Energie : Der Strommarkt ist kaputt. Wie kann man ihn reparieren?

Smart Grids: Technische Lösungen für smarte Stromnetze werden längst eingesetzt. Jetzt muss nur noch der Markt funktionieren.

Smart Grids: Technische Lösungen für smarte Stromnetze werden längst eingesetzt. Jetzt muss nur noch der Markt funktionieren.

- © david - stock.adobe.com

Die Preisfindung am Strommarkt funktioniert wie jene am Aktienmarkt: Der Preis der letztverkauften Kilowattstunde bestimmt den Preis für den gesamten Strom, der produziert wird. Bislang ist jene letztverkaufte, teuerste Kilowattstunde Strom immer eine aus fossilen Brennstoffen, fast immer ist das Gas.

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Warum man auf Gas bei der Stromproduktion - auch in Zukunft - nicht verzichten wird

Noch – und wohl auch in Zukunft - kann auf Gas in der Stromproduktion nicht verzichtet werden. Trotz des Ausbaus von erneuerbaren Energiequellen und dem Errichten riesiger Speicherkapazitäten - wie etwa Pumpspeicherkraftwerken - benötigen die Stromnetze Gaskraftwerke zur Stabilisierung. Nur diese sind in der Lage ohne externe Energiezufuhr blitzschnell Schwankungen ausgleichen zu können.

Wenn aber Gas als Stromproduktionsquelle unverzichtbar ist, die Preise jedoch durch die Decke gehen (das war nicht immer so: Jahrzehntelang waren Gaskraftwerke die Energieerzeuger, die Preise nach unten stabilisierten) - und trotz relativ geringem Anteil an der Gesamtproduktion den Preis bestimmen, dann ist die Preisbildung am Markt dysfunktional.

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Großabnehmer der Industrie beziehen ihre - meist lange im Voraus gesicherten Strom-Kontingente - auf Basis jener Futurepreise an der Europäischen Strombörse EEX, die für jedes teilnehmende Land ermittelt werden: Derzeit, zwangsläufig, zu ruinös hohen Preisen. Die Politik – von der EU-Kommission bis zur Bundesregierung – hat das Problem endlich erkannt und arbeitet an Modellen um die Marktmechanismen – über temporäre Eingriffe oder ein neues Marktdesign - wieder wirksam werden zu lassen. Diese Modelle sind derzeit in Diskussion:

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Ist der Strommarkt dysfunktional? Wennn das gesamte Preisgefüge durcheinander ist, wohl schon. - © Strippenzieher - Fotolia

Regulierung: Das Iberische Modell zur Preisstabilisierung

Mitte Juni haben Spanien und Portugal das Merit-Order-System so umgestaltet, dass die Preise für Gas – aber auch Kohle und Öl – für den Betrieb von Kraftwerken auf einen Preis zwischen 35 und 45 Euro pro Megawattstunde festgesetzt wurde. Die Differenz zum weitaus höheren Marktpreis wird den Kraftwerksbetreibern direkt abgegolten. Die durchaus erwünschte Folge: Der Strom aus fossilen Kraftwerken kann günstiger angeboten werden, was sich dämpfend auf den gesamten Strompreis auswirkt. Ebenfalls erwünscht: Der Preis ist jedoch noch immer so hoch, das er Erneuerbare bevorzugt.

Bis Mitte August sind die Strompreise am Spotmarkt auf der Iberischen Halinsel um die Hälfte gefallen. Gesamtwirtschaftlich ist die Einsparung jedoch geringer, weil die Differenz des Gaspreises für die Stromproduktion als Umlage von den Kunden oder den Steuerzahlern bezahlt werden muss. Das Modell funktioniert ausserdem natürlich nur, weil die Iberische Halbinsel eine Strominsel ist. Höchstens 10 Prozent des in Spanien oder Portugal produzierten Stroms könnten nach Europa transportiert werden. Wäre der Markt mit Resteuropa technisch perfekt verbunden, würden sich die Preise natürlich sofort dem europäischen Niveau angleichen.

Eine Iberische Lösung könnte vor allem in dem höchst europäisch intergrierten heimischen Strommarkt nur über eine gesamteuropäische Lösung umgesetzt werden.

Experten - auch aus dem Klimaschutzministerium - weisen jedoch darauf hin, dass erste Daten gezeigt haben, dass durch den Preiscap für Gaskraftwerksbetreiber der Gasverbrauch auf der iberischen Halbinsel sehr stark gestiegen ist. Um insgesamt 70 Prozent dürfte der Gasverbrauch in der Stromerzeugung in den ersten Monaten in Spanien und Portugal zugelegt haben - während Endkonsumenten ohne Pricecap um rund 10 Prozent weniger verbrauchten. Deshalb scheint dieses Modell für Gesamteuropa eher unattraktiv.

Fraktionierter Stromhandel: Das Marktmodell zur Preisstabilisierung

Finanzexperten schlagen vor, den Strommarkt zu fraktionieren. Statt einen Strom-Gesamtpreis zu ermitteln, der, wie sich wie bisher am teuersten Kraftwerk orientiert, sollten die einzelnen Stromarten – mit extrem unterschiedlichen Gestehungskosten – an den Börsen gesondert notieren, wie unterschiedliche Aktien. Dies würde die Preise für Ökostrom deutlich anheben und den Wettbewerb zwischen den Produktionsarten Wasser-, Wind-, Solar- und Fossilenergie weiter fördern. Zugleich würde die Diskussion um die enormen Windfall Profits von Wasserkraftbetreibern wie dem Verbund beendet. Die Verbraucher würden am Ende einen, je nach dem bezogenen Mix, gewichteten Durchschnittspreis zahlen.

Denkbar wäre auch, wie etwa Griechenland vorschlägt, die Preise für erneuerbare Energien zentral festzusetzen – und nur noch Strom aus thermischen Kraftwerken den Marktkräften zu überlassen.

Erst vor wenigen Tagen sprach sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen neben Sofortmaßnahmen auch für eine langfristige Reform der Strompreisbildung in Europa aus, denn der Strommarkt würde in diesem 30 Jahre alten Design so nicht mehr funktionieren. Hoffen wir auf eine baldige EU-weite Lösung, bevor die ersten industrielle Großverbraucher w/o geben müssen.

Großhandelspreise steigen im Oktober deutlich

Die Großhandelspreise für Strom ziehen unterdessen weiter deutlich an. Der von der Österreichischen Energieagentur berechnete Österreichische Strompreisindex (ÖSPI) klettert im Oktober 2022 gegenüber dem Vormonat um 27,6 Prozent. Im Jahresvergleich ergibt sich somit ein Plus vom 319,9 Prozent, teilte die Österreichische Energieagentur am Montag mit. Bezogen auf das Basisjahr 2006, erreicht der Index damit 516,52 Zähler.

Der Grundlastpreis verteuert sich gegenüber dem September 2022 um 26,7 Prozent und steigt damit im Jahresvergleich um 308,6 Prozent. Der Spitzenlastpreis weist im Monatsvergleich ein Plus von 29,7 Prozent auf, gegenüber dem Vorjahresmonat ergibt sich daraus eine Preissteigerung von 349,1 Prozent.

Im ÖSPI ist nur der Großhandelspreis für Strom erfasst. Dieser macht rund 40 Prozent des Gesamtpreises für Strom bei Endkundinnen und -kunden aus. Netzgebühren, Steuern und Abgaben werden dadurch nicht abgebildet. Grundlage des ÖSPI sind die Notierungen für Strom der kommenden 4 Quartale (Strompreis-Futures) an der Energie-Börse EEX (European Energy Exchange) in Leipzig. Diese sind ein Indikator für die Entwicklung des Strompreises. Die Grundlast beschreibt die regelmäßigen, bandförmigen Stromlieferungen, ist die Stromnachfrage zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten besonders hoch, spricht man von Spitzenlast.