Lieferketten : ABB-Chef Rosengren: "Nicht sehr vielversprechend" – Kriegsfolgen für die Elektroindustrie

ABB-Konzernchef Björn Rosengren

ABB-Konzernchef Björn Rosengren zu Russland: "Müssen eine Entscheidung treffen."

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Der Elektrotechnikkonzern ABB kämpft mit Lieferengpässe bei Komponenten im Geschäftsbereich Robotik & Fertigungsautomation. Der Schweizer Konzern ist in Österreich mit sechs Standorten vertreten. Die Produkte fokussieren sich auf Kunden in den Bereichen Industrie, Energieversorgung, sowie Transport und Infrastruktur.

Ganz allgemein kann die Elektroindustrie in Österreich zwar über eine gute Auftragslage berichten, hat aber mit hohen Energie- und Rohstoffpreisen sowie Problemen in der Lieferkette zu kämpfen. Das ist auch der Grund, warum die Branche um sechs Prozent mehr Lohn bzw. Gehalt fordert.

Im Vorjahr erhielten die 67.000 Beschäftigten der heimischen Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI) um 2,0 Prozent mehr Gage. Die neuen Forderungen seien "mehr als heftig", heißt es von Arbeitgeberseite. Entsprechend sind die KV-Verhandlungen in der zweiten Gesprächsrunde ohne Ergebnis unterbrochen worden. Für den 25. April ist eine Konferenz der Betriebsräte geplant, am 26. April geht es in die dritte Verhandlungsrunde.

Zurück zu ABB. Auch der Konzern hat zuletzt von einer anhaltend hohen Nachfrage aus den verschiedensten Industriesegmenten profitiert. Der Auftragseingang legte dabei kräftig zu. Die Umsätze aber zogen nur moderat an – wegen der anhaltenden Engpässe in den Lieferketten. Der Auftragseingang fiel mit 9,37 Milliarden US-Dollar (rund 8,6 Mrd. Euro) um 21 Prozent höher aus als im Vorjahresquartal. Rechnet man die Konsolidierungs- und Währungseffekte heraus, ergab sich gar organisch ein Plus von 28 Prozent.

Etwas anders sah es beim Umsatz aus. Dieser lag mit 6,97 Milliarden US-Dollar nur knapp über dem Vorjahreswert. Gebremst wurden die Verkäufe eben vor allem durch Lieferengpässe.

Die Erwartungen der Analysten hat der Konzern, der unter anderem mit Siemens und Siemens Energy konkurriert, beim Auftragseingang und Gewinn übertroffen, der Umsatz lag dagegen hinter den Erwartungen. Für das zweite Quartal werden Marktaktivitäten weitgehend auf dem Niveau des Vorquartals in Aussicht gestellt.

Derzeit prüft ABB einen kompletten Ausstieg aus dem russischen Markt. Man werde voraussichtlich im Verlauf des Sommers entscheiden, ob das Unternehmen das Land verlasse, erklärte Konzernchef Björn Rosengren am Donnerstag auf einer Telefonkonferenz. Kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hatte ABB die Annahme von neuen Aufträgen ausgesetzt und die Mitarbeiter bei Lohnfortzahlung für drei Monate nach Hause geschickt.

"Je näher wir dem Ende der Frist von drei Monaten kommen, desto eher müssen wir eine Entscheidung treffen", sagte Rosengren. "Aus meiner Sicht sieht es nicht sehr vielversprechend aus." ABB erwirtschaftete 2021 ein bis zwei Prozent des Konzernumsatzes in Russland. ABB beschäftige in Russland rund 750 Personen und betreibe eine Fabrik für elektrische Komponenten, die gegenwärtig allerdings geschlossen sei. Bei einer geringen Zahl von Aufträgen sei der Konzern aber rechtlich verpflichtet, diese abzuschließen. Komme ABB dieser Verpflichtung nicht nach, gefährde das Unternehmen die Mitarbeiter und sich selbst. "Die Mehrheit der Mitarbeiter ist immer noch zu Hause und Aktivität in Russland ist zur Zeit sehr, sehr begrenzt", sagte der Konzernchef.

