Smarte Fabrik : Alpla, TTTech, AIT: Wenn Fabriken sprechen lernen

Kopfbild einer Frau mit futuristischer Datenbrille
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In Österreich wird die Forschung in Sachen IIoT seit einigen Jahren in Pilotfabriken, die öffentlich gefördert werden, vorangetrieben. Dabei kooperieren For- schungseinrichtungen Hand in Hand mit großen Industrieunternehmen und entwickeln die Technologien der Zukunft. So auch in der Pilotfabrik der TU Wien in der Seestadt Aspern, wo an cyberphysischen Produktionssystemen und offenen Kommunikationsstandards geforscht wird. Claudia Schickling, Leiterin der Pilotfabrik, schätzt die Lage des Vernetzungsgrades in der österreichischen Industrie als noch stark ausbaufähig ein. Während die großen Unternehmen mit großen Investitionen vorpreschen, kommt der industrielle Mittelstand zunehmend ins Hintertreffen. „Je kleiner das Unternehmen, desto mehr Insellösungen gibt es. Da gibt es noch ein sehr großes Potenzial, das aber von kleineren Unternehmen sehr schwer gehoben werden kann. Sie stehen durch die Konkurrenz außerhalb von Europa unter großem Preisdruck und sind dadurch gezwungen, effizienter zu arbeiten und sparen deswegen Personal ein. Dieses Personal fehlt dann, wenn es darum geht, die Digitalisierung voranzutreiben“, erklärt Schickling.

Entscheidend sei es, gesamteuropäische Lösungen zu finden, um sich gegen die globalen Vor- reiter wie Google, Alibaba und Amazon zu behaupten. Ein erster Schritt in diese Richtung ist das europäische Projekt GAIA-X – es soll eine wettbewerbsfähige und sichere Dateninfrastruktur für Europa aufgebaut werden. Doch das Projekt steckt noch in Kinderschuhen.

Henkel setzt auf Visualisierung und Robotisierung.

Wir bekommen Einblick hinter die Kulissen des Konsumgüterherstellers Henkel, einer der globalen Pioniere im Bereich der Digitalisierung. Das Unternehmen wurde bereits zweimal vom Weltwirtschaftsforum als Vorreiter im Bereich Industrie 4.0 ausgezeichnet. Alfred Smyrek, Werksleiter am Standort Wien, blickt stolz auf die digitale Transformation seines Unternehmens zurück: „Wir haben schon vor dem Jahr 2000 damit angefangen zu digitalisieren und heute haben wir am Standort Wien einen Digitalisierungsgrad von 99 Prozent. Mittlerweile wurden alle Werke, die schon einen hohen Digitalisierungsgrad haben, auf ein Visualisierungssystem aufgeschaltet, sodass wir heute im Headquarter der Supply Chain in Amsterdam fast jede Linie von 30 Fabriken live sehen können – wie sie läuft, wie die Energiebilanz ist, die Auslastung und wie die Effizienz gerade ist.“

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Durch die Transformation konnte eine Effizienzsteigerung von rund 30 Prozent erzielt werden. Obwohl Henkel bei der Vernetzung zu den Vorreitern gehört, sieht Smyrek den Prozess noch lange nicht als abgeschlossen. „Auf der Supplierseite sind wir schon zu 95 bis 98 Prozent vernetzt. Unsere Verpackungsmaterialien und Rohstoffe werden über die Supplier-Maintained-Inventory gefahren. Ich kann mir heute noch nicht vorstellen, dass wir genau wissen, wann welche Flasche Persil aus dem Regal genommen wird – so weit sind wir noch nicht. Aber in den Kundenlagern kann man schon sehr genau sehen, wie der Stand ist und was wir liefern müssen.“

