Das kann Cloud Manufacturing : So führen Sie in der Rechnerwolke Regie

Wolke Cloud mit Regieklappe

Speziell für die Fertigung entwickelte Clouds ergänzen die Systeme und bieten zudem neue Möglichkeiten

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Die Fertigungsindustrie hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Wandel vollzogen. Automatisierung und Robotik verbesserten Effizienz, Präzision und Geschwindigkeit. In der nächsten Stufe wurde die Digitalisierung die treibende Kraft. Digitale Technologien wie das IoT wurden in die Produktionsprozesse integriert. Sie liefern Echtzeitdaten von Sensoren und Geräten und erlauben so Einblicke in die Maschinenleistung, aber auch in die Abläufe in der Lieferkette und das Verhalten der Kunden.

Systeme werden Hybrid


Bisher haben die Hersteller diese digitalen Dienste vor allem mit eigenen Systemen On-Prem genutzt. Doch das reicht oft nicht mehr. Speziell für die Fertigung entwickelte Clouds ergänzen die Systeme und bieten zudem neue Möglichkeiten, ohne dabei große Investitionen zu verlangen. „Wir sprechen hier von einem „kleinen“ und einem „großen“ Gehirn“, macht Nikolai Rizzo, Manufacturing Lead bei Microsoft Österreich die Situation verständlich. Ein Teil der Datenverarbeitung erfolgt immer noch On-Prem, ein anderer Teil hingegen wandert in die Cloud. Beispielsweise wenn große Rechenleistungen für die Analyse von Big Data verlangt werden. „ Systeme von heute sind Hybrid“, ist Rizzo überzeugt. „Wir können beispielsweise in der Cloud aus den Maschinendaten Modelle für digitale Zwillinge berechnen und diese dann zurück in die Fabrik schicken.“ Mit Hilfe solcher virtuellen Nachbildungen von physischen Anlagen lassen sich Funktionen simulieren und auch überwachen. Digitale Zwillinge bieten zudem die Option auf vorrauschauende Wartung und eine Optimierung der Produktionsprozesse.

Cloudbasierte Plattformen bieten zudem die Option, in Echtzeit mit Lieferanten und Kunden zusammenzuarbeiten. So lassen sich vernetzte Ökosysteme schaffen, die insgesamt die Effizienz erhöhen. Auch in den Bereichen Edge-Computing , Additiver Fertigung und in Sachen Cybersicherheit bieten Manufacturing Clouds große Vorteile.

KI wird essentieller Bestandteil von Cloud-Systemen


Ein immer wichtiger werdender Teil der Fertigungs-Cloud-Systeme ist die Künstliche Intelligenz, die auch im Bewusstsein der Manager stark an Bedeutung gewinnt. Wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Microsoft ergab, glauben 37 Prozent der industriellen Entscheider in Deutschland, dass generative KI den digitalen Wandel in ihren Unternehmen beschleunigen kann. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr, denn 2023 waren es noch 29 Prozent. Dabei zeigt sich, dass generative KI auch in der Praxis immer stärker genutzt wird : Bereits 22 Prozent der Entscheider geben an, sie produktiv in ihrem Unternehmen einzusetzen, während es 2023 noch 8 Prozent waren. Weitere 6 Prozent planen den Einsatz in den nächsten zwölf Monaten (2023: 4 Prozent).

Kein Wunder also, dass Microsoft generative Intelligenz in den Vordergrund seiner diesjährigen Show auf der Hannover Messe rückte. So zeigten die Redmonder dort das „Copilot Template for Factory Operations“, mit dem Unternehmen eine jeweils individuell konfigurierbare KI in ihr System integrieren können. Wie das aussehen kann, zeigte etwa BMW mit dem Copilot Microsoft Dynamics 365 Guide. Er hilft bei dem Autobauer per Sprachsteuerung die Daten für die Fahrzeugentwicklung aus unterschiedlichen Systemen zu integrieren, Schlüsse abzuleiten und damit die Entwicklungsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dabei setzt BMW auch auf die Microsoft eigene Datenbrille HoloLens 2, über welche die datenbasierten Ergebnisse als Hologramme auf reale Bauteile projiziert werden.

Harting, ein Spezialist für Anschlusstechnik, nutzt die KI-Technik für die Entwicklung und Anpassung von Steckverbindern. Alle Eingaben erfolgen sprachgesteuert, das System erzeugt dann 3D-Modelle für die CAD-Software. Ein weiterer Showcase kam von Siemens mit dem Siemens Industrial Copilot. Mit diesem lassen sich beispielsweise Informationen von Maschinen in natürlicher Sprache abfragen.

"Assistenz, die hilft, auftretende Probleme zu lösen“. Daniel Schuck, Vice President Digital Products and Solutions for Pulp & Paper, Andritz

Die wichtigsten Cloud for Manufacturing Anbieter im Überblick

Microsoft Cloud for Manufacturing

Microsoft Cloud for Manufacturing gehört zu den flexibelsten Cloud-Anwendungen für die Fertigung. Die Cloud bietet im Baukastensystem ein komplettes Lösungspaket, das unter anderem auch Dienste für AI, Maschine Learnig und Supply Chain Management beinhaltet. Microsoft hat zudem eine ganze Reihe von Partnern ins Boot geholt, die die Microsoft Cloud für Unternehmen individuell anpassen und maßschneidern. So bietet etwa Rockwell Automation ein Tool für IIoT Integrationen, Blue Yonder hat eine Ergänzung für Supply Chain Planning entwickelt.

Google Cloud for Manufacturing


Mit der Manufacturing Data Engine hat Google ein grundlegendes Tool zum Verarbeiten, Kontextualisieren und Speichern von Werksdaten im Angebot. Die Cloud-Plattform kann Daten von praktisch jedem Maschinentyp abrufen und unterstützt ein breites Spektrum an Formaten, von Telemetrie bis zu Bilddaten. Zweite wichtige Komponente ist Manufacturing Connect, eine Edge-Plattform für Produktionsstätten, die mehr als 250 Maschinenprotokolle beherrscht. Ihre Aufgabe ist es, Maschinendaten in ein verständliches Dataset zu wandeln und an die Manufacturing Data Engine zu senden. Last but not least bietet die Plattform auch AI und Maschine Learning Lösungen an.

SAP Digital Manufacturing Cloud (SMC)


SMC ist ein Manufacturing Execution System (MES), das einen ressourceneffizienten Industrie-4.0-Ansatz verfolgt. SAP verspricht Transparenz vom Management bis zum Fertigungsbereich und eine präzise Ausführung der Produktionsprozesse. Es bietet Fertigungs- und Industriekunden Analyse und Gerätemodellierungstools und soll so helfen aussagekräftige KPI zu erstellen. Und wie es sich für ein SAP-System gehört, soll die Cloud auch helfen, Fertigungsdaten mit SAP S/4HANA und SAP ERP zusammenführen.

Proficy Manufacturing Data Cloud (MDC)


Die Cloud-Lösung Proficy MDC stammt von General Electric (GE) Digital und wurde speziell für die Prozessoptimierung und Analyseanwendungen entwickelt. Sie konsolidiert Anlagendaten, ERP- und Fertigungsdaten. Auch Proficy MDC ist eine Hybrid-Cloud und soll so die Anlage von der Belastung durch hohe Rechenleistungen entlasten und es ermöglichen, Daten aus dem gesamten Unternehmen zusammenzuführen. Damit sind dann Analysen möglich, die zu einer höherer Effizienz führen. GE hat für dieses Jahr ein Update auf die Version 2.0 mit erweiterten Funktionen angekündigt

Fogwing Industrial Cloud


Fogwing verspricht mit ihrer Lösung eine Beschleunigung der digitalen Transformation. Die Industrial Cloud soll helfen, Industrieanlagen zu überwachen und etwa auch Daten für Predictive Maintenance zu gewinnen. Dafür haben die Inder ein Paket geschnürt, das mit Hilfe von IoT-Geräten die Leistung der Maschinen überwacht. Die Operation Execution Solution ist speziell dafür entwickelt worden, um Produktionsabläufe digital zu planen und auszuführen. Hierbei wird auch eine künstliche Intelligenz eingesetzt.

Oracle Fusion


Oracle Fusion Applications sind eine Suite von Anwendungen, die auf der Oracle Cloud aufbauen und cloudbasierte Anwendungen für Enterprise Resource Planning, Enterprise Performance Management, Supply Chain Management und Manufacturing, Human Capital Management und Customer Experience umfassen. Seit September gibt es auch Fusion Marketing als Teil von Oracle Advertising und CX. Das System nutzt KI um digitale Marketing-Kampagnen zu automatisieren und qualifizierte Leads zu identifizieren.

Modern abstract composition of hand and floating fluffy cloud in blue pink neon gradient light with circle. Creative idea. Concept art. Minimalism. Surrealism
Der Griff zur Rechnerwolke ist in vielen Fabriken nicht mehr abstrakt. - © splitov27 - stock.adobe.com

Andritz und Microsoft kooperieren

Ein ähnliches System gibt es nun auch beim weltweittätigen Grazer Anlagenbauer Andritz, der zur Hannover Messe eine enge Kooperation mit Microsoft eingegangen ist. Das erklärte Ziel von Andritz ist es, Fabriken weitgehend zu automatisieren. Das Unternehmen kombiniert dazu das hauseigene Automatisierungssystem mit IoT zur Metris-Plattform, die auch diverse Microsoft-Komponenten enthält.

Mit ihrer Hilfe ist es Andritz gelungen, dass eine Zellstofffabrik in Três Lagoas in Brasilien bis zu 98 Prozent der Zeit im Automatik-Modus läuft. Allerdings, so sagt Daniel Schuck, Vice President Digital Products and Solutions for Pulp & Paper: „ Man kann nicht alles automatisieren. Und man wird den Operator nicht abschaffen können, genauso wenig wie man den Piloten in einem fast vollständig automatisierten Flugzeug nicht abschaffen wird. Aber man kann ihm einen Assistenten zur Seite stellen, der hilft auftretende Probleme zu lösen“.

Ein solcher Assistent ist der Metris Copilot, der im Kern auf dem Copilot Template for Factory Operations basiert. Er kombiniert die Erkennung von Anomalien mit einem digitalen KI-Assistenten mit Chat-Schnittstelle. Metris Copilot liefert Echtzeit-Einblicke in die Maschinen und soll so bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Dazu fließen auch Daten von IoT-Sensoren und Steuerungssystemen mit ein. „Der Nutzen eines solchen Systems sind Antworten auf ein gegebenes Problem“, bringt es Schuck auf den Punkt. Schuck glaubt auch, dass der Metris Copilot positive Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Menschen hat, die die Anlagen steuern: Weg vom „Knöpfchen drückenden Roboter“, hin zu einer Art Ingenieur vom Dienst.

Wie Chat GPT – nur sehr viel besser


Das neue System hebt die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Datentypen auf. Es verbindet Konstruktionsdaten mit Prozessdaten und Dokumentationen und schafft so neue Datenpunkte. Wichtigste Entscheidungsgrundlage ist die Dokumentation, in der steht, wie die Anlage funktioniert und zu warten ist. „Das ist ein bisschen wie bei Chat GPT – nur sehr viel besser. Die zugrunde liegenden Daten sind nämlich sehr viel genauer“, erklärt Schuck. Der Metris Copilot kann aber nicht nur helfen auftretende Schwierigkeiten zu lösen, er kann auch proaktiv Probleme entdecken und dazu passende Lösungsvorschläge machen. Er bietet zudem als Frage -und Antwort-System auch eine neue Art zu Lernen. Derzeit funktioniert Metris Copilot auf der brasilianischen Pilot-Anlage aber erst nur auf dem Washing-Process. Ziel ist es, die Funktionalität auf alle 64 Prozesse der Anlage auszuweiten.

Wer als Unternehmen selbsttätig eine solche KI entwickeln mochte, der kann sich ohne große Umstände aus einem Baukasten bedienen. „Unternehmen stellen sich oft die Frage: Wie kann ich mein Modell trainieren? Allerdings sind die LLM-Modelle, die wir heute nutzen, für eine große Bandbreite von Anwendungen geeignet. Sie brauchen nicht speziell trainiert werden“, sagt Rizzo. Was die Systeme aber natürlich brauchen sind die Kontextdaten.



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Um diese Daten kümmert sich Andritz ebenfalls. Es gibt dafür extra einen dicken Fragenkatalog, der am Ende auch zeigt, ob und in welcher Form sich die Investition lohnt. Microsoft hingegen sieht sich bei den Projekten nur als Plattform. „Wir können Ihnen verschiedene Modelle zur Verfügung stellen, die Sie in ihr eigenes System integrieren können. Oder Sie wenden sich an Unternehmen wie Andritz, die bereits eine ganze Menge Vorarbeiten gemacht haben und Services und Hilfestellungen anbieten. Das hängt von Ihren Bedürfnissen ab“, so Rizzo.

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„Wir sprechen hier von einem „kleinen“ und einem „großen“ Gehirn“. Nikolai Rizzo, Manufacturing Lead Microsoft Österreich - © Microsoft; Alexander Gotter