Energieversorgung : Köppl-Turyna: "Es muss an einer europäischen Lösung gearbeitet werden"

Monika Köppl-Turyna, Direktorin des ECO Austria Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht in einer Diskussionsrunde am 23. Industriekongress in Wien über Sanktionen und Energiepreise.

Ökonomin Dr. Monika Köppl-Turyna

- © Matthias Heschl

Angesichts der hohen Energiepreise werden die Rufe nach einer Reform des Strommarktes immer lauter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat darauf bereits reagiert genau diese Reform angekündigt. Was für viele noch vor wenigen Monaten unvorstellbar war, könnte eventuell bald zur Realität werden.

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Klimaschonend und billig – so wird der Strom aus erneuerbaren Energien gerne bezeichnet. Doch das gilt nur für die Theorie, denn in Europa zählt das Merit-Order-Prinzip. Dieses besagt, dass sich die Strompreise nach dem teuersten Erzeuger richten. Heute sind das Gaskraftwerke – und Gas ist aufgrund der geopolitischen Entwicklungen immer knapper und damit extrem teuer geworden. Für viele Industrielle scheint dieses System nicht mehr zeitgemäß. Schließlich würde jetzt mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert, als das zu Beginn der Liberalisierung der Fall war.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich vor Kurzem neben einigen Sofortmaßnahmen auch für eine langfristige Reform aus, denn der Strommarkt würde in diesem 30 Jahre alten Design so nicht mehr funktionieren. Putin versuche mit Gewalt diesen zu zerstören, so von der Leyen.

EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
© Europäische Kommission

Frankreich, Spanien und Italien wollten bereits vor dem Ukraine-Krieg den Gas- vom Strommarkt trennen, Deutschland und Österreich waren dagegen. Durch die hohen Kosten kam es jetzt in der Politik vieler Länder – von der EU-Kommission bis zur Bundesregierung - aber doch zu einem Umdenken und die Länder müssen sich auf eine gemeinsame Linie einigen.

Es wird bereits an unterschiedlichen Modellen gearbeitet, um die Marktmechanismen – über temporäre Eingriffe oder ein neues Marktdesign – wieder wirksam werden zu lassen. Die grundlegende Reform soll dann Anfang 2023 präsentiert werden.

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Diese Modelle stehen zur Diskussion:

Das iberische Modell

Mitte Juni haben Spanien und Portugal das Merit-Order-System so umgestaltet, dass die Preise für Gas – aber auch Kohle und Öl – für den Betrieb von Kraftwerken auf einen Preis zwischen 35 und 45 Euro pro Megawattstunde festgesetzt wurde. Die Differenz zum weitaus höheren Marktpreis wird den Kraftwerksbetreibern direkt abgegolten.

Die durchaus erwünschte Folge: Der Strom aus fossilen Kraftwerken kann günstiger angeboten werden. Und dies wirkt sich dämpfend auf den gesamten Strompreis aus. Ebenfalls erwünscht: Der Preis ist jedoch noch immer so hoch, das er Erneuerbare Energie bevorzugt.

Bis Mitte August sind die Strompreise am Spotmarkt auf der Iberischen Halbinsel bereits um die Hälfte gefallen. Das Modell funktioniert allerdings nur, weil die Iberische Halbinsel eine Strominsel ist. Höchstens 10 Prozent des in Spanien oder Portugal produzierten Stroms könnten nach Europa transportiert werden. Wäre der Markt mit Resteuropa technisch perfekt verbunden, würden sich die Preise sofort dem europäischen Niveau angleichen.

Eine Iberische Lösung könnte vor allem in dem höchst europäisch intergrierten heimischen Strommarkt nur über eine gesamteuropäische Lösung umgesetzt werden.

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Die „Fraktionierte Strombörse“

Finanzexperten schlagen vor, den Strommarkt zu fraktionieren. Statt einen Strom-Gesamtpreis zu ermitteln, der sich wie bisher am teuersten Kraftwerk orientiert, sollten die einzelnen Stromarten den Börsen gesondert notieren, wie unterschiedliche Aktien. Dies würde die Preise für Ökostrom deutlich anheben und den Wettbewerb zwischen den Produktionsarten Wasser-, Wind-, Solar- und Fossilenergie weiter fördern. Die Verbraucher würden am Ende einen, je nach dem bezogenen Mix, gewichteten Durchschnittspreis zahlen.

Denkbar wäre auch, wie etwa Griechenland vorschlägt, die Preise für erneuerbare Energien zentral festzusetzen – und nur noch Strom aus thermischen Kraftwerken den Marktkräften zu überlassen.

Strompreisdeckel für Verbraucher

Beim dritten Modell würde der Marktpreis für Strom gleich bleiben, die Auswirkungen hoher Preise für Konsumenten und Verbraucher jedoch über Ausgleichszahlungen gemildert. Gedeckelt würde ein vordefinierter Basisbedarf, etwa die Hälfte des durchschnittlichen Jahresverbrauchs. Dieser wird mit dem derzeitigen Preis für die Zukunft festgesetzt. Der darüber hinausgehende Stromverbrauch wird weiterhin mit dem Marktpreis verrechnet, wodurch der Anreiz zum Energiesparen erhalten bleibe. Auch hier würden Übergewinne abgeschöpft werden, bevor sie überhaupt entstehen.
Für die Industrie hätte dieses Modell allerdings keine Vorteile, da sich hier die Preise weiterhin nach den Börsekursen richten würden.