Smyrek bekennt sich als großer Anhän- ger offener Kommunikationsstandards wie OPC UA. Entscheidend sei dabei, dass die Anwendung möglichst intuitiv erfolgen müsse. „Eine ähnliche Entwicklung haben wir bei der Konnektivität von Smartphones via Bluetooth gesehen. In der Industrie muss ich noch von Schaltschrank zu Schaltschrank gehen und Ka- bel ziehen. Ich kann mir eine Welt vorstellen, in der Roboter untereinander genauso unkompliziert kommunizieren, wie es bei den Smartphones der Fall ist. Das ist die Entwicklung, an der wir arbeiten – so weit sind wir aber noch nicht.“ PORR entwickelt Logistikplattform für gesamte Baubranche. Auch in der Baubranche spielt das Thema IoT eine zunehmend wichtige Rolle. So verspricht man sich durch die digitale Vernetzung erhebliche Verbesserungen im Bereich der Arbeitssicherheit, Inspektion sowie der Ressourcen- und Bauplanung. Beim Baukonzern PORR werden mittlerweile alle Projekte mithilfe von Building Information Modeling (BIM) abgewickelt – von der Kalkulation bis zur Projektabwicklung, erzählt Abteilungsleiter Christian Heller- schmied. „Immer mehr Projekte kommen derzeit von Auftraggebern, wo wir die vorgegebenen Modelle in die Realisierung überführen. Das Problem liegt an den mangelnden Schnittstellen der Programme, die derzeit keine entsprechende Reife haben, um fehlerfrei Modelle von einer Software in die andere zu transportieren.“ Das bedeutet, dass alle Projekte über Schnittstellen wie IFC überführt werden müssen. Dies hat zur Folge, dass der durchgehende BIM-Gedanke nicht nahtlos gelebt werden kann, da sehr viele Informationen der Modelle verloren gehen. „Bis wann dies möglich sein wird, kann derzeit nicht abgeschätzt werden“, so Hellerschmied.
Innerhalb der Projektteams bei der PORR ist der Vernetzungsgrad schon sehr hoch, Nachholbedarf sieht Hellerschmied in der Verbindung mit den externen Partnern: „Einer der nächsten Schritte ist es, weg von der Ablage von Dokumenten und mehr hin zum direkten Datenaustausch zwischen den Systemen zu gehen. Damit kommen wir der Vision einer Vollvernetzung schon sehr nahe. In der Verbindung mit Auftraggebern, Lieferanten und Nachunternehmern ist aber noch viel Luft nach oben. IT-Security, in terne Prozessabläufe, aber auch Stammdatenmanagement sind hier einige der Herausforderungen, um einen Datenaustausch zu ermöglichen.“ Zu diesem Zweck hat PORR mit dem Schalungsspezialisten Doka ein Joint Venture gegründet, in dem eine gemeinsame Logistikplattform für die gesamte Bauwirtschaft entwickelt werden soll.

Alpla vertraut auf Echtzeitdaten.

Auch beim Vorarlberger Traditionsunternehmen im Bereich Verpackungslösungen Alpla verfolgt man eine umfassende Digitalisierungsstrategie. So wurde Data Driven Manufacturing zum Unternehmensziel erklärt. „Das Ziel der Transformation in unserem Unternehmen war es, den Mitarbeitern in Echtzeit Daten bereitzustellen, auf deren Basis sie dann agieren können. Es werden also nicht mehr historische Daten herangezogen, die Stunden oder Tage in der Vergangenheit liegen, sondern es wird Just-in-time aufgezeigt, wo es Probleme gibt und wo man Verbesserungen vornehmen kann“, erklärt Christian Buchgraber, Director Corporate Logistics bei Alpla.

Die allgemeine Einschätzung über den Vernetzungsgrad in der heimischen Industrie fällt ernüchternd aus: „Ich glaube, es sind noch sehr viele Industrien erst auf dem Weg zur Industrie 3.0. Im Prinzip haben wir immer mit dem Thema der Supply Chains zu tun. Die verschiedenen Glieder der Supply-Chain-Kette sind unter- schiedlich integriert. Wenn man sich zum Beispiel den Einzelhandel anschaut – die sind bereits relativ gut mit ihren Lieferanten vernetzt. Es ist noch nicht so, dass alle Glieder der Supply Chain gleichermaßen integriert sind – es handelt sich nämlich auch um unterschiedliche Zielsetzungen.