Folgen des Kriegs für Elektroindustrie

Die Lage der Elektroindustrie ist nicht auf Österreich beschränkt, sind die Probleme in der Beschaffung doch vor allem durch den Krieg Russlands in der Ukraine bedingt. Auch die Branche in Deutschland spürt die Folgen deutlich.

So spricht das Automatisierungsunternehmen Sigmatek etwa von einer Kopf stehenden Branche, einer "in dieser Form noch nie dagewesenen globalen Halbleiterverknappung", Wartezeiten von 80 Wochen für simpelste Bauteile und massiven Kostensteigerungen.

Rund 69 Prozent aller Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie erwarten Kostensteigerungen im Einkauf und fast die Hälfte rechnet mit spürbaren Einbußen bei Umsatz und Gewinn, wie eine Umfrage unter knapp 1.400 Betrieben Ende März ergab. Dabei konnte jedes dritte Unternehmen aufgrund der extremen Unsicherheit noch gar keine Prognose abgeben.

Während die Hälfte der Betriebe mit russischen Kunden bereits ihre Exporte gestoppt habe, sei die Suche nach neuen Lieferanten merklich schwieriger. Denn aus Russland, der Ukraine und Belarus kommen viele Rohstoffe und Vorleistungen, die weiterverarbeitet werden.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sieht die Umfrage nur als aktuelle Bestandsaufnahme. "Was sich im Falle einer Verschärfung des Krieges, von weitergehenden Sanktionen oder durch Zweitrundeneffekte, etwa durch hohe Inflation, an Auswirkungen ergäbe, ist überhaupt nicht abzusehen", warnte Hauptgeschäftsführer Oliver Zander. "Die Folgen eines Energie- und Rohstoffembargos wären aber definitiv dramatisch und schon jetzt droht der M+E-Industrie eine massive Kostenexplosion und ein erneutes Rezessionsjahr."

Die deutsche Metall- und Elektro-Industrie leidet ohnehin noch unter der Coronakrise und ist weit von alter Stärke entfernt. Im vergangenen Jahr produzierten die Betriebe nur 4,5 Prozent mehr als im Jahr davor und somit deutlich weniger als ursprünglich angenommen. 2019 war die M+E-Produktion um 4,5 Prozent geschrumpft und 2020 um weitere 14 Prozent. Bereits eine Woche vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte Gesamtmetall-Chefvolkswirt Lars Kroemer erklärt, die Branche werde das Vorkrisenniveau von 2018 auch 2022 verfehlen.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat jüngst zu einer Umfrage erklärt, der Krieg verschärfe die schon bestehenden Probleme für die stark vernetzte deutsche Industrie. Demnach melden rund 60 Prozent der Unternehmen zusätzliche Störungen in der Lieferkette und Logistik als Folge des Kriegs.

ABB-Konzernchef Björn Rosengren: "Entscheidungen nicht überstürzen"

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Auch Ausbau spürt Folgen

Der Krieg in der Ukraine bremst aber auch den Umbau des Elektrotechnikkonzerns ABB. So wurde der Entscheid zur Verselbstständigung des Turbolader-Geschäfts aufgeschoben, wie Konzernchef Björn Rosengren sagte. Statt wie bisher bis zum Ende des laufenden Quartals will ABB nun erst bis Mitte Jahr einen Entschluss fassen. Rosengren verwies auf die Verunsicherung, die der Krieg bei den Anlegern ausgelöst habe.

ABB wolle sich zwar weiterhin von dem kürzlich in Accelleron umbenannten Geschäft trennen. "Aber wir werden die endgültige Entscheidung nicht überstürzen."

Am Fahrplan für das Geschäft mit Ladesäulen für Elektrofahrzeuge hält ABB dagegen fest. Auch die Pläne zum Ausstieg aus dem Bereich Power Conversion blieben unverändert.

Zur Stärkung des Kerngeschäfts in der Elektrifizierung und Automatisierung peile ABB im Gegenzug mindestens fünf kleine bis mittlere Zukäufe pro Jahr an. "Wir haben eine Reihe neuer M&A-Möglichkeiten identifiziert, die wir uns en detail anschauen werden", sagte Rosengren. Dank der starken Bilanz und den Erlösen aus dem laufenden Geschäft sei der Siemens-Konkurrent in der Lage, Übernahmen zu stemmen und gleichzeitig Barmittel an die Aktionäre auszuschütten. (apa/red)