Rheinmetall, Trumpf, ZF Friedrichshafen : Milliarden fürs Militär: Wie der Rüstungsboom Maschinenbau und die Autoindustrie verändert

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Die EU-Staaten haben zu wenig für ihre eigene Verteidigungsfähigkeit getan – nun soll sich das ändern. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant, 800 Milliarden Euro für die europäische Aufrüstung bereitzustellen. Ein zentraler Bestandteil ist ein neuer Fonds in Höhe von 150 Milliarden Euro, der die Mitgliedsstaaten durch Kredite bei Verteidigungsinvestitionen unterstützen soll. Zudem kommt eine Ausnahme von den europäischen Schuldenregeln, damit EU-Länder zusätzliche Schulden für Rüstungsausgaben aufnehmen können, ohne ein Defizitverfahren befürchten zu müssen.
Europas Abhängigkeit von den USA
Neben den finanziellen Mitteln benötigt Europa auch die industriellen Kapazitäten, um die geplante Aufrüstung erfolgreich umzusetzen. Seit 2015 haben die Staaten der Europäischen Union ihre Verteidigungsanstrengungen lediglich moderat verstärkt. Laut Daten der Europäischen Verteidigungsagentur EDA stiegen die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten von 150 auf 240 Milliarden Euro jährlich. Inflationsbereinigt eine Steigerung um knapp über 10 Prozent gegenüber 2015. Von den Rüstungsausgaben wurden gerade einmal 22 Prozent in Europa produziert. 78 Prozent der Waffenbestellungen wurden laut Daten der EU-Kommission außerhalb Europas vergeben – mit den USA als Hauptlieferant, die 63 Prozent der Bestellungen abdeckten. Um die Abhängigkeit von Waffenimporten zu verringern, müssen europäische Produktionsstätten für Waffen, Munition und militärische Ausrüstung ausgebaut, Lieferketten gesichert und Fachkräfte gewonnen werden. Der politische Wille scheint vorhanden - unmittelbar nach der Bundestagswahl in Deutschland sagte, der voraussichtlich nächste Bundeskanzler Deutschlands, Friedrich Merz: „Für mich wird absolute Priorität haben, so schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt eine wirkliche Unabhängigkeit von den USA erreichen.“
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Munition statt Autoteile – Deutschlands industrielle Konversion
Die Umstellung von Produktionsstrukturen nennt die Industrie „Konversion“. Deutschland hat diesen Prozess bereits erlebt – allerdings in die entgegengesetzte Richtung. In den 1990er-Jahren wurde die Rüstungsindustrie des Kalten Krieges in Ost und West weitgehend zurückgefahren. Aus Serienfertigungen für Panzerfahrzeuge, Artillerie und Rüstungselektronik entstanden kleinere Manufakturen. Jetzt steht der deutschen Industrie erneut eine Konversion bevor – diesmal von der zivilen Produktion hin zur militärischen. Hersteller von Panzern, Munition und Militärfahrzeugen suchen nach Produktionskapazitäten, Fachkräften und Fabriken, um den immer dringlicher werdenden Anfragen nachzukommen und ihre Produktion zügig hochzufahren.
KNDS: Panzer statt Bahntechnik aus Görlitz
Zum Beispiel der deutsch-französischen Panzerbauer KNDS. Das Unternehmen, das 2015 aus dem “Leopard 2”-Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und der französischen Nexter entstanden ist, hat erst Anfang Februar ein neues Werk in Görlitz eingeweiht.
KNDS hat dafür ein Werk des französischen Zugherstellers Alstom umfunktioniert. Statt Strassenbahnen und S-Bahnzügen werden hier in Zukunft Komponenten für Kampfpanzer hergestellt. Etwa die Hälfte der 700 Mitarbeiter wurden dafür übernommen.
Der Panzerbauer KNDS, ein Unternehmen mit 9500 Mitarbeitern, hat einen Umsatz von 3,3 Mrd. Euro - und will weiter stark expandieren. Mit einem Börsengang dürfte das Unternehmen, das der Krauss-Maffei-Eigentümerfamilie Wegmann und der Republik Frankreich gehört, noch heuer oder spätestens 2016 Kapital dafür aufbringen.
Rheinmetall: Autozulieferfabriken werden zu Waffen-Komponentenwerken
Bei Rheinmetall, dem Hersteller des Schützenpanzers Puma, kooperiert man schon länger im Personalbereich mit der Automobilzulieferindustrie. Der Hersteller von Panzerhaubitzen, Munition sowie Luftverteidigungssystemen hat eine Vereinbarung mit dem kriselnden Autozulieferer Continental. Insgesamt 700 Conti-Mitarbeiter, die von Werksschließungen betroffen sind, etwa im unrentablen Conti-Bremsen-Werk im niedersächsischen Gifhorn, sollen übernommen werden.
Jetzt sollen auch größere Produktionskapazitäten über die Umwidmung der eigenen Autozulieferwerke geschaffen werden. Insgesamt betreibt der Konzern, der 2023 einen Umsatz von rund 7,2 Milliarden Euro gemacht hat, 180 Werke, von denen 24 Komponenten für die Autoindustrie produzieren. Zwei davon sollen in einem ersten Schritt zu hybriden Standorten umgerüstet werden. Das Werk Berlin dürfte in Zukunft – neben den Aktivitäten in der Brennstoffzellentechnologie – künftig überwiegend mechanische Teile für den militärischen Bedarf fertigen, am Standort in Neuss werden neben zivilen auch Komponenten für den militärischen Bedarf hergestellt.

