Daten : Gaia-X funktioniert – aber für wen?
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Industrielle und professionelle Daten sind laut Europäischer Kommission die „Lebensader“ der wirtschaftlichen Entwicklung. Während die zurückliegende Digitalisierungswelle von Konsumentendaten angetrieben wurde, ist jetzt das Zeitalter der Maschinen-, Fahrzeug- und Infrastrukturdaten angebrochen. Die Kommission sagt voraus, dass diese Daten bis 2027 allein in der Fertigungsbranche zu Produktivitätssteigerungen im Wert von 1,3 Billionen Euro führen können.
Das sind zunächst einmal rosige Aussichten – allerdings ist keineswegs ausgemacht, inwieweit die hiesigen Betriebe in der Lage sein werden, von dieser Entwicklung zu profitieren.
Wertschöpfung mit Daten
Denn erstens ist Wertschöpfung mit Daten für die meisten Betriebe noch Neuland. Eine Studie von Hewlett Packard Enterprise (HPE) und YouGov fand heraus, dass der durchschnittliche Daten-Reifegrad österreichischer Firmen bei 2,0 liegt – auf einer Skala von 1 (niedrigster Wert) bis 5 (höchster Wert). Auf Stufe 2 verwendet man Daten typischerweise für Standard-Reports, ist aber noch weit entfernt von Industrie-4.0-Szenarien wie einer Produktion, die sich mittels Analyse von Echtzeitdaten selbst konfiguriert und steuert.
Die zweite Schwierigkeit ist das gemeinsame Nutzen von Daten über Firmengrenzen hinweg. Daten entfalten ihr volles Potenzial erst dann, wenn wir sie miteinander teilen, etwa um Lieferketten zu steuern, oder um Maschinen beim Kunden zu warten. Hier liegt es nahe, die Angebote der etablierten Public-Cloud-Anbieter zu nutzen – allerdings sind diesem Lösungsweg Grenzen gesetzt. Latenzzeiten, Integrationsprobleme, Datenschutz und Datenhoheit können Gründe sein, warum diese Lösung nicht möglich, nicht sinnvoll oder nicht erwünscht ist.
Nicht zuletzt stellt sich hier eine grundsätzliche Frage: Die hiesige Fertigungsbranche hat jetzt die einmalige Chance, mit ihren Daten die Geschäftsmodelle der Zukunft zu bauen – inwieweit ist es vertretbar, diese Schicksalsfrage in die Hände mächtiger Zulieferer zu legen?
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Gaia-X funktioniert nicht?
Angesichts dieser Situation weckte die Ankündigung des Projekts Gaia-X im Jahr 2019 große Hoffnungen. Mit den von Gaia-X entwickelten Schnittstellen, Standards und Regeln sollte es erstmals möglich werden, Daten in großem Stil miteinander zu teilen, ohne auf zentrale Plattformen angewiesen zu sein. Dazu bilden Firmen untereinander so genannte Datenräume, die die gemeinsame Nutzung verteilter Datenbestände erlauben, während gleichzeitig die Souveränität aller Teilnehmer geschützt wird.
Lesen Sie auch hier: Wie geht es weiter mit Europas Cloud?
Inzwischen sind allerdings manche Firmen von Gaia-X enttäuscht, weil sie der Ansicht sind, das Projekt gehe zu langsam voran, und es werde „eh nicht funktionieren“. Diese Haltung beruht aber auf einem Missverständnis.
Denn Datenräume sind keine Produkte, die von irgendjemand entwickelt werden und irgendwann verfügbar sind – vielmehr entstehen und bestehen sie nur durch die Fähigkeiten und das Engagement ihrer Teilnehmer. Nur wenn diese ihre eigenen Daten im Griff haben, können sie sie für andere nutzbar machen. Und nur wenn Daten die Triebfeder ihrer eigenen Wertschöpfung sind, können sie von den Daten der anderen profitieren.Das eigentliche Problem ist deshalb der im Schnitt sehr niedrige Daten-Reifegrad unserer Wirtschaft. Da können auch die besten Gaia-X-Standards nichts ausrichten, sondern diese Aufgabe muss jedes Unternehmen für sich bewältigen.
Plattformen: Freund, nicht Kidnapper
Der Weg zu höheren Reifegradstufen ist allerdings weit und mühsam, weil er Veränderungen in allen Facetten eines Unternehmens erfordert – das betrifft etwa die Strategie, die Organisation, die Technik, die Kompetenzen und die Kultur. Auf diesem Weg gibt es keine Abkürzung, aber er lässt sich wie jede Transformation mit klarer Führung, Management of Change und erprobten Methoden beschleunigen. Ein Daten-Reifegradmodell erlaubt eine objektive Bestandsaufnahme und die präzise Definition von Meilensteinen und Zielen.
Für Unternehmen, die auf diese Weise höhere Stufen erreicht haben, stellt sich auch die Frage des souveränen Datenaustauschs auf ganz andere Weise. Sie warten nicht darauf, dass ihnen „von außen“ eine Daten-Plattform zur Verfügung gestellt wird, sondern sie werden selbst zur Daten-Plattform, die sich mit anderen Daten-Plattformen vernetzt.
Damit verliert auch die Frage „Cloud oder nicht Cloud“ ihren Sinn. Denn eine Mischung aus eigenen und fremden, privaten und öffentlichen, kleinen und großen Clouds – kurz: eine hybride Multi-Cloud – wird zum selbstverständlichen Fundament der Datenstrategie. Man liefert sich keiner Plattform mit Haut und Haaren aus, sondern kooperiert mit vielen Plattformen auf Augenhöhe.
Datengenossenschaften: wie funktionieren sie?
Wenn das im großen Stil möglich sein soll, außerdem effizient, sicher und ohne Machtakkumulation einzelner Parteien, dann braucht es gemeinsame Schnittstellen, Standards und Regelwerke. Dabei führen viele Wege nach Rom. Gaia-X ist zwar die bekannteste, aber bei weitem nicht die einzige Initiative, die dieses Ziel anstrebt. So hat sich inzwischen eine große Zahl von Domänen-spezifischen Projekten etabliert, die Datenräume etwa für Industrie 4.0, Automobil-Lieferketten, Mobilität oder Landwirtschaft aufbauen – dazu gehört beispielsweise auch der Green Data Hub der österreichischen Data Intelligence Offensive.
Zudem gibt es Alternativen zum Datenraum-Konzept. Dazu gehören beispielsweise Datengenossenschaften, bei denen Bürger, Firmen oder öffentliche Einrichtungen ihre Daten in einen Topf legen und von Treuhändern verwalten lassen. Und es geht schließlich auch ganz ohne Datenaustausch. Das Schwarmlernen zum Beispiel aggregiert Trainings-Ergebnisse, die verteilte künstliche Intelligenzen (KI) mit ihren jeweiligen Datenbeständen erzielen, nicht aber die Daten selbst. Das Verfahren eignet sich somit für alle Anwendungsfälle, bei denen es technische, regulatorische oder strategische Gründe gibt, keine Daten weiterzugeben – aber gleichzeitig die Notwendigkeit besteht, den Wert verteilter Datentöpfe gemeinsam zu erschließen. Das gilt beispielsweise für die vorausschauende Wartung von Produktionsmaschinen, die bei unterschiedlichen Fertigungsunternehmen im Einsatz sind.
Der Weg in die Datenökonomie ist also ein doppelter: jedes einzelne Unternehmen muss seine Fähigkeit weiterentwickeln, mithilfe von Daten seine Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen – und wir müssen gemeinsam neue Wege der kooperativen Datennutzung etablieren. Technologien, Standards, Methoden und Modelle dafür sind vorhanden, wir müssen sie nutzen und weiterentwickeln.
Wenn wir darauf warten, dass jemand diese Aufgabe für uns löst, werden wir ewig warten. Aber wenn viele diesen Weg gehen und sich mit Gleichgesinnten zusammentun, können wir die Versprechen der Datenökonomie verwirklichen und gleichzeitig die Souveränität jedes Einzelnen stärken.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin Factory.