Wettbewerbsfähigkeit : Experten-Meinung: Wilfried Sihn über die Zukunftsaussichten des Produktionsstandortes Österreich

Sihn Wilfried Fraunhofer

Wilfried Sihn, langjähriger früherer Geschäftsführer von Fraunhofer Austria Research, schreib an dieser Stelle monatlich.

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März 2024: "KI ist keine Wunderwaffe"

Künstliche Intelligenz kann nicht die Probleme eines schwächelnden Industriestandorts kompensieren, meint Wilfried Sihn.

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Sei es als Chat-GPT, um Schulaufgaben einfacher zu lösen oder Aufsätze zu schreiben oder, um den Verkehr intelligenter zu lenken oder, oder… Wir stehen da erst am Anfang und können uns nicht so recht vorstellen, was da alles auf uns zukommt. So auch in der industriellen Praxis. Ohne KI lassen sich Innovationsprojekte kaum noch darstellen. Manchmal bekomme ich den Eindruck, dass KI für viele Unternehmen so etwas wie einer der letzten Strohhalme ist, der sie vor dem Ertrinken retten soll. Ich kann Ihnen versichern, dass auch KI in all ihren Facetten keine Wunder bewirken wird und schon gar nicht die grundsätzlichen Probleme eines Industriestandortes lösen wird. KI und die dahinterliegende Data-Science kann uns in vielen technologischen Bereichen deutliche Verbesserungen bringen, und uns damit am Weltmarkt auch wieder helfen zu bestehen. Weil wir technologisch besser sind.

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Und dazu gibt es vielfältige sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für Methoden der Künstlichen Intelligenz. Gerade im technologischen Bereich müssen wir uns in Österreich nicht verstecken und sind in einigen Bereichen, was den KI-Einsatz angeht, führend. Als ein Beispiel sei die Entwicklung von Chat-Bots für die Instandhaltung bei Fraunhofer Austria erwähnt. Dies ist eine Möglichkeit, um mit KI die Verfügbarkeit technischer Anlagen und Systeme deutlich zu erhöhen. An den Kosten werden wir wenig verändern können, also müssen wir die Produktivität erhöhen. Und das kann mit Hilfe von KI gelingen. Aber eine Wunderwaffe ist es nicht.

An den grundsätzlichen Problemen eines Industriestandortes löst KI nichts.

Februar 2024: "Sägen an Ast, auf dem wir sitzen"

Kommen wir nicht zur Vernunft, werden viele Unternehmen den Wettbewerbsdruck nicht überleben, so Wilfried Sihn.

Wenn man sich die Zukunftsaussichten des Produktionsstandortes Österreich anschaut, dann kann man schon ein flaues Gefühl im Bauch bekommen. Österreich ist – zum Glück – nach wie vor ein Produktions- aber auch Exportland. Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie wird aber aus verschiedenen Gründen - es gibt stets mehrere einander beeinflussende Gründe - immer schlechter. Unsere Produktionskosten und hier insbesondere die Lohn- und Energiekosten werden im Vergleich mit unseren europäischen Wettbewerbern immer höher. Beispielhaft seien hier nur die Energiekostensteigerungen und KV-Abschlüsse genannt.

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Damit ich nicht missverstanden werde: Ich verstehe jeden Arbeitnehmer, der um mindestens einen Inflationsausgleich kämpft! Aber in vielen Ländern in Europa wie etwa Deutschland, Schweiz oder Spanien, dort, wo unsere Marktbegleiter sitzen, sind die Inflationsraten seit Jahren deutlich niedriger, von den Energiekosten ganz zu schweigen. Am Ende sägen wir gerade an dem Ast, auf dem wir sitzen. Das neue Normal in Österreich wird sein, dass viele Unternehmen diesen Wettbewerbsdruck nicht überleben werden.

Mit Produktivitätsgewinnen lässt sich dieser Kostennachteil nicht länger ausgleichen.

Mit Produktivitätsgewinnen lässt sich dieser Kostennachteil nicht länger ausgleichen, zumal wir die dazu notwendigen Fachkräfte gar nicht mehr haben werden. In vielen erfolgreichen mittelständischen Unternehmen – und Österreich ist ein Land der Mittelständler – hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass das mögliche Wachstum nicht mehr in Österreich generiert werden kann und man froh sein muss, wenn es gelingt, die Mitarbeiterzahl konstant zu halten. Das Wachstum wird dort abgebildet, wo Wertschöpfung noch wirtschaftlich abbildbar ist. Und diese „Lower Cost Regionen“ liegen teilweise vor unserer Haustüre.

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Einsicht ist der erste Weg zur Besserung heißt es so schön. Aber diese Einsicht ist jetzt dringend in der Politik erforderlich, weil wir sonst unsere Wettbewerbsfähigkeit zunehmend auf nimmer Wiedersehen verlieren werden. Wenn wir nicht aufpassen, dann wird das neue Normal eine langsame, aber sichere Abwanderung industrieller Wertschöpfung sein. Und das will wohl keiner, auch die Politik nicht.