Soziale Nachhaltigkeit im Unternehmen : Das „stumme S“ in ESG

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Aktuell stehen vor allem ökologische Aspekte rund um den Klimawandel oder auch den Erhalt der Biodiversität im Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses und unternehmerischer Überlegungen.

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Nachhaltigkeit gehört heute zum guten Ton der Unternehmensführung – kein Betrieb und keine Organisation kommt an diesem Thema vorbei. Viel zu laut die Stimmen von Kund:innen, Mitarbeitenden, Investor:innen und weiteren Stakeholdergruppen, die alle samt eine nachhaltige Wirtschaft fordern.

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Aktuell stehen vor allem ökologische Aspekte rund um den Klimawandel oder auch den Erhalt der Biodiversität im Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses und unternehmerischer Überlegungen. Dabei gelten in der Nachhaltigkeitsdebatte eigentlich ökonomische, ökologische und soziale Aspekte als gleichberechtigte drei Säulen. „Keine Wirtschaft ohne Gesellschaft, keine Gesellschaft ohne Ökologie“, fasst Prof. Dr. Christoph Badelt, Präsident des österreichischen Fiskalrats und ehemaliger Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, das Grundprinzip von Nachhaltigkeit zusammen. Gemeinsam mit Dr. Christian Horak und Christina Gobin-Reider von EY-Parthenon hat er im Auftrag von EY Österreich einen Point of View zur Thematik der sozialen Nachhaltigkeit verfasst. „Es geht letztlich um die Frage, ob die soziale Nachhaltigkeit eine notwendige Bedingung für eine wohlstandsgerechte künftige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist oder eher eine freiwillige Übung, um ethischen Ansprüchen zu genügen“, führt Badelt weiter aus.

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Christian Horak, Partner bei EY-Parthenon
"Die soziale Perspektive ist im öffentlichen Diskurs aktuell eher nachrangig." Christian Horak, Partner bei EY-Parthenon - © EY
Die soziale Perspektive ist im öffentlichen Diskurs und für die Wirtschaft gleichermaßen aktuell eher nachranging – sozusagen das stumme S in ESG.
Christian Horak, Partner bei EY-Parthenon

Soziale Nachhaltigkeit in Unternehmen

In der Praxis zeigt sich diesbezüglich ein klares Bild. „Die soziale Perspektive ist im öffentlichen Diskurs und für die Wirtschaft gleichermaßen aktuell eher nachranging – sozusagen das stumme S in ESG“, so Horak. Laut einer aktuellen Befragung von EY-Parthenon hat soziale Nachhaltigkeit zwar einen hohen Stellenwert für Unternehmen, wenn es um die eigene Belegschaft geht, wie beispielsweise bei Initiativen für Mitarbeitende. Allerdings wird die Zielerreichung momentan zu wenig gemessen und auch soziale Aktivitäten außerhalb der Unternehmensgrenzen – z. B. in der erweiterten Wertschöpfungskette – seien aktuell eher nachrangig. Gobin-Reider dazu: „Dort, wo die Messung von Maßnahmen leichter fällt, nämlich bei den eigenen Arbeitskräften, wird sie tendenziell auch stärker verfolgt. Eine ganzheitliche Stakeholder-Analyse und die Anwendung des Public-Value-Konzepts wären sinnvoll – so kann der Mehrwert für alle Beteiligten gleichermaßen sichergestellt werden.“Unternehmen sind von der Thematik der sozialen Nachhaltigkeit in vielfacher Weise betroffen.

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Zunächst aus rein rechtlicher Perspektive: Aus den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) ergeben sich für eine wachsende Zahl von Unternehmen Berichtspflichten, die inhaltlich dem Themenbereich „Soziales“ zuzurechnen sind. Und auch die von der EU angekündigte „soziale Taxonomie“ könnte weitere Vorschriften im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit für Unternehmen mit sich bringen. „Ein Blick auf die sozialen Subthemen der ESRS zeigt rasch, dass sich das Management bei der Umsetzung auch mit Stakeholdern außerhalb der eigenen Organisation befassen muss, denn die Sub-Themen reichen von den eigenen Arbeitskräften in der Organisation über die Mitarbeitenden in der Wertschöpfungskette bis hin zu den betroffenen Gemeinschaften und den Konsument:innen“, erläutert Horak.

