Verpackungsindustrie : Schur Flexibles: Im Süden von Wien entsteht ein neuer Verpackungsriese

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© Thomas Topf

Wer Michael Schernthaner treffen will, muss an eine Adresse fahren, die auf den ersten Blick nicht unbedingt jene Größe ausstrahlt, die man von einem Konzern mit 520 Millionen Euro Umsatz in 23 Werken weltweit erwartet. Das Headquarter der Schur Flexibles befindet sich in einem ziemlich unscheinbaren Gebäude mitten im Gewerbegebiet von Wiener Neudorf. Wenn sich die Eingangstüren zu dem Zweckbau öffnen, folgt die Überraschung: Dem Besucher erschließt sich ein holzvertäfeltes, loftartiges Atrium. Rund um eine Bar schwingt sich eine Freitreppe in die oberen Etagen. Fast so etwas wie Startup-Atmosphäre verströmt das Machtzentrum des neuen Verpackungsriesen - überraschend für die doch eher konservative Branche.

Tailor Made.

"Man muss jungen Talenten Atmosphäre bieten, wenn man sie dazu bewegen will, hier am Rande der Stadt zu arbeiten" sagt Schernthaner fast ein wenig scherzhaft. Er lehnt an der Bar im Zentrum des Atriums und nippt am Cappucino. Die Selbstverständlichkeit mit der an der Bar Vorstand und Vertriebler oder Produktionsexperte und Produktmanager zusammenkommen, hat System: Hier, so das Signal, soll sich jeder zu jedem Thema einbringen dürfen. "Wir leben Mitarbeiterunternehmertum, Eigenverantwortung und Out-of-the-Box Thinking" sagt Schernthaner.

Warum Österreich?

Die Unternehmenskultur ist nur eine jener Dinge, die Schernthaner anders machen will als jene Unternehmen, die der Branchen-Profi in seinem Berufsleben kennengelernt hat. Nur an einer Konstante halten er und seine Vorstandskollegen, Juan Luís Martínez Arteaga für Operations und Friedrich Humer für Sales, überraschenderweise fest: Dem Standort in Österreich - und das obwohl kein einziges der 23 Werke des Konzerns in Österreich steht (Details siehe Kasten). "Österreich ist Packaging Science Hochburg, der strategisch wichtigste Punkt der Verpackungsindustrie in Europa" sagt Schernthaner. Mit Constantia, Mayr Melnhof, Mondi und Coveris Flexibles sind alle Mitbewerber vor Ort. Und die Standort-Alternativen sind für Schernthaner nicht wirklich überzeugend: Das zentrale Stammwerk und die Entwicklungsabteilung im Allgäu sind zu weit ab vom Schuss. Auch das heimische Tax Pooling von Auslandsgesellschaften dürfte den Konzernsitz in Wiener Neudorf attraktiv machen. "Das Führungsteam hier vor Ort hat natürlich 50-60 Prozent Reisetätigkeit - aber das wäre an keinem Standort anders" meint Schernthaner.

15 Change Overs.

Der USP, den Schernthaner den Unternehmen, die er in den letzten beiden Jahren unter der Marke Schur gruppiert hat geben will ist Flexibilität. "In bin überzeugt, in den nächsten 10 Jahren wird in der Verpackungsindustrie derjenige die Nase vorne haben, der den schnellen Change Over am besten beherrscht" meint der Anfangvierziger. Bis zu 15 Rüstvorgänge sollen die Verpackungsmaschinen in den Produktionsstraßen der Schur Flexibles Gruppe nach eigenen Angaben pro Tag schaffen. Während Mitbewerber für Anpassungen an den Maschinen zwischen ein und drei Stunden Stillstand in Kauf nehmen müssen und lediglich monatlich Sonderproduktionen fahren können will Schernthaner dafür lediglich sieben Minuten benötigen. "Dadurch eröffnen sich dem Marketing im Produktdesign ganz neue Welten" ist Schernthaner überzeugt.

Pit Stop Konzept.

Das Rennen um die kürzestmöglichen Adaptionsprozesse der Verpackungsmaschine auf die neuesten Anforderungen nennt Schernthaner "Pit Stop Konzept". Um dieses in der stetig wachsenden Anzahl von Niederlassungen in Europa auszurollen hat er sich eine schnelle Eingreiftruppe im Unternehmen zusammengestellt: Seine "Flying Doctors" kommen 14tägig in Wiener Neudorf zusammen und priorisieren die Projekte im Konzern.

Fünf Führungskräfte aus Produktion, Vertrieb, Finanz und dem Supply Chain sind fester Kern des Teams. Dazu holt sich die Fünferbande je nach Optimierungsfokus Kollegen aus anderen Werken hinzu. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter aus anderen Werken sehr gerne mit ins Team kommen, weil sie dadurch die Möglichkeit haben, selbst zu lernen ohne für lange Zeit vom Stammwerk entfernt zu sein" sagt Schernthaner.

Der Schur-Trick.

Die Fliegenden Doktoren sind meist auch die ersten, die strukturelle Probleme der neu hinzugekommenen Unternehmen im Konzern erstversorgen. Die Aufgaben werden nicht weniger: Immerhin drei Akquisitionen im Preisband rund um die 20 Millionen Euro stehen alleine heuer noch auf dem Programm. "Wir haben es dabei zumeist mit eher patriarchalisch geprägten Strukturen zu tun" sagt Schernthaner. "Eine Herausforderung für den Konzern, denn das ist das exakte Gegenteil davon, was wir hier leben."