Im Rüstungsgeschäft nutzt Rheinmetall derzeit alle Möglichkeiten, um die Stückzahlen zu erhöhen, auch und insbesondere im MunitionsbereichRheinmetall-Chef Armin Papperger
Hensoldt: Mitarbeiter von Bosch und Continental für die Serienfertigung
Eine ähnliche Partnerschaft wie Rheinmetall hat auch der bayrische Radarspezialist Hensoldt mit Continental geschlossen – und ist auch bei Bosch im Gespräch, um Mitarbeiter zu übernehmen. Der Grund: Das Unternehmen stellt die Produktion seiner Sensorik- und Verteidigungselektroniklösungen gerade eine Serienfertigung um - und hat daher dringenden Bedarf nach Ingenieurwissen. Die Nachfrage nach Hensold Radarsysteme zur Luft- und Raketenabwehr, die in der Ukraine ihre Feuertaufe bestanden haben, ist in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen.
Um das Produktionsvolumen zu steigern, überlegt man bei Hensoldt außerdem, bestimmte Komponenten durch Auftragsfertigung von Firmen herstellen zu lassen, die bisher auf die Autobranche spezialisiert waren. Hensoldt verbaut etwa Kabelbäume in Sensoren, wie sie auch von Autozulieferern in Fahrzeugen verbaut werden.

Damit würden wir der etablierten Basis der Automobilindustrie Auslastung zur Verfügung stellen.Oliver Dörre, CEO Hensoldt
Und jene Automobil- und Automobilzulieferindustrie, die durch den Technologiewechsel vom Verbrenner zum Stromer gerade in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, gehen auch aktiv auf die Rüstungshersteller zu.
ZF Friedrichshafen: Angebot an Rüstungsunternehmen
Etwa ZF Friedrichshafen, der zweitgrößte Automobilzulieferer Deutschlands. Das Unternehmen, das im Vorjahr mit der Herstellung von Getrieben, Lenkungen, Achsen, Kupplungen oder Stoßdämpfern 22 Milliarden Euro Umsatz gemacht hat, prüft derzeit die Abspaltung seines unrentablen Antriebsgeschäftes – und sucht nach neuen Eigentümern für Standorte, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Das Unternehmen unterstützt zudem seine Mitarbeiter bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen in diesem Bereich.
„In diesem Zusammenhang standen wir unter anderem auch in Kontakt mit Rüstungsunternehmen“, erklärt ein ZF-Sprecher. Die große industrielle Basis Deutschlands könnte so zur Grundlage für ein künftig auch militärisch potentes Europa werden: „Wo der Wandel im Fahrzeugantrieb Arbeitsplätze kostet, könnten industrielle Synergien entstehen, wenn Europa jetzt verstärkt in seine eigene Sicherheit investiert“, so ZF weiter.
Maschinenbauer Trumpf: Strategischer Turnaround zur Verteidigung?
Nun erwägt sogar der deutsche Maschinenbauer Trumpf, erstmals in der fast einhundertjährigen Firmengeschichte in die Entwicklung von Rüstungsgütern einzusteigen. Das Unternehmen, das eigentlich auf Schneide-, Stanz- oder Biegemaschinen spezialisiert ist, hat für seine Säge- und Fräsmaschinen in den letzten Jahrzehnten eine gut gehende Lasertechnik-Sparte aufgebaut. Mittlerweile beherrscht Trumpf Lasertechnologie in einer Breite wie kein anderes Unternehmen: Von der Belichtung von Halbleitern bis hin zum 3-D-Metalldruck oder dem Schneiden dicker Bleche.
Bislang regelt ein Gesellschaftervertrag, dass sich das christlich geprägte Familienunternehmen nicht an der Produktion von Waffen beteiligt, doch Miteigentümer und Aufsichtsratschef Peter Leibinger hat zuletzt mehrmals die Notwendigkeit dafür betont – und nach mehrjährigen Verhandlungen innerhalb der Eigentümerfamilie zeichnet jetzt sich die Entscheidung ab, gemeinsam mit Rüstungskonzernen Laser zur Drohnenabwehr zu entwickeln.
Rechtliche Hürden
Um die neu geschaffenen Kapazitäten in der Rüstungsindustrie vollständig auszulasten, sind insbesondere in Deutschland aber auch gesetzliche Änderungen notwendig. Tom Klindt, Partner bei der Kanzlei Noerr, erläutert gegenüber dem Handelsblatt, dass es „in Deutschland gesetzlich verboten ist, Rüstungsgüter auf Vorrat zu produzieren. Das bedeutet, dass die Industrie erst dann investieren kann, wenn sie feste Aufträge vorweisen kann.“
Diese Regelung lässt sich auf die Erfahrungen aus der Weimarer Republik zurückführen, als Industrie und Militär nach dem Ersten Weltkrieg heimlich für einen neuen Krieg aufgerüstet haben. Obwohl die Gesetzeslage im historischen Kontext nachvollziehbar ist, stellt diese Klausel heute eine erhebliche Barriere für die Industrie dar. Ohne Aufträge muss die Branche die laufende Produktion stoppen, mit Auswirkungen auf Lieferketten und Mitarbeiter. Eine bessere Koordination der Rüstungskäufe in Europa könnte bereits eine Lösung bieten: Großaufträge würden nicht nur die Produktion effizienter gestalten und die Stückkosten senken, sondern auch für eine verbesserte Planbarkeit sorgen, was die Auslastung der Industrie erhöhen würde.