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Doch nicht die rechtliche Perspektive allein sei für Organisationen ein Grund, um mehr im Bereich soziale Nachhaltigkeit zu unternehmen. „Es ist eine vielschichtige Thematik, die unterschiedlichste Ebenen betrifft. Tut das Unternehmen alles, um im eigenen Wirkungsbereich möglichst viele der dargestellten Ziele zu erreichen? Wo und wie könnte sich das Unternehmen über die bisherigen Aktivitäten hinaus engagieren? Das sind die relevanten Fragestellungen in diesem Zusammenhang“, so Badelt. Im wirtschaftlichen Kontext sind laut dem Ökonom vier Ebenen direkt durch soziale Nachhaltigkeit betroffen – und zwar hinsichtlich der Arbeitsbedingungen im eigenen Unternehmen, der Arbeitsbedingungen in der Wertschöpfungskette, der Beziehung zu den Kund:innen sowie hinsichtlich der Wirkung des unternehmerischen Verhaltens auf die Umgebung und Umwelt im Sinne von betroffenen Gemeinschaften bzw. Bevölkerungsgruppen.

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Aber auch indirekt wirke sich soziale Nachhaltigkeit auf Betriebe aus: „Unternehmen agieren in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld, das sie zwar selbst mitgestalten, von dem sie aber auch stark geprägt werden. Wann immer gesellschaftspolitische oder politische Themen neu aufkommen oder in das Zentrum des öffentlichen Interesses rücken, hat dies auch für Unternehmen Auswirkungen“. Nonprofit Organisationen stünden zudem deutlich stärker als kommerzielle Unternehmen vor zentralen Herausforderungen – für sie wird soziale Nachhaltigkeit zum entscheidenden Erfolgsfaktor jenseits einer reinen Managementaufgabe. Diese sind vor allem gefordert, weil ihr Selbstzweck in vielen Fällen (soziale) Nachhaltigkeit ist. Gobin-Reider dazu: „Es reicht als NPO längst nicht mehr aus, nur „Gutes zu tun“. Stakeholder erwarten von Nonprofits auch, dass sie selbst nachhaltig sind – in allen Aspekten, auch sozialen.“

Christina Gobin-Reider, Senior Consultant EY-Parthenon
"Eine ganzheitliche Stakeholder-Analyse und die Anwendung des Public-Value-Konzepts wären sinnvoll." Christina Gobin-Reider, Senior Consultant EY-Parthenon - © www.christinahaeusler.at

Nachhaltige integrierte Strategien und Verantwortlichkeiten für Unternehmen

Der zentrale Appell von Badelt, Horak und Gobin-Reider: Unternehmen müssen alle Aspekte und Stakeholder der sozialen Nachhaltigkeit in den Managementkreislauf integrieren. Dazu bedarf es einer Verankerung der sozialen Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie, einer klaren Verteilung von Verantwortlichkeiten der sozialen Nachhaltigkeit in der Organisation, einer ganzheitlichen Analyse der Stakeholder, die im Rahmen der sozialen Nachhaltigkeit von der Organisation betroffen sind, einer Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen, die alle betroffenen Stakeholder berücksichtigt, sowie einer stringenten Messung der Zielerreichung. Dies wird durch eine wirkungsorientierte Strategieentwicklung sichergestellt, die durch weitere Methoden und Tools ergänzt werden kann.

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Darüber hinaus braucht es auch drei weitere „Softskills“: Kreativität, Mut zu neuen Managementpraktiken und die Besinnung auf gemeinwohlorientierte Werte, um soziale Nachhaltigkeit in der eigenen Organisation zu verankern und in weiterer Folge in der Gesellschaft zu leben.

Autoren:

Christoph Badelt ist ein österreichischer Ökonom und aktuell Präsident des österreichischen Fiskalrats. Von 2002 bis 2015 war er Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, wo er noch heute als Emeritus tätig ist.

Christian Horak ist Partner bei EY-Parthenon und hat sich auf die Beratung von öffentlichen Einrichtungen, Gesundheitsorganisationen und NPOs zu strategischen und organisatorischen Themen spezialisiert.

Christina Gobin-Reider ist Senior Consultant bei EY-Parthenon. In dieser Funktion berät sie vorranging NPOs und begleitet diese bei Strategie und Organisationsthemen. Ihr Fokus liegt auf wirkungsorientierten Nachhaltigkeitsstrategien.

Christoph Badelt, Ökonom und Präsident des österreichischen Fiskalrats
„Keine Wirtschaft ohne Gesellschaft, keine Gesellschaft ohne Ökologie.“ Christoph Badelt, Ökonom und Präsident des österreichischen Fiskalrats - © beigestellt