Zeitenwende für militärische Beschaffung : Österreichs Rüstungswende: Wie neue Deals und Gegengeschäfte das Militär verändern
Radpanzer Piranha von GDELS: Rund um Defence Procurement bildet sich ein neuer Ordnungsrahmen
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Die Eurofighter-Affäre wirkte über Jahre wie ein lähmender Schatten auf Österreichs militärischer Beschaffung. Gegengeschäfte – einst übliche Praxis – galten seither als verbrannt. Und auch zuletzt sorgte ein militärisches Beschaffungsverfahren - jenes der Leonardo M-346FA Unterschall-Jets für Schlagzeilen. Grundsätzlich aber gelte: Gegengeschäfte "sind international gebräuchlich und keineswegs diskreditiert“, sagt Manfred Essletzbichler, Partner Wolf Theiss. Dass sie nach der bewussten Abkehr im Eurofighter-Kontext nun wieder eingeführt werden sollen, sei folgerichtig. Auch das Bundesministerium für Landesverteidigung signalisierte zuletzt, dass derartige Offset-Vereinbarungen künftig wieder fixer Bestandteil von Beschaffungsvorhaben sein sollen.
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Für Philipp J. Marboe, Rechtsanwalt Wolf Theiss, ist klar: „Das wird kommen, der Markt erwartet das". Wichtig sei dabei eine juristisch und administrativ saubere Abwicklung. „Man muss es einfach ordentlich regeln – was ist ein Gegengeschäft, wie wird es bewertet, wie wird es überwacht?“, sagt Essletzbichler. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass fehlende Definitionen, mangelnde Kontrolle und intransparente Kriterien den Boden für Spekulation und Skandale bereiten.
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Systembruch durch Government-to-Government-Deals
In Österreich zeichnet sich der Trend ab, größere militärische Anschaffungen nicht mehr über klassische Vergabeverfahren, sondern über sogenannte Government-to-Government-Deals abzuwickeln. Für Marboe eine Konsequenz aus der politischen Scheu nach dem Eurofighter-Skandal: „Man will sich offenbar nicht mehr die Finger verbrennen und spart sich durch diese bilateralen Deals das Vergabeverfahren.“ Für Essletzbichler ist diese Entwicklung ambivalent: „Wir beschaffen in Österreich große Volumina im zivilen Bereich – warum sollen wir nicht auch militärische Güter selbst beschaffen können?“
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Problematisch sei dabei insbesondere die Vereinbarkeit von Government-to-Government-Deals mit der Idee von Gegengeschäften. Denn in solchen Konstruktionen ist das andere Land – nicht der konkrete Hersteller – der Vertragspartner. Das mache etwa die Vereinbarung von begleitenden Offset-Programmen kompliziert bis unmöglich. „Ich kann mich schwer mit einem Staat auf Gegengeschäfte einigen, wenn der Lieferant ein Unternehmen ist, das gar nicht Vertragspartei ist“, sagt Essletzbichler. Die Manövrierfähigkeit gehe damit verloren – ein Preis, den man sich laut Marboe sehr genau überlegen müsse.
Regelung statt Regellosigkeit
Dass Gegengeschäfte rechtlich möglich und sinnvoll sind, steht für die beiden Juristen außer Zweifel – sofern sie „transparent, kalkulierbar und kontrollierbar“ gestaltet werden. Marboe betont, dass das Vergaberecht als „Spezialzivilrecht“ dem öffentlichen Auftraggeber großen Spielraum lässt – solange die Grundprinzipien wie Gleichbehandlung und Transparenz gewahrt bleiben. Das bedeutet aber auch: Offset-Deals müssen vorab definiert und klar in die Bewertung von Angeboten einbezogen werden.
Essletzbichler ergänzt: „Es bringt nichts, ein Angebot hoch zu bewerten, wenn man später bei der Vertragsabwicklung nicht prüfen kann, ob die versprochenen Gegengeschäfte auch tatsächlich erfüllt werden.“ In der Vergangenheit sei genau das passiert: Bewertung und Vollzug hätten nicht zusammengepasst.
Europa rüstet auf – Österreich zieht nach
„Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter – nicht nur national, sondern auch europäisch“, sagt Marboe. Hintergrund sind geopolitische Entwicklungen seit 2022, aber auch ein generelles Umdenken in der sicherheitspolitischen Architektur Europas. Die Zahlen untermauern den Trend: Die EU hat bis 2035 rund 800 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben budgetiert. Österreich plant, seinen Verteidigungshaushalt bis 2032 von derzeit 0,9 auf 2 Prozent des BIP zu steigern – eine Verdoppelung, die mit einem Investitionsvolumen von etwa 16 Milliarden Euro einhergeht.
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Doch das hat seinen Preis. „Die berühmte Friedensdividende, von der Altkanzler Wolfgang Schüssel zuletzt sprach, ist Geschichte“, so Marboe. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs haben sich europäische Staaten mehr als 2.000 Milliarden Euro an Verteidigungsausgaben erspart – vor allem, weil die USA als Sicherheitsgarant fungierten. „Das ist vorbei. Europa muss selbst Verantwortung übernehmen.“
Österreichs Maschinenbau & Elektronik im Aufwind: So profitieren Dual-Use-Unternehmen vom neuen Rüstungsboom
Für heimische Betriebe, insbesondere im Maschinenbau, in der Elektronik oder im Bereich Dual-Use-Technologien, ergeben sich dadurch neue Chancen. „Es gibt Nischenplayer in Österreich, die man nicht sofort auf dem Radar hätte, die aber heute schon in internationalen Lieferketten integriert sind“, erklärt Marboe. Dazu zählen etwa Unternehmen im Bereich elektromagnetischer Schutzsysteme, Antennentechnologien oder Cybersicherheit.
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Neben der technischen Kompetenz sind aber auch hohe Sicherheitsanforderungen zu erfüllen – in der Kommunikation, in der Fertigung, in der Datenhaltung. Für kleinere und mittlere Unternehmen mit innovativen Technologien könne das eine Hürde sein – müsse aber keine sein, wenn entsprechende Partnerschaften gesucht und gefördert werden. Essletzbichler: „Es wird entscheidend sein, wie sich österreichische Unternehmen in diesen neuen Beschaffungslogiken positionieren. Die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, ist jetzt.“
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Effizienz als Prüfstein
Bleibt die Frage, ob die nun einsetzende Beschaffungswelle auch effizienter verlaufen wird als in der Vergangenheit. Marboe verweist auf Deutschland, das mit dem „Bundeswehr-Beschaffungsbeschleunigungsgesetz“ (BwBBG) bereits 2022 ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht hat, um Genehmigungs- und Beschaffungsprozesse zu verkürzen. Auch auf EU-Ebene sei das Bewusstsein vorhanden, dass Geschwindigkeit entscheidend sei.
Österreich sei im Vorteil, weil durch die kleinere Struktur eine flexiblere Organisation möglich sei. Erste Vorarbeiten, Marktscreenings und interne Vorbereitungen seien bereits erfolgt, bestätigen beide Juristen. Die neu geplante Rüstungsagentur – eine Initiative des Wirtschaftsministeriums – soll künftig Transparenz und Compliance bei Offset-Geschäften sicherstellen. Noch ist unklar, wie weitreichend ihre Kompetenzen sein werden. Das BMWET erarbeite hier aktuell gemeinsam mit dem BMLV „unterschiedliche Modelle, mögliche Rahmenbedingungen und den rechtlichen Rahmen“, heißt es im Wirtschaftsministerium auf INDUSTRIEMAGAZIN-Anfrage.