OpenAI ChatGPT Konkurrenz : AI-Spitzenforscher Johannes Brandstetter: Der Rückkehrer
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Ein junger, unscheinbarer Mann mit Turnschuhen betritt den Ars Electronica Bau am Linzer Donauufer. Als 1996 das Gebäude eingeweiht wurde, kam er gerade in die Schule. Generationen von Kindern und Jugendlichen experimentierten dort. Das futuristische Gebäude gehört mittlerweile zum Stadtbild von Linz wie die Voest. Sein Blick schweift auf die andere Donauseite gen Altstadt. Er mag diesen Blick, diese Mischung aus alt, neu und Industriecharme. Er ist wieder daheim – über 11 Stunden im Auto über die A3. Und viele haben auf ihn gewartet.
Lesetipp: Sepp Hochreiter: „Ich möchte Open AI vom Markt fegen“
Es ist Mitte Oktober, Johannes Brandstetter ist seit einigen Wochen aus Amsterdam wieder zurück in Oberösterreich, in der Heimat – inklusive eigener Forschungsgruppe an der JKU Linz. Themenschwerpunkt: Simulation und KI. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die KI kurz davor steht, Simulationen im industriellen Maßstab zu verändern. Jeden Tag werden Abertausende von Rechenstunden für die Modellierung von Turbulenzen, die Simulation von Flüssigkeits- oder Luftströmungen, die Wärmeübertragung in Materialien, Verkehrsströme und vieles mehr aufgewendet.
KI und Simulation
Viele dieser Prozesse folgen ähnlichen Grundmustern, benötigen jedoch unterschiedliche und extrem spezialisierte Software, um sie zu simulieren. Schlimmer noch, für kleine Parameteränderungen müssen die kostspieligen Simulationen von Grund auf neu durchgeführt werden.“ Brandstetter will das mit seiner Gruppe ändern. „Wir wollen datengetriebene Simulationen im industriellen Maßstab vorantreiben.“ Da horcht die Branche auf. Die Chemieindustrie klopft bei ihm schon an, aber auch viele deutsche Maschinenbauer besuchen ihn in diesen Tagen. In den Chefetagen oberösterreichischer Mittelständler ist man zurückhaltender. Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland – das sollte sich aber ändern.
Während die Welt dem LLM-Hype erliegt, setzt Linz auf die Anwendungsfelder, die ein LLM kaum lösen kann. Industrielle Anwendungen stehen im Fokus. In Amsterdam bei Microsoft Research trauert man Brandstetter nach, in Linz feierte man die Heimkehr eines KI-Talents – die Lokalpresse berichtet, der Landeshauptmann steht zum Foto bereit. Thomas Stelzer reiste zusammen mit JKU Rektor Stefan Koch nach Amsterdam, um sich vor Ort über den europäischen KI-Leuchtturm zu informieren und ganz nebenbei die Heimkehr von Brandstetter zu verkünden. Die Botschaft war klar: Wir holen „unseren“ Top-Forscher wieder nach Hause. Verwundert reibt sich seither mancher Universitätsrektor in Europa die Augen. Es kommt schließlich nicht allzu oft vor, dass Forscher von Big-Tech Unternehmen zurück an die Universität gehen.
Zu verdanken haben die Oberösterreicher das auch einem Deutschen. Prof. Dr. Sepp Hochreiter lockte den Wissenschaftler Brandstetter zurück nach Linz. „Sepp ist anders als viele andere KI-Koryphäen in der Welt. Bei ihm steht niemand im Schatten. Er schiebt uns nach vorne. Er ist ein Teamplayer und hilft uns jungen Forschern. Er ist ein Mentor, der den Menschen sieht. Wir, Günter [Klambauer], Sepp und ich wollen hier zusammen was Großes für die Industrie aufbauen. KI für die Industrie“, formuliert es Brandstetter, der im Umland von Linz viele Unternehmen sieht, die von seinen Forschungen profitieren könnten.
Große Bühne
Und es geht gut los für das Team Brandstetter, Hochreiter, Klambauer: Neun NeurIPS-Papers wurden auf der wichtigsten KI-Konferenz der Welt akzeptiert. Die KI-Welt trifft sich im Dezember in New Orleans und das Team aus Linz scheut die große Bühne nicht. Ganz im Gegenteil: Hochreiter forscht mit seiner Mannschaft an einer Alternativ-Architektur zu LLMs, von der auch die Industrie profitieren wird. „Der LSTM-Algorithmus ist heute in der Industrie weit verbreitet.
xLSTM wird noch mächtiger werden“, prophezeit Brandstetter. Die Realität: Die KI-Welt ist verliebt in die Transformer-Architektur. Aber die Architektur ist brachial. Transformers bieten zwar eine gute Leistung zum Preis riesiger Datensätze und einer Menge GPU-Rechenleistung. Das wollen sie in Linz ändern. Mehrere Millionen Euro brauchen sie. „Big News“, verspricht Brandstetter im Gespräch. Und dann beugt er sich langsam nach vorne, um seinen Worten noch mehr Wirkung zu verleihen: „Sepp schafft das. Wer, wenn nicht er?“
Brandstetter wundert sich ob der vielen hämischen Kommentare vor allem aus der deutschen Forschungslandschaft gegenüber Hochreiter. „Ich habe mal von allen Kommentaren hier einen Screenshot gemacht – für später“, kommentierte er vor einigen Wochen unter einem LinkedIn-Artikel. Er verteidigt seinen Mentor und dessen Forschungen. Denn da ist es wieder: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland. In Hochreiters Büro steht ein Thomas Mann-Zitat an dem Whiteboard. „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“, schrieb der. Frei nach Hochreiter: Lasst euch nicht von „Schlechtrednern“ madig machen. Das hat auch Brandstetter verinnerlicht.