Der mittlerweile in über 20 Zukäufen optimierte Konsoliderungsprozess sieht ein schnelles Handeln vor: Gemeinsam mit ambitionierten Führungskräften der zweiten Linie erarbeiten die Flying Doctors ein Konzept für die ersten 60 Tage - und bringen den zukünftigen Führungskräften das Schur Thinking bei: Wie ticken die im Konzern? Wie machen die Abfall, Set Up, wie ist deren Pit Stop Konzept? Ein Earn Out Mechanismus, der dem scheidenden Unternehmer hohen Anreiz zur kulturellen Integration in die Gruppe gibt und ein Konzernmanager aus der Zentrale, der die Umsetzung begleitet, stabilisieren die Konsolidierung. "60 Prozent der Transformation passiert in den ersten 12-18 Monaten, der Rest kommt hinten nach" sagt Schernthaner.

Auf Kosten der Kleinen wachsen.

Das Wachstum der Schur Gruppe ist in der Tat atemberaubend: Gegründet 2012 vom legendären Unterland-Sanierer Jakob Mosser, wuchs der Umsatz des Unternehmens von 350 Millionen Euro im Jahr 2016 (dem Jahr an dem der Gründer an Lindsay Goldberg verkauft hat) auf 520 Millionen Euro im Vorjahr an. Doch das ist nicht, wo Schernthaner mit seinem Konzept der Taylor-Made-Solutions im Verpackungsmarkt hin will. "Das Marktvolumen für dieses Segment alleine in Europa beträgt 5 Milliarden Euro" sagt Schernthaner. Er peilt alleine für heuer noch 600 Millionen Euro Umsatz an. Das Wachstum dürfte dabei nicht auf Kosten der großen Mitbewerber erfolgen, denn der Markt ist hochgradig fragmentiert. "In Europa existieren derzeit rund 1700 Verpackungsunternehmen - jede größere Käserei und jeder Schlachthof hat in der Vergangenheit ein auf sein Produkt adaptiertes Verpackungsunternehmen im Umkreis gegründet" sagt Schernthaner. Unternehmen, die in der Konsolidierung feststecken - etwa weil auch deren einstige Kunden längst zu überregionalen Anbietern wurden - oder Unternehmen die im Generationswechsel stehen sind Übernahmeziele Schernthaners, der als CFO und Sprecher der Geschäftsführung derzeit nach eigenen Angaben fast ein Drittel seiner Arbeitszeit mit M&A Aktivitäten verbringt.

30 Prozent Overpaced.

Der Schlüssel auf dem Weg zum Innovationsführer in der Packaging-Branche ist für Schernthaner die Mitarbeiterbeteiligung. "Wenn Sie bei uns in Projektgruppen gehen, werden sie auf den ersten Blick nicht feststellen, welcher der Teilnehmer der Finanzer, der Marketingleiter oder der Operationsexperte ist" sagt der Schur-CFO.

Mit einem holistischen Managementkonzept soll das Silo-Denken, unter dem Schernthaner in seinen Konzernpositionen bislang ziemlich gelitten zu haben scheint, überwinden. "Wir machen unseren Mitarbeitern das Angebot, an allen Themen, die sie interessieren, mitzuarbeiten. Der Geschäftsführer muss dafür Zeit zur Verfügung stellen" sagt Schernthaner. Bei Schur machen Finanzer Blackbelts in Operations. Und Finanzer dürfen Marketinglehrgänge für 15.000 Euro machen. Wer sich entwickeln will, bekommt das Angebot, aus seiner operativen Tätigkeit auszuscheren. "Ich will nicht sagen, wir sind 30 Prozent overpaced, aber wir haben eine Struktur, in der es möglich ist, dass unsere Mitarbeiter in solche Projekte auch tatsächlich reingehen können."

Produktinnovation.

Neue Wege will man bei Schur auch im Bereich der Innovation gehen. In einer Branche, sich durch wenig echte Forschung, aber durchaus ein hohes Maß an Entwicklung auszeichnet, hat er ein Packaging Science Center am größten Produktionsstandort im Allgäuer Kempten die wichtigsten Verpackungsmaschinen seiner Kunden aufgestellt. "Das war eine Rieseninvestition, da stehen Maschinen im Wert von mehreren hunderttausend bis zu einer Million Euro" sagt Schernthaner, Die Idee: Weil die flexiblen Verpackungslösungen der Schur Gruppe am Markt so neu sind, soll den Kunden deren Einsatz auf ihren eigenen Maschinen demonstriert werden. Ohne Ausfallrisiko können Lebensmittelhersteller dort auf Referenzmaschinen tagelang neue Verschlüsse, Folierungen oder Lösungen für schnelle Rüstprozesse testen. "Noch stehen wir oft vor dem Problem, dass die guten Marketingideen unserer Kunden, die wir schon zu bedienen im Stande wären, durch deren eigene Operations abgewürgt werden. Mit unseren Referenzmaschinen zeigen wir, dass all das was wir versprechen auch im Echtbetrieb wirklich möglich ist" sagt Schernthaner.