Expertenmeinung : Was AI kann, was noch nicht
Künstliche Intelligenz (KI) ist längst kein reines Zukunftsthema mehr. Vielmehr durchdringen Methoden der AI, wie KI auch genannt wird, immer weitere Bereiche unseres Lebens und Arbeitens. Sie ermöglichen überdies große Fortschritte in Wissenschaft, Forschung und Technologieentwicklung.
Und: Die Technologie wird dringend benötigt, um die Anhäufung von Schocks, Krisen und Umbrüchen, die wir zur Zeit erleben, zu bewältigen. „Angesichts der planetarischen Gefahren und Herausforderungen brauchen wir dringend entsprechende technologische Entwicklungen und Innovationen, um diese zu bewältigen und weitere Gefahren abzuwehren – damit es nicht, wie Martin Rees gemeint hat, unser letztes Jahrhundert wird“, sagte Hannes Androsch am Mittwoch bei der Präsentation des Jahrbuchs zu den Alpbach Technology Symposium 2022, dessen Herausgeber er als langjähriger Doyen des Symposiums ist.
Das Thema dieses bereits zum sechsten Mal erscheinenden Jahrbuches „DIscussing Technology“ lautet „KI in der Praxis / Applying AI“. Im Konkreten geht es um die Anwendung von KI-Methoden in bestimmten Domänen und für spezifische Fragestellungen (in der Fachsprache „vertical AI“) – im Unterschied zu Algorithmen, die in vielen Bereichen einsetzbar sind („horizontal AI“) und in Richtung einer „Artificial General Intelligence“ (AGI) gehen.
KI sinnvoll eingesetzt – wo und wie?
„In dem Jahrbuch wollen wir zeigen, in welchen Bereichen und zu welchen Fragstellungen Methoden der KI sinnvoll eingesetzt werden können und welchen Nutzen man in den Bereichen Forschung, Technologie und Innovation daraus ziehen kann“, erläutert der wissenschaftliche Geschäftsführer des AIT Austrian Institute of Technology, Wolfgang Knoll, der gemeinsam mit seinem Kollegen in der AIT-Geschäftsführung, Anton Plimon, Mitherausgeber des Jahrbuchs ist.
„Wenn von KI die Rede ist, meint man damit meist maschinelle Lernverfahren. Doch das ist eine verkürzte Sichtweise: Es gibt sehr viele KI-Methoden, die alle bestimmte Stärken und Schwächen haben“, sagte Martin Kugler, Wissenschaftskommunikator am AIT Austrian Institute of Technology, der die Redaktion des Jahrbuchs übernommen hat. Anhand zahlreicher Beispiele wird gezeigt, wo wir bei der Anwendung von KI in verschiedenen Domänen derzeit stehen. Bei all diesen Beispielen, die unter anderem aus den Laboren des AIT und anderer heimischer Forschungsstätten stammen, wird deutlich, wie die unterschiedlichsten KI-Methoden nutzenstiftend angewendet werden können. Aber auch: wo ihre Grenzen liegen und in welchen Bereichen man besser auf ihren Einsatz verzichten sollte.
Ein problematischer Punkt sind insbesondere Anwendungen, bei denen es um Sicherheit geht. Denn KI-Systeme liefern stets nur Wahrscheinlichkeiten, gibt der KI-Forscher und Datenanalytiker Ross King (AIT) zu bedenken: „Sicherheit passt nicht mit Wahrscheinlichkeitsaussagen zusammen. Ich bin sehr skeptisch bei sicherheitskritischen Anwendungen: Hier kann man den Menschen nicht komplett ersetzen.“
AI ist nicht zu überschätzen
Dass man die Möglichkeiten von KI nicht überschätzen darf, betont auch der Automatisierungs-Forscher Andreas Kugi (TU Wien und AIT). „Man muss die Möglichkeiten der neuen Methoden gezielt nutzen. Aber man muss vorsichtig sein und nicht jede neue Methode als Allheilmittel betrachten.“
In der Forschung stellen KI-Methoden jedenfalls wertvolle neue Werkzeuge in der Tool-Box der vorhandenen Methoden dar, streichen Kugi und King unisono hervor. Das reicht von der automatischen Erkennung von Cyberangriffen bis hin zur Entwicklung von Robotern zur Reparatur defekter Geräte.
Kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug ist KI auch für Martin Grödl und Moritz Resl, bekannt als Künstler-Duo „Process – Studio for Art and Design“, die derzeit als Artists in Residence des ARTTEC-Programms am AIT tätig sind. Sie setzen KI dafür ein, ihre künstlerischen Ideen auf innovative Art umzusetzen.
Dass durch KI-Methoden jedenfalls fantastische neue Möglichkeiten erwachsen, sieht auch die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny: „Wir stehen erst am Anfang des Potenzials von KI. Wir müssen erst lernen, die enormen Datenmengen, über die wir jetzt verfügen, besser zu nützen“, so Nowotny. Sie verspricht sich davon, kausale Zusammenhänge besser zu verstehen und dadurch zu lernen, unbeabsichtigte Folgen unseres Handelns früher zu erkennen und entsprechend anders zu handeln.
Bei der Einführung datenbasierter KI-Systeme gibt es immer auch Widerstände. Um eine Balance im Dilemma zwischen Privacy und Nutzen zu finden, schlägt die Stadt- und Mobilitätsforscherin Katja Schechtner (MIT, OECD) eine „risikogewichtete Regulierung“ vor. Überdies müsse man stets fragen, ob ein automatisches System etwas besser kann als der Mensch; wenn nicht, dann solle man ein neues System auch nicht installieren. Oder wie Andreas Kugi es ausdrückt: „Nicht jeder neue Besen kehrt immer und überall besser.“