KI im Bus
Er nimmt an diesem Abend im Oktober Tuchfühlung zur lokalen KI-Szene auf. Der Verein AI Upper Austria hat geladen. Brandstetter soll über Amsterdam sprechen, über die KI-Szene in der Metropole und was die Linzer von den Niederländern lernen können.
Suchend betritt der frischgebackene Professor den Raum schaut durch die Zuschauerreihen, er hat noch Zeit und entdeckt ein bekanntes Gesicht. Er lacht. Sein Schwager sitzt in der dritten Reihe. Linz ist familiär, man kennt sich – auch in der KI-Szene. Der Schwager arbeitet im Bereich Medizin und KI.
Brandstetter machte seinen PhD am CERN in der Schweiz. „Ich durfte mit brillanten Köpfen forschen“, schwärmt der Physiker. Was er nicht verrät: Er war Teil bahnbrechender Arbeiten im Bereich der Higgs-Boson-Physik. Und doch zog es in fort – nach Linz zu Hochreiter. „Sepp trieb mich an, nach Amsterdam zu gehen. Die Gruppe um Max Welling hat das Thema Deep Learning sehr früh für sich entdeckt und es war eine fantastische Zeit.“ Die ersten Wochen in Amsterdam sei er berauscht gewesen – nicht vom Gras – sondern von den vielen Möglichkeiten im Bereich KI.
Im Bus diskutierten Mitfahrende über NeurIPS Papers. Brandstetter staunte. „In Amsterdam entstand in den Jahren ein einmaliges KI-Ökosystem, das ich bis dato nur aus den USA kannte.“ Qualcomm ist da, Google Research, Bosch, ASML ist nicht weit, Microsoft und die Niederländer erklären stolz, dass über 100 Firmen auf der Warteliste stehen, um ein Lab an der Universität von Amsterdam zu bekommen. Auch außereuropäische Startups zieht es nach Amsterdam: Databricks aus San Francisco beispielsweise oder Sensity – spezialisiert auf die Erkennung von Deep Fakes.
Die Stadt zieht Talente an, die ziehen Konzerne und Gründer an. Dazu passt die Meldung vor einigen Wochen der Stadtverwaltung: „Kommt nicht mehr nach Amsterdam.“ Die Stadt ist voll, es gibt kaum Wohnraum mehr. Die Metropole boomt, platzt aus allen Nähten.
KI am Bosner Eck
Es gibt viele Mütter und Väter des KI-Erfolgs der niederländischen Großstadt aber drei Herren legten den Grundstein: Max Welling, Arnold Smulders und Cees Snoek – die drei Forscher gehören weltweit zu den wichtigsten Vertretern im Bereich KI. Die Forschungsschwerpunkte in Amsterdam sind breit gefächert, die Nähe zur Physik findet man vor allem im Dunstkreis rund um Max Welling – dem zweiten großen Mentor von Brandstetter.
Spitzenforschung ist wichtig, lockt Studentinnen und Studenten an und Unternehmen sowieso, aber die Bevölkerung, die Gesellschaft muss sich mit der KI ebenso beschäftigen und da setzt Amsterdam neue Maßstäbe. Für die Bevölkerung gibt es ein digitales Algorithmusregister in denen die Stadt Amsterdam alle Projekte aufführt, in denen Algorithmen für Optimierungen eingesetzt werden. Das Register läuft gerade in einer Beta-Phase und ein Projekt widmet sich „der illegalen Vermietung von Ferienunterkünften“ – wie passend zur Meldung von vor einigen Wochen.
Gleichzeitig entwickelt die Stadtverwaltung immer neue Anwendungen. Object Detection Kit (ODK) ist ein Bilderkennungs-Kit für Kommunen, um verschiedene Arten von Objekten in den Straßen zu erkennen und ein reales Bild davon zu erhalten, was in der Stadt vor sich geht. Zu den Objekten können Müll, Baustellen, Straßenmöbel, Graffitis, Abfall, Straßenschäden und andere gehören. Das Selbstverständnis: „Wir wollen eine frühzeitige Sensibilisierung und effizientere Dienstleistungen ermöglichen und so zu einer sauberen und funktionierenden Stadt beitragen.“ Ein Vorbild für Linz und viele andere Kommunen.
Und wann spricht man am Würstelstand am Bosner Eck über NeurIPS Papers? Brandstetter lacht. Wir tun unser Bestes.
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