Köppl-Turyna: "Das System funktioniert"

Doch lässt sich der Strompreis durch eines dieser Modelle tatsächlich drücken? Und was davon wäre besonders für Industriebetriebe hilfreich?

INDUSTRIEMAGAZIN NEWS hat mit der Ökonomin und Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, Dr. Monika Köppl-Turyna, über die angespannte Situation und die passenden Modelle gesprochen:

INDUSTRIEMAGAZIN NEWS: Die Preisbildung an den Strommärkten ist, wenn man es drastisch formuliert, kaputt. Ist das eine Einschätzung die Sie teilen?

Monika Köppl-Turyna:
Ja und nein. Derzeit ist natürlich das große Problem, dass wir wegen der teuren Gaspreise auch diesen teuren Strom haben. Aber ansich funktioniert das System, wie wir es uns bisher gewünscht haben. Angebot und Nachfrage treffen sich und hier wird der eigentliche Strompreis bestimmt. Warum wünschen wir uns das? Dieses System garantiert uns, dass die effizienteste Technologie zuerst geliefert wird. Merit-Oder ist nichts anderes, als dass die billigste Energie zuerst genutzt wird.

Alternative wäre hier der fraktionierte Markt, wo jede Form der Energie einen anderen Preis erhält. Das Problem hier ist aber, dass nicht garantiert werden kann, dass die günstigen Energieformen zuerst genutzt werden. Man könnte dann zB. sagen, dass man die Wasserkraft teurer verkauft, als jene die aus Kohle gewonnen wird usw. Das könnte dann dazu führen, dass nicht nur die ineffizienteren, sondern auch die „schmutzigeren“ Varianten als erstes genutzt werden.

Bei solchen Umstiegen muss man sehr vorsichtig sein. Da die hohen Strompreise für Verbraucher und Industrie ein großes Problem sind, muss natürlich an einer Lösung gearbeitet werden. Aber ich würde hier besonders vorsichtig agieren, bevor man tatsächlich den gesamten Marktmechanismus außer Kraft setzt.

IM NEWS:
Die Zwischenlösung des iberischen Modells ist die Subventionierung fossiler Kraftstoffe für die Stromproduktion. Wie stehen Sie zu dieser Lösung?

Köppl-Turyna:
Von allen Modellen, die derzeit diskutiert werden, ist das vermutlich die beste Variante. Das würde bedeutet, dass wir Gas und möglicherweise auch Kohle subventionieren. Welche Energieträger dafür in Frage kommen müsste man auf europäischer Ebene diskutieren. Wenn es nur Gas wäre, dann würde das den Strompreis auf ca. 300 Euro pro MWh sinken lassen. Das ist noch immer sehr viel, aber weniger als jetzt. Das hat den Vorteil gegenüber einem Strompreisdeckel, dass damit die effiziente Marktbeschaffung behalten werden könnte. Man müsste nicht regulieren, wer Strom beschaffen soll und wer nicht. Ich denke von allen Modellen, über die wir gerade sprechen, ist das spanische das sinnvollste. Aber wie wir gehört haben, braucht es dafür eine europäische Lösung.

IM NEWS:
Aus dem Klimaschutzministerium hört man, dass erste Erfahrungen am iberischen Markt zeigen, dass der Gasverbraucht durch die Subventionierung extrem angestiegen ist. Der Lenkungseffekt fällt hier weg. Wie sehen Sei das?

Köppl-Turyna:
Das ist richtig, man sieht hier, dass es mehr Anreiz gibt Gas zu produzieren. Es wird gefördert und die Nachfrage ist gestiegen. Gaskraftwerke wurden aufgrund der Nachfrage eingeschaltet und auch der Export nach Frankreich ist angestiegen. In der europäischen Lösung muss genau das verhindert werden, da Alleingänge zum Nachteil der Verbraucher führen würden.

IM NEWS:
Jetzt gibt es auch noch die dritte Idee, alles so zu belassen, wie es bisher war und über Ausgleichszahlungen für Konsumenten und eventuell auch für die Wirtschaft die Schmerzen zu lindern. Würden Sie das für sinnvoll empfinden?

Köppl-Turyna:
Das würde natürlich weniger Verwerfungen am Markt mit sich bringen, also es wäre wohl die bessere Variante. Aber man muss auch die Industrie mitbedenken. Seit einigen Tagen gibt es die Strombremse für die Haushalte. Zu Förderungen für Unternehmen gibt es bisher noch keine Informationen. Wir wissen, dass die energieintensiven Unternehmen spätestens im Winter große Probleme bekommen werden. Hier muss an ähnlichen Instrumenten gearbeitet werden, die aber auch einen Anreiz zum Stromsparen beinhalten. Denn schlussendlich gilt es ja, den Gasverbrauch künftig möglichst niedrig zu halten, damit die teuren Kraftwerke gar nicht erst aktiviert werden müssen.

Das gesamte Interview mit Dr. Monika Köppl-Turyna sehen sie hier.