Kommentar : Liefernetze statt Lieferketten

Manuel Schmelz Business Developement DACHSER

Einsparpotenzial und Kosteneffizienz ikönnten künftig aber zu kurz gedacht sein, findet Dachser-Experte Manuel Schmelz.

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Als Logistiker sage ich es ungern, aber die Stabilität der globalen Lieferketten ist eine heikle Angelegenheit. Zu viele bewegliche Teile und Interessengruppen können Probleme und damit Kosten verursachen. Wir unternehmen natürlich alles Menschenmögliche, um Lieferketten berechenbarer zu halten, aber die Pandemie, Chinas Null-Covid-Politik, höhere Zölle aufgrund des amerikanisch-chinesischen Handelskrieges gepaart mit Teuerungswellen, wie seit 50 Jahren nicht, bleiben nicht folgenlos. Laut einer Umfrage von Gartner unter 400 Supply-Chain-Leadern im zweiten Quartal 2022 haben 74 Prozent von ihnen Änderungen in den letzten zwei Jahren an Größe und Anzahl der Standorte in ihrem Liefernetz vorgenommen. Es ist also nichts weniger als eine Transformation der Lieferkette im Gange. Um ihre Abhängigkeiten zu verringern, beginnen führende Marken, Teile ihrer Produktion aus China abzuziehen. Die Zeiten, in denen Unternehmen Container günstig aus Asien transportieren konnten, sind vorbei.

Apple zeigt es vor

Im September fertigte Apple die ersten iPhone 14s in seiner neuesten Produktionslinie in Chennai, Indien. Bis 2025 will Apple ein Viertel aller iPhones in Indien produzieren. Noch produziert Apple 90 Prozent seiner Produkte in China. Laut JPMorgan wollen sie diese Quote bis 2025 auf 75 Prozent drücken. Ein Fünftel aller iPads und Apple Watches sowie die Hälfte aller AirPods sollen in Vietnam produziert werden, dem nächstgelegenen Land zum chinesischen Produktionszentrum Shenzhen. Das macht den hochgradig aufwendigen Umzug des Fertigungsökosystems einen Hauch weniger kostspielig. Um die neuen US-Zölle zu umgehen, sind laut dieser Studie Samsung und LG Electronics bereits aus China weggezogen. Auch Hasbro verlagerte die Produktion wegen der Zölle aus China in Richtung Südostasien und Indien. Google lässt seine Geräte ohnehin in Südostasien und Taiwan herstellen, da ihre Produkte in China so gut wie verboten sind.

Schlüsselprodukte kommen zurück in Heimatmärkte

Alles aus China zu verlagern, der Fabrik der Welt, ist nicht nur unvernünftig, es ist auch unmöglich. Lässt sich doch die jahrzehntelang aufgebaute chinesische Infrastruktur nicht ganz so leicht umziehen wie ein IKEA-Sofa. China hat nicht nur eine immense Anzahl an Fabriken und umfangreiche Erfahrung, das Land besitzt auch die Hälfte der größten Containerhäfen der Welt. Und wenn gerade kein Lockdown ist, auch die Arbeitskräfte und Maschinen, um alles zu bewegen. Stufe eins der Lieferketten-Transformation ist eine Diversifizierung. Unternehmen machen ihre Lieferketten resilienter, indem sie die Risiken auf mehrere Standorte verteilen und versuchen, Schlüsselprodukte selbst herzustellen.

Die Engpässe an Mikrochips, die jede erdenkliche Branche beeinflussen, haben die dramatischen Folgen der Abhängigkeiten so weit verdeutlicht, dass Länder wie die USA mit dem „US CHIPS and Science Act“ Anreize setzen, sich elektronisch selbst zu versorgen. Durch die Fortschritte in Fertigungstechniken und Robotik ist es durchaus möglich, dass die USA zu einem globalen Fertigungszentrum für Elektronik wird. Klappt das, könnte mit der Pharmabranche eine nächste Schlüsselindustrie nachziehen.

Was wir jetzt tun können

Die Inflation, Nachhaltigkeitsziele und nationale Industriepolitik werden die Architektur vieler herkömmlicher Lieferkettenorganisationen auch weiterhin unter Druck setzen und zeigen, welche veraltet und nicht mehr für ihre Aufgaben geeignet sind. Vorrausschauend planende Unternehmen ziehen die richtigen Lehren aus den jüngsten Störungen und managen das Risiko mit mehr Resilienz und Agilität, um mit besseren Absorptions- und Wiederherstellungsfähigkeiten vorbereitet zu sein. Sie bauen ihre bisherigen Lieferketten in echte Liefernetze aus intelligenten Logistikprozessen aus. Mit einem größeren Anteil an lokalen, europäischen Routen und weniger globalen Abhängigkeiten. Mit der richtigen Mischung aus digitalen Technologien, die eine bessere Transparenz der Lieferkette, Informationserfassung und Analyse und Entscheidungsfindung ermöglichen. Für Supply-Chain-Manager standen und stehen oftmals Einsparpotenzial und Kosteneffizienz im Vordergrund. Das könnte künftig aber zu kurz gedacht sein. Denn wer jetzt nicht in die digitale Weiterentwicklung investiert, bleibt auf der Strecke. Und mit einem effizienteren und besser planbaren Netz aus Lieferketten werden sie auch nachhaltiger.

Zur Person: Manuel Schmelz ist seit 2021 Business Development Manager bei Dachser Austria.