Für Buchgraber ist der OPC-UA-Standard von essenzieller Bedeutung: „Das Problem, bevor der OPC-UA-Standard gesetzt war, war immer die Frage der individuellen Kommunikationsschnittstellen. Jetzt ist es so, dass OPC UA eine Mindest- anforderung an den Lieferanten ist – da- mit entfallen die endlosen Diskussionen darüber, was das richtige Kommunikati- onsprotokoll ist. Das ist für die Weiterentwicklung sehr wichtig.“

Herstellerübergreifendes Ökosystem.

An der Weiterentwicklung einer offenen Kommunikationslösung in der industriellen Vernetzung mit der Kommunika- tions-Kombination OPC UA over TSN ist der Spezialist für Sicherheitssteuerungen und Echtzeit-Netzwerke TTTech federführend beteiligt. So ist es in Partnerschaft mit dem Automatisierungsanbieter B&R bereits gelungen, erste Produkte mit der neuen Funktionalität anzubieten. Für Stefan Rebernig von TTTech liegen die Vorteile auf der Hand: „Es geht darum, neue Anwendungsfälle abzubilden, die Maschinen viel enger miteinander vernetzen zu können und OT-Systeme viel tiefer in die IT zu integrieren. Aus diesem Grund ist diese Technologie auch entstanden und wir sind froh, dass sich so viele Unternehmen dazu committen, auf einen offenen Standard zu setzen und damit gemeinsam ein Ökosystem schaffen, das herstellerübergreifend funktioniert.“

Auch wenn die Technologie bereits vorhanden sei, werde es laut Rebernig noch einige Zeit dauern, bis sich der neue Standard etablieren werde. „Bis es vom Endkunden endgültig angenommen wird, wird es noch eine gewisse Zeit benötigen. Solche Vernetzungstechnologien müssen zunächst in den Halbleiter-Bausteinen integriert sein und angeboten werden. Dann müssen es die Automatisierungshersteller zu einer Produktreife bringen, sodass es einfach nutzbar ist. Und schließlich muss es von den Maschinenbauern angewendet und in den Fabriken ausgerollt werden.“

Forschungseinrichtung begleitet Transformationsprozess.

An all diesen Themen wird auch am Austrian Institute of Technology geforscht, wo man sich auch in der Rolle sieht, die Unternehmen durch die digitale Transformation zu begleiten und ihre Skepsis abzubauen. Dabei zeigt sich in der österreichischen Industrie ein äußerst diverses Bild. „Es gibt eine Vielzahl an traditionellen Unternehmen, die teilweise schon über 100 Jahre in Österreich beheimatet sind, und andererseits gibt es viele junge, aufstrebende Unter- nehmen. Sie sind alle auf verschiedene Weise vernetzt – hier zeigt sich ein Unterschied zwischen Brownfield- und Greenfieldanlagen. Die Produktionsanlagen haben typischerweise eine Laufzeit von 30 bis 40 Jahren, in denen sie immer wieder modernisiert werden. Deshalb legen wir am AIT besonderen Fokus auf nachrüstbare Lösungen“, erklärt Stephan Strommer.

Laut den Experten des AIT sei man in Österreich innerhalb der Unternehmen bereits gut vernetzt. Bei der Vernetzung über die Unternehmensgrenzen hinweg hingegen scheint es noch Bedenken zu geben. „Da sind zum Beispiel auch noch einige rechtliche Fragen zu klären: Wer haftet im Schadensfall?“

Ein entscheidender Aspekt ist dabei die Cybersecurity. Der OPC-UA-Standard sieht Sicherheitsmechanismen vor – von Passwortidentifizierung über RSA-Verschlüsselungen. Doch AIT-Experte David Gruber sieht noch Herausforderungen in der Umsetzung: „Die Umsetzung verbraucht zusätzliche Ressourcen, die sich Firmen in der Entwicklung nicht immer leisten können oder wollen. Deshalb sollte die Awareness für dieses Thema in den Unternehmen gesteigert werden.“