Managementtipp : Grüne Weste?

Solarpanele und Windräder in Sonnenschein
© Jess rodriguez - stock.adobe.com

Dass es in Sachen Klima eine Sekunde vor zwölf ist, bestreitet mittlerweile wohl kaum mehr jemand. Unaufhaltsame Waldbrände in Europa, wochenlange Unwetter mit tennisballgroßen Hagelkörnern in Oberösterreich und Tornados im Wald- und Weinviertel haben auch die letzten Zweifelnden überzeugt. Und doch fehlt es oft an der notwendigen Konsequenz, über mögliche Maßnahmen nicht nur zu sprechen, sondern sie auch wirklich umzusetzen.

Eins vor zwölf ist es aber nicht nur in Sachen Klima – sondern auch hinsichtlich der dessen Rettung notwendigen Transformation von Strategien und Geschäftsmodellen. Denn es gibt verschiedene Faktoren, die den nachhaltigen Wandel auch aus wirtschaftlicher Perspektive unumgänglich machen und in rasendem Tempo vorantreiben:

Speziell die regulatorischen Vorgaben, angefangen bei der EU-Taxonomie über das Lieferkettengesetz bis hin zum Pariser Klimaabkommen, bestimmen die Nachhaltigkeitsagenden nationaler und internationaler Unternehmen. Während es noch vor wenigen Jahren möglich war, Nachhaltigkeit als Nebenaspekt zu betrachten, ist es für Unternehmen heute oft schwer, mit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Transformationsgeschwindigkeit Schritt zu halten. Mit dem Thema einhergehende Herausforderungen sind zahlreich und teilweise äußerst anspruchsvoll in ihrer Umsetzung. Sie reichen von der Bewältigung von Unklarheiten in den rechtlichen Grundlagen über die mangelnde Verfügbarkeit interner Unternehmensdaten bis hin zu fehlender Erfahrung bei der Umsetzung.

Doch nicht nur die rechtliche Perspektive setzt Unternehmen unter Druck. Konsument:innen fordern zunehmend, dass Nachhaltigkeit Teil von Geschäftsmodellen wird. Laut einer EY-Umfrage basieren fast die Hälfte der Kaufentscheidungen europäischer Konsument:innen auf Nachhaltigkeitsaspekten. Auch der Kapitalmarkt honoriert nachhaltiges Handeln mit besseren Konditionen. So haben Unternehmen mit guter ESG-Performance einen einfacheren Zugang zu Kapital und folglich niedrigere Kapitalkosten. In der Automobilindustrie erzielten Unternehmen mit exzellentem ESG-Rating im Jahr 2022 um etwa ein Drittel höhere Enterprise Multiples bei Transaktionen im Vergleich zu Unternehmen mit schlechtem ESG-Rating.

Ein Blick in die Unternehmenslandschaft zeigt vier wesentliche Erkenntnisse darüber, wie Unternehmen auf die Treiber von Nachhaltigkeit reagieren:

Christina Wendt, Managerin EY-Parthenon
"Hinsichtlich der Transformation von Strategien und Geschäftsmodellen ist es eins vor zwölf": Christina Wendt, Managerin EY-Parthenon - © Stefan Seelig

1) Der Reifegrad von Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit hängt stark von der Einstellung des Managements ab

Die Branche hat einen wesentlichen Einfluss darauf, wie sehr Unternehmen gefordert sind und wie umfassend sie demnach reagieren. Unabhängig davon hängt der Reifegrad aber auch stark von der Perspektive und Orchestrierung durch das Topmanagement ab. Wird Nachhaltigkeit vorwiegend aus einer Risiko- und Regulatorik- Perspektive gesehen oder unkoordiniert in unterschiedlichen Bereichen umgesetzt, resultiert dies zumeist in inkrementellen Veränderungen des bestehenden Geschäftsmodells. Dadurch werden gesetzliche Anforderungen zwar erfüllt, ein darüberhinausgehender Impact ist jedoch selten. Je stärker Nachhaltigkeit auch aus einer Chancen-Perspektive betrachtet und je strategiegeleiteter das Thema beleuchtet wird, desto umfassender sind die Initiativen und damit auch die positiven Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg.

2) Nachhaltigkeit muss nicht im Gründungsgedanken enthalten sein, auch etablierte Unternehmen können sich transformieren

Vielfach genannte Vorzeigebeispiele im Kontext von Nachhaltigkeit sind Start-ups bzw. Scale-ups wie „Too good to go“ oder „Refurbed“, die Nachhaltigkeit von Grund auf in ihrem Geschäftsmodell verankern und ihren Unternehmenserfolg darauf aufbauen. Aber auch Beispiele globaler Unternehmen zeigen, dass eine nachhaltige Transformation auch für etablierte Corporates gelingen kann, wenn diese schrittweise in alle Bereiche des Geschäftsmodells sowie Stufen der Wertschöpfungskette integriert wird.

3) Die Messung der Nachhaltigkeitsperformance unterschiedlicher Aktivitäten und damit das Abwägen unterschiedlicher Maßnahmen stellt teils eine ungelöste Herausforderung dar

Grundsätzlich ist jede Strategieentwicklung ein fundiertes Abwägen von Alternativen und die bewusste Entscheidung für eine der Optionen. Im Kontext von Nachhaltigkeit bereitet dieses Abwägen von Alternativen vielen Unternehmen Probleme. Die Herausforderung liegt darin, dass Nachhaltigkeitsalternativen oft verschiedene Dimensionen und Auswirkungen haben, die schwer direkt vergleichbar sind. Beispielsweise ist die Auswahl einer Technologie zur CO2-Einsparung durch eine Abwägung von Kosten und gespartem CO2 über den Lebenszyklus vereinfacht gesehen noch gut möglich. Schwieriger wird es jedoch, wenn man Aktivitäten basierend auf ihren Auswirkungen auf Dritte bewertet. Wie bewertet man beispielsweise die Auswirkung des Baus einer Fabrik auf die Gesundheit von Menschen, die in der Nähe leben? Unternehmen müssen sich dieser Problematik stellen und Lösungen finden, um die Komplexität von Nachhaltigkeit mit allen Implikationen entlang der Wertschöpfungskette strukturell darstellen zu können.

4) Nachhaltigkeit hat einen immer stärkeren Einfluss auf Portfolio-Entscheidungen

Neben der Verankerung von Nachhaltigkeit im bestehenden Geschäftsmodell ist das Thema auch zunehmend Diskussionsgegenstand im Rahmen von Portfolioentscheidungen. Geschäftsbereiche, welche nicht den Nachhaltigkeitskriterien von Kund:innen und Investor:innen entsprechen, