Welche realistischen Chancen bestehen, die europäische Militärlogistik zu harmonisieren?
Lampl: Langfristig strebt die EU an, ihre Logistikorganisation zu verbessern. Und zwar durch die Stärkung der MPCC zu einem vollwertigen EU-Hauptquartier, die Ausweitung von Military Mobility zur Beseitigung von Infrastrukturengpässen, die Integration ziviler und militärischer Logistikketten sowie eine Verbesserung der gemeinsamen europäischen Beschaffungspolitik.
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Kann die EU mittelfristig eigenständig agieren, solange sie bei strategischem Transport und Logistiknetzwerken auf die NATO angewiesen ist?
Lampl: Die EU verfügt mit dem EU-Militärstab (European Union Military Staff, EUMS) über eine militärische Planungs- und Führungsstruktur, die insbesondere im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) eingesetzt wird. Allerdings ist die EU im Bereich der Militärlogistik in erheblichem Maße auf die Ressourcen und Strukturen der NATO angewiesen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer engen Koordination zwischen beiden Organisationen. Die NATO verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der multinationalen Logistikplanung und über zentrale Fähigkeiten wie strategischen Lufttransport, Einsatz von Seetransportkapazitäten, logistische Unterstützungsnetzwerke, logistische Informationssysteme und standardisierte Verfahren (NATO-Standards, sog. STANAGs). Diese bilden eine Grundlage, an die sich die EU zwangsläufig anlehnen muss. Der EU-Militärstab ist daher in seiner Arbeit stark darauf ausgerichtet, komplementär zur NATO zu agieren, anstatt parallele Strukturen zu schaffen.
Inwiefern tragen Berlin-Plus-Abkommen und gemeinsame Projekte wie Military Mobility dazu bei, Synergien zu nutzen?
Lampl: Auf der militärpolitischen Ebene existieren bereits institutionalisierte Formate, etwa die Vereinbarungen im Rahmen der Berlin-Plus-Abkommen, die es der EU ermöglichen, auf NATO-Planungs- und Logistikressourcen zurückzugreifen, sofern die NATO selbst nicht aktiv ist. Gleichzeitig wird in gemeinsamen Initiativen wie „Military Mobility“ versucht, zivile und militärische Infrastrukturen für beide Organisationen gleichermaßen nutzbar zu machen. Die Koordination ist jedoch nicht frei von Spannungen. Unterschiedliche Interessen einzelner Mitgliedsstaaten – insbesondere jener, die gleichzeitig Mitglied der NATO und der EU sind – führen mitunter zu Blockaden. Dennoch bleibt derzeit klar: Ohne eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen EUMS und NATO im Bereich der Militärlogistik wäre die EU derzeit nicht in der Lage, größere Operationen selbstständig durchzuführen.
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Wie entscheidend wäre der Aufbau robusterer Strukturen für die strategische Autonomie der EU?
Lampl: Neben der engen Kooperation mit der NATO wird es für die EU zunehmend wichtiger, eigene Führungs- und Steuerungsfähigkeiten (Command and Control - C2-Strukturen) aufzubauen. Bislang stützt sich die EU im Rahmen ihrer Operationen oftmals auf die Planungs- und Führungsstrukturen der NATO oder auf nationale Hauptquartiere einzelner Mitgliedsstaaten (zB. Das Operations Headquarters in Larissa für die EUNAVFOR – Operation Aspides). Dies schränkt jedoch die Handlungsfreiheit ein und wirft die Frage nach der strategischen Autonomie Europas auf. Um bei EU-geführten Einsätzen eigenständig agieren zu können, muss der EU-Militärstab über robuste C2-Strukturen verfügen, die von der strategischen Planung bis hin zur operativen Führung reichen. Dazu gehören: ein ständiges, einsatzfähiges Hauptquartier (Military Planning and Conduct Capability, MPCC), einheitliche Verfahren für die logistische Unterstützung sowie gemeinsame digitale Plattformen zur Lageführung, Kommunikation und Koordination. Gerade in der Militärlogistik bedeutet dies, dass Transportkapazitäten, Versorgungsnetze und Infrastrukturnutzung nicht nur politisch geplant, sondern auch in Echtzeit koordiniert und geführt werden müssen. Ein eigenständiges C2-System (Military Movement Coordination Center) der EU würde hier die notwendige Flexibilität schaffen, um schnell und unabhängig von der NATO zu reagieren aber auch bei Naturkatastrophen die zivilen Organisationen zu unterstützen.
Welche Vorteile hätte eine engere Verknüpfung ziviler Infrastruktur mit militärischen Logistiknetzen für Krisenbewältigung und Katastrophenschutz?
Lampl: Moderne Krisenbewältigung – ob humanitäre Katastrophenhilfe, Stabilisierungseinsätze oder militärische Verteidigung – erfordert die Nutzung ziviler Infrastruktur (z. B. Häfen, Eisenbahnnetze, Energieversorgung, Kommunikationssysteme). Eine enge Integration ermöglicht es, Synergien zu schaffen und begrenzte Ressourcen effizienter einzusetzen.
Kann der Aufbau eigener EU-Fähigkeiten im Bereich Logistik und Führung die Zusammenarbeit mit der NATO stärken?
Lampl: Die Entwicklung eigener C2-Fähigkeiten ist nicht als Konkurrenz zur NATO zu verstehen, sondern als Ergänzung. Sie erhöht die strategische Handlungsfähigkeit der EU, stärkt die Resilienz und erlaubt ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Komponenten.