Geschäftsbeziehungen : Grobe Verfehlungen: Anzeige und Zivilklage gegen ehemaligen Schur Flexibles-CEO

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Es wurden Vorwürfe gegen den ehemaligen Schur Flexibles-CEO Michael Schernthaner erhoben.

- © Thomas Topf

Der Hersteller flexibler Verpackungslösungen Schur Flexibles hat gegen ehemalige Führungskräfte Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gestellt und führt Zivilklagen gegen die betroffenen Manager. Betroffen sind, so das Unternehmen, der ehemalige CEO sowie der ehemalige Group Finance Director und ein weiterer, bereits entlassenen Manager. "Die Gerichtsverfahren werden nun ihren Lauf nehmen. Wir werden, wo immer es nötig ist, eng mit den Behörden zusammenarbeiten, um sie mit dem Ziel eines eindeutigen Ergebnisses der Verfahren zu unterstützen. Um die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und Gerichte nicht einzuschränken sollen und wollen wir uns nicht zu Einzelheiten äußern" heisst es von Seiten von Schur Flexibles auf Anfrage von INDUSTRIEMAGAZIN.

Bekannt wurden diese Sachverhalte nachdem kürzlich der Verkauf der Schur Flexibles Gruppe durch die B&C Holding bekannt wurde. Erst vor einem Jahr wurde die Übernahme von Schur Flexibles durch die B&C-Gruppe verkündet. Man war vom Geschäftsmodell des niederösterreichischen Verpackungsherstellers überzeugt und hat 80% vom US-amerikanischen Private-Equitiy-Unternehmens Lindsay Goldberg an Beteiligung erworben. Somit bekam Schur Flexibles einen österreichischen Mehrheitseigentümer.

Die 2012 gegründete Schur-Flexibles-Gruppe hat nach etlichen Zukäufen 22 Produktionsstandorte in Deutschland, Finnland, Dänemark, Schweden, den Niederlanden, Polen, der Slowakei, Griechenland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Insgesamt beschäftigt Schur Flexibles rund 2000 Personen und hatte zuletzt einen Jahresumsatz von rund 540 Mio. Euro. Der Unternehmenswert einschließlich übernommener Finanzierungen lag bei rund 900 Mio. Euro. Die B&C-Gruppe ist unter anderem Mehrheitseigentümer der börsennotierten Unternehmen Lenzing, AMAG und Semperit.

In den vergangene Jahren, während der Corona-Pandemie, konnte das Geschäft von Schur Flexibles weiter gewachsen, wie der ehemalige CEO Michael Schernthaner berichtete: "Wir gehören zur kritischen Systemkette und stellen tatsächlich zehn bis 15 Prozent mehr Auftragseingänge fest." Allerdings gab es große Herausforderungen, die Lieferkette durch die Grenzschließungen in Europa aufrecht zu erhalten. Man nahm etwa vom griechischen Werk einen anderen Transportweg in Kauf: "Was früher über die Fähre transportiert wurde, wird nun über die Schiene abgewickelt. Das dauert allerdings ein, zwei Tage länger", so Schernthaner im Gespräch mit dem INDUSTRIEMAGAZIN. Lange kämpfte man darum, an der Grenze priorisiert abgewickelt zu werden: "Man hat auf EU-Ebene vergessen, dass man bei der priorisierten Abwicklung auch die Lieferkette hinter den Food- und Pharma-Produzenten einbeziehen muss." Mittlerweile dürfen die Waren von Schur Flexibles aber als Teil der Supply Chain der kritischen Infrastruktur die Green Lanes nutzen.

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Auf den Höhenflug folgt der B&C-Ausstieg

Doch es scheint nicht alles Gold, was glänzt und so wurde jetzt überraschend bekannt, dass die B&C-Gruppe die Beteiligung an dem Verpackungshersteller wieder abstößt. "Der Ausstieg erfolgt, nachdem von B&C bei Schur Flexibles massive Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen der Vorjahre und grobe Verfehlungen durch ehemalige Manager entdeckt wurden", teilte B&C in einer Aussendung mit.

Gegen das ehemalige Schur-Management seien inzwischen Strafverfahren wegen mehrerer Straftatbestände eingeleitet worden, so B&C, das von einem weit überhöhten Kaufpreis spricht. "B&C sieht sich als Käuferin getäuscht und als Opfer eines Betrugsfalles", hieß es von B&C in einer Aussendung.

Um die notwendige Rekapitalisierung und Restrukturierung der Finanzen und Kredite von Schur Flexibles zu ermöglichen, übertrage B&C ihre Anteile an Schur Flexibles an eine neue Eigentümergruppe rund um das US-amerikanische Investmenthaus Apollo und andere Schur-Gläubiger. Eine diesbezügliche Vereinbarung sei am 4. Juni 2022 in Frankfurt/Main unterzeichnet worden. Das Closing der Vereinbarung werde im Herbst 2022 erwartet.

"Darüber hinaus wird die B&C-Gruppe versuchen, den Schaden, der ihr durch die im Raum stehenden Bilanzfälschungen und sonstigen strafbaren Handlungen der verschiedenen Beteiligten entstanden ist, durch Schadenersatzansprüche und bestehende Garantie-Versicherungen einzubringen. Weitere rechtliche Schritte auf Basis der laufenden Aufarbeitungen sind aus B&C-Sicht wahrscheinlich", so das Unternehmen.

Auf Nachfrage des INDUSTRIEMAGAZINS wurde geantwortet, dass aus vertragelichen Gründen vor dem Closing der Vereinbarung keine weiteren Medienstatements abgegeben werden.

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Verträge zur Refinanzierung sind unterzeichnet

Schur Flexibles sieht sich aber auch nach der angekündigten Neuordnung der Eigentümerverhältnisse weiter stabil aufgestellt. "Angesichts der soliden operativen Leistungen der Schur Flexibles Gruppe haben wir erwartungsgemäß im Konsens mit unseren Finanzierungsgläubigern und Geschäftsbanken in den vergangenen Wochen eine neue und stärkere Finanzierungsstruktur für die Schur Flexibles Holding entwickelt", sagte Chief Restructuring Officer (CRO) Josef Schultheis in einer Mitteilung.

Der Restrukturierungsberater konnte bereits in zahlreichen Projekten den Turnaround forcieren. Er wirkte in Unternehmen wie die Swiss Steel Group, dem österreichische Baukonzern Alpine, als interimistischer CFO bei Karstadt oder interimistische CEO bei Rail Cargo Austria. "Er verstärkt das Management Board und führt das Team in Gesprächen mit unseren Stakeholdern. Mit dieser Expertise und Erfahrung stärkt er die Stabilität unserer Gruppe und unseren Kurs für eine erfolgreiche Zukunft. Wir gehen derzeit davon aus, dass das Management, das die Refinanzierungslösung gemeinsam erreicht hat, mit den bekannten Ansprechpartnern der Stakeholder das Closing vollenden soll und wird", so das Unternehmen auf Nachfrage des INDUSTRIEMAGAZINS.

"Die Liquidität für die Lieferketten ist refinanziert, mit der vollständig umgesetzten Transaktion ist die Unternehmensgruppe mittel- und langfristig durchfinanziert", zeigte sich auch der Chef des Unternehmens, Juan Luis Martinez Arteaga, überzeugt. Arteaga war von 2018 bis Ende 2021 als Chief Operations Officer für den gesamten Produktions- und Beschaffungsbereich von Schur Flexibles verantwortlich. Unter seiner Führung wurde das Centre of Excellence-Konzept der europäischen Produktionsstandorte sowohl in Hinblick auf Innovationsfähigkeit und technologische Kompetenz als auch im Bereich der Nachhaltigkeit ausgebaut. Der gebürtige Spanier bringt langjährige Führungserfahrung dank seiner internationalen Managementkarriere in der globalen Verpackungs-, Baustoff- und Automobilindustrie mit, wo er bei Unternehmen wie Saint-Gobain und Constantia Flexibles Top-Management-Positionen innehatte.

Und auch die Stakeholder scheinen, nach Auskunft des Verpackungsherstellers, weiterhin von der nachhaltigen Zukunft der Gruppe überzeugt zu sein. Schur Flexibles betreibt ein operativ starkes Geschäft mit einem wirtschaftlich belastbaren Geschäftsmodell. Auch vor dem Hintergrund der sicherheits- und wirtschaftspolitischen Unsicherheiten, die die Märkte derzeit bewegen, ist die Unternehmensgruppe insgesamt mit einem breiten Produkt- und Markt-Portfolio innerhalb unserer Schlüsselmärkte gut aufgestellt.

Mit der Bestellung eines neuen Chief Compliance Officers hat das Unternehmen einen neuartigen internen Kontrollmechanismus etabliert und die Compliance-Richtlinien umfassend überarbeitet.

Closing folgt im Herbst

Das Closing für den gesamten Prozess dieser Transaktion soll bis zum Spätherbst dieses Jahres abgeschlossen sein. Der Unternehmensgruppe stehen in zwei Tranchen insgesamt 150 Millionen Euro an neuer Liquidität zur Verfügung – 60 Millionen Euro unmittelbar ab sofort, weitere 90 Millionen Euro mit dem Closing. Darüber hinaus verzichten die Finanzierer auf bis zu 75 Prozent ihrer Forderungen. Diese Vereinbarung entlastet die Bilanzstruktur deutlich und stärkt die Eigenkapitalquote solide.

Die derzeitigen Aktionäre von Schur Flexibles haben sich aktiv an der beschriebenen Refinanzierungslösung beteiligt und somit die notwendige Rekapitalisierung und Restrukturierung der Finanzen und Kredite ermöglicht. Bis zum Closing werden sie ihre Anteile an Schur Flexibles an eine neue Eigentümergruppe bestehend aus aktuellen Schur-Gläubigern übertragen.

Das Prinzip Schernthaner

Michael Schernthaner wurde im Mai 2019 neuer CEO der Schur Flexibles Gruppe. Nach zwei Jahren als CFO von Schur übernahm er das Unternehmen im Team mit COO Juan Luís Martínez Arteaga (jetzt CEO) und Chief Sales Officer Friedrich Humer. "Das Führungs-Team hat gezeigt, dass das Unternehmen Wachstumsdynamik, Innovationskraft, Kundenorientierung und Wertorientierung verbinden kann. Wir werden Schur Flexibles mit aller Kraft dabei unterstützen, nicht nur organisch zu wachsen, sondern auch über Akquisitionen die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen", so das Vorstands-Team.

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Schernthaner ging motiviert an seine neue Aufgabe heran: "Man muss jungen Talenten Atmosphäre bieten, wenn man sie dazu bewegen will, hier am Rande der Stadt zu arbeiten. Wir leben Mitarbeiterunternehmertum, Eigenverantwortung und Out-of-the-Box Thinking."

Warum Österreich?


Die Unternehmenskultur ist nur eine jener Dinge, die Schernthaner anders machen wollte als jene Unternehmen, die er in seinem Berufsleben kennengelernt hat. Nur an einer Konstante hielten er und seine Vorstandskollegen überraschenderweise fest: Dem Standort in Österreich - und das obwohl kein einziges der 23 Werke des Konzerns in Österreich steht (Details siehe Kasten). "Österreich ist Packaging Science Hochburg, der strategisch wichtigste Punkt der Verpackungsindustrie in Europa" sagte Schernthaner im Interview mit dem INDUSTRIEMAGAZIN im Mai 2019.

Mit Constantia, Mayr Melnhof, Mondi und Coveris Flexibles sind alle Mitbewerber vor Ort. Und die Standort-Alternativen waren für Schernthaner nicht wirklich überzeugend: Das zentrale Stammwerk und die Entwicklungsabteilung im Allgäu sind zu weit ab vom Schuss. Auch das heimische Tax Pooling von Auslandsgesellschaften dürfte den Konzernsitz in Wiener Neudorf attraktiv gemacht haben.

Der Schlüssel auf dem Weg zum Innovationsführer in der Packaging-Branche war für Schernthaner die Mitarbeiterbeteiligung. "Wenn Sie bei uns in Projektgruppen gehen, werden sie auf den ersten Blick nicht feststellen, welcher der Teilnehmer der Finanzer, der Marketingleiter oder der Operationsexperte ist".

Mit einem holistischen Managementkonzept sollte das Silo-Denken, unter dem Schernthaner in seinen Konzernpositionen bislang ziemlich gelitten zu haben schien, überwinden. "Wir machen unseren Mitarbeitern das Angebot, an allen Themen, die sie interessieren, mitzuarbeiten. Der Geschäftsführer muss dafür Zeit zur Verfügung stellen" sagte Schernthaner. Und Finanzer durften Marketinglehrgänge für 15.000 Euro machen. Wer sich entwickeln wollte, bekam das Angebot, aus seiner operativen Tätigkeit auszuscheren. "Ich will nicht sagen, wir sind 30 Prozent overpaced, aber wir haben eine Struktur, in der es möglich ist, dass unsere Mitarbeiter in solche Projekte auch tatsächlich reingehen können."

Doch Schernthaner dürfte sich mit seiner Arte des Managements verzettelt haben. Denn der Verpackungshersteller dürfte es jetzt mit einem besonders eklatanten Fall von Missmanagement und Machtmissbrauch einiger ehemaliger Führungskräfte zu tun zu haben. So soll Ex-CEO Michael Schernthaner einen mehr als barocken Lebensstil auf Kosten des Konzerns gepflegt haben. Noch folgenreicher könnte die Anschuldigung sein, das Topmanagement habe vor dem Verkauf des Unternehmens an die B&C die Bilanzen aufgebläht, um Schur Flexibles als Kaufobjekt wirtschaftlich attraktiver erscheinen zu lassen.

Auf den Höhenflug folgt das Gerichtsverfahren

Auf Nachfrage des INDUSTRIEMAGAZINS, nahm Schur Flexibles folgende Stellungnahme: "Bereits im ersten Quartal 2022 haben wir Anzeige bei der zuständigen österreichischen Behörde (WKStA) erstattet. Außerdem haben wir Zivilklagen gegen den ehemaligen CEO den ehemaligen Group Finance Director und einen weiteren, bereits entlassenen Manager eingereicht. Die Gerichtsverfahren werden nun ihren Lauf nehmen. Wir werden, wo immer es nötig ist, eng mit den Behörden zusammenarbeiten, um sie mit dem Ziel eines eindeutigen Ergebnisses der Verfahren zu unterstützen. Um die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und Gerichte nicht einzuschränken sollen und wollen wir uns nicht zu Einzelheiten äußern".

Wie weit die Ermittlungen bereits fortgeschritten sind, ist derzeit noch nicht bekannt.