auftragsreichweite in einem beträchtlichen Tempo, was wiederum mit der Einschätzung düsterer Geschäftsaussichten korrespondiert. Insbesondere beginnt die Komponente der Auslandsaufträge, deren Saldo sich von +64 Punkten auf +49 Punkte verringert, trotz einer Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar im Ausmaß von 16% im Vorjahresvergleich rasch zu erodieren.

Deindustrialisierung und Einbußen in der Beschäftigung

In saisonbereinigter Analyse der kurzfristigen Produktionserwartungen dreht der Saldo von plus +14 Punkten auf nunmehr -6 Punkte, was die Aussichten einer rezessiven Entwicklung in der österreichischen Industrie in den kommenden Monaten unterstreicht.

Die höchste Einbuße unter allen Indikatoren verzeichnet derzeit die Einschätzung der Beschäftigungsaussichten, nachdem selbige sich infolge des Fachkräftemangels über geraume Zeit hinweg freundlich dargestellt hatten. Der zugehörige Saldo verringert sich zu diesem Termin von +24 Punkten um 26 Punkte auf -2 Punkte. Der auch hier zu verzeichnende Vorzeichenwechsel ist das Ergebnis von zwei parallel zueinander verlaufenden Prozessen. Einerseits bildet sich die Einstellungsneigung der Unternehmen trotz des Fachkräftemangels weiterhin sukzessiv zurück, aber immerhin beabsichtigt noch knapp jedes fünfte Unternehmen, seine Humankapitalbasis auszuweiten. Zugleich nimmt jedoch der Anteil jener Unternehmen, welche ihren Beschäftigtenstand nicht zu halten vermögen, auf Sicht der nächsten drei Monate sprunghaft von 4% auf 20% zu.

„Im besten Fall steht Österreich aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive damit eine Phase der stagnativen realwirtschaftlichen Entwicklung in Kombination mit einer seit 70 Jahren ungekannt hohen Geldentwertungsrate bevor", so IV-Chefökonom Christian Helmenstein zur Situation. "Dennoch handelt es sich nicht um eine „Stagflation“ im klassischen Sinne, welche konzeptionell ein Tandem aus einerseits inflationsinduziertem und andererseits beschäftigungsverlustbedingtem Kaufkraftschwund in Verbindung mit hoher Arbeitslosigkeit bezeichnet. Die gegenwärtige makroökonomische Lage ist nicht mit früheren Stagflationsphasen vergleichbar, denn eine sprunghafte Zunahme der Arbeitslosigkeit zeichnet sich derzeit nicht ab."

Das allein gewährleiste aber noch keinen raschen Wiederaufschwung ab der zweiten Jahreshälfte 2023, solange die Energiekosten deutlich über den nordamerikanischen und asiatischen Niveaus verharren. Vielmehr befürchtet Helmenstein eine "inkrementelle De-Industrialisierung mit daraus erwachsenden Wohlstandsverlusten.“

Mit einem Saldo von +42 Punkten nach zuvor +43 Punkten erhärtet sich die Einschätzung, dass auf der Ebene der Erzeugerpreise der obere Wendepunkt der Preisauftriebsdynamik erreicht worden ist. Der nach wie vor außergewöhnlich hohe und dazu noch stabile Wert dieses Indikators weist jedoch darauf hin, dass der zuletzt zu beobachtende Preisauftrieb weder ein auf wenige Warenkategorien beschränktes noch ein vorübergehendes Phänomen bleiben wird. Unter Berücksichtigung der betreffenden Vorlaufzeiten dürfte der Höhepunkt der Inflation gemäß Verbraucherpreisindex im ersten Quartal 2023 erreicht werden –vorausgesetzt, dass keine Gasmangellage in Europa eintritt.