Europa im Wandel : „Europa muss mehrere Bälle in der Luft halten“

Industriekongress 2024

Diskutierten über die Zukunft des Standorts Europa (v. li.): Robert Machtlinger, FACC, Helmut Kaufmann, AMAG, Herbert Eibensteiner, Voestalpine, Klaus Mader, Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment und Joe Empl, Empl Fahrzeugwerk; Moderation: Rudolf Loidl

- © Matthias Heschl

Ein neuer eiserner Vorhang, der sich durch Europa zieht, Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die Systemrivalität mit China, deren Auswüchse kurioserweise in immer neue Abhängigkeiten mit der Volksrepublik führen: Die Welt ist im Wandel. Oder wie Klaus Mader, CEO Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment sagt: „Die geopolitische Landkarte wird neu gezeichnet“. Dieser grundlegende Shift mag vielleicht vor Trump begonnen haben, die zweite Zäsur sei sicherlich der Ukraine-Krieg gewesen. Es ergeben sich Entkoppelungen gleichermaßen wie neue Allianzen, doch was bedeuten diese für den Weltmarktführer für Hochpräzisionskomponenten für Öl- und Gasindustrien sowie zunehmend die Geothermie?

„Wir sind gut positioniert in Nischen und schaffen es aus Europa heraus erfolgreich zu sein“, sagt Mader. Nachsatz: „Obwohl der Großteil der Mitarbeiter des Unternehmens längst außerhalb Europas tätig ist“. Warum das Unternehmen zuversichtlich sein kann: Mit Krisensanktionen habe es immer gelebt. „Es gilt, sich immer wieder neu auszurichten und Lösungen zu finden“, so Mader. Beispiel China. Die Abhängigkeit von der Volksrepublik ist nun eben einmal ein geringerer Faktor, wenn der Hauptlieferant „nur 45 Minuten entfernt in Kapfenberg“ - Stichwort Böhler - „beheimatet ist“, schmunzelt Mader. SBO exportiere mehr nach China als von dort zu importieren.

Klaus Mader, CEO Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment
„Wir sind gut positioniert in Nischen und schaffen es aus Europa heraus erfolgreich zu sein“, sagt Klaus Mader, CEO Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment . - © Matthias Heschl

Und dennoch steht sich Europa am Ende oft selbst im Weg, wie die Diskutanten festhalten. Der Green Deal ist ein solcher Schmerzpunkt für die Industrie. „Am Ende des Tages ist das mit all den Taxonomiekonformitätsformularen zu einer riesigen Bürokratie geworden“, sagt Mader. Herbert Eibensteiner, Vorstandschef der Voestalpine, sieht es ähnlich. Es fehle die geopolitische Idee. „Wir definieren Fantasien, die exzellent von Beamten mit wenig Spielraum umgesetzt werden“, sagt er. Bei uns werde gefördert, was unwirtschaftlich ist: Wasserstoff sei kein zündender business case. „Im Gegenzug legen die Amerikaner den Inflation Reduction Act auf, mit dem die Post abgeht“, sagt Eibensteiner. Dass China über Europa drüberradelt, soweit sei es freilich noch nicht. Doch es gibt Warnsignale. Ohne chinesische Mithilfe könnten schon heute viele Straßen oder Brücken in Europa nicht gebaut werden. „So gehen die elementarsten Grundregeln des Wirtschaftens verloren“, sagt Eibensteiner.

Ist Europa also zu moralin- statt machtgeleitet? Amerika habe einen Plan, China habe einen Plan, nur Europa habe keinen Plan, sagt Eibensteiner. Europa, mit „nicht gerade leichtem Marschgepäck in die Zukunft unterwegs“, müsse aufhören, sich einzubremsen. Etwa beim Green Deal. Man können nicht für Millionen von Menschen eine Idee entwickeln. Man müsse „mehrere Bälle in der Luft halten“, so der Voestalpine-Chef. Von der Europapolitik fordert er einen Industrie-Deal, der mit
der gleichen Hartnäckigkeit vorangetrieben werde wie der Green Deal.

Herbert Eibensteiner, Vorstandschef der Voestalpine
Herbert Eibensteiner, Vorstandschef der Voestalpine: „Wir definieren Fantasien" - © Matthias Heschl

Die Rahmenbedingungen ändern sich in den letzten „zwei bis fünf Jahren Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit“, beobachtet auch Robert Machtlinger, CEO des Luftfahrtzulieferers FACC. China verfolge eine langfristige Strategie in Dekaden und nicht Quartalen. Bestes Beispiel sei die Elektromobilität. Die Folge sei ein Derisking: Amerika ziehe seit einigen Jahren Technoloigien aus China ab und baut seine eigenen Supply Chains auf. Und die USA schützt sich neben Zöllen auch über Investitionsförderungen.

Klar sei: „Ohne amerikanische Entwicklungen - etwa im Software- und Informatikbereich - gebe es Stillstand“, sagt Machtlinger. Die gute Nachricht für seine Branche: Europa habe in den Wertschöpfungsketten der zivilen Luftfahrt seinen fixen Platz. Viele Zulieferteile der US-Hersteller würden aus Europa kommen. Die nächsten drei, vier Jahre würden Machtlinger zufolge geopolitisch auf einen Scheidepunkt zulaufen. „Es wird sich zeigen, wer geringere Abhängigkeiten von den anderen an den Tag legt“, sagt Machtlinger. Der trotz allem keine Weltuntergangsstimmung verbreiten will: Europa und speziell auch Österreich seien hochinnovativ. Jetzt müssten die vollen Kapazitäten des Bildungssystems gehoben werden. Und virulente Dauerthemen wie Personalkosten und weitere Standortnachteile angegangen werden.

Robert Machtlinger, CEO des Luftfahrtzulieferers FACC (li.): Virulente Dauerthemen wie "Personalkosten und Standortnachteile angehen" - © Matthias Heschl

„Wir liefern Bleche nach China, weil wir es besser können, die Frage ist nur, wie lange noch“, sagt Helmut Kaufmann, CEO der Amag. Mit dieser Aussage zweifelt er freilich nicht an der eigenen Forschungs- und Entwicklungsstärke, denn diese wird mit laufenden Investitionen ausgebaut und gestärkt. Nur macht das nicht jedes europäische Unternehmen mit. In der westlichen Welt werden die Budgets verknappt. Kaufmann warnt vor einer Arroganz gegenüber der Volksrepublik. „China fährt massiv die Forschungsbudgets hoch“, beobachtet er. „Wenn wir nicht aufpassen, wird Europa auch diese Position abgelaufen“, sagt er.

Am Rohstoffsektor sei die Abhängigkeit schon evident. „China beherrscht zu 90 Prozent den Magnesiummarkt“, sagt er. In der geopolitischen Gemengelage sieht er das Geschäftsmodell der Amag dennoch hervorragend positioniert: In Ranshofen wird zu bis zu 80 Prozent auf Schrott gebaut, „wir sind Recyclingexperten“, so Kaufmann. Und mit der Elektrolysebeteiligung in Kanada, über die grünes Primärmetall produziert wird, ergebe das ein „stabiles Modell“. Die Akzeptanz der Industrie in der Bevölkerung sei seiner Meinung freilich ausbaufähig: Man dürfe nicht ständig in Rechtfertigungszwang stehen.

Helmut Kaufmann, CEO der Amag
„Wir liefern Bleche nach China, weil wir es besser können, die Frage ist nur, wie lange noch“: Helmut Kaufmann, CEO der Amag. - © Matthias Heschl

Joe Empl, Chef des Empl Fahrzeugwerks, unterschreibt den Befund, in herausfordernden Zeiten zu leben: Geopolitische Spannungen in Asien, der Krieg in Europa, Wirtschaftsnationalismus und Protektionismus prägen das Bild. Ein Augenöffner für ihn, wie alles ineinander greift, waren die automobilen Lieferketten zu Zeiten der Covidpandemie und Russlands Feldzug: In welchem Ausmaß Kabelstränge in der Ukraine produziert werden, hätten erst diese Multikrisen dargelegt.

Das Nutzfahrzeugspektrum war massiv betroffen. Worüber er sich grundsätzlich Gedanken macht: Mit welchem rasanten Tempo sich chinesische Unternehmen in Europa einkaufen. „Es soll bitte nicht alles abfließen“, sagt Empl. Von der Politik fordert er folglich viel besseren Schutz vor dem Ausverkauf der Industrie. Und einen effizienteren, verschlankteren Brüsseler Apparat.

Joe Empl
Joe Empl, Chef des Empl Fahrzeugwerks: „Es soll bitte nicht alles abfließen“ - © Matthias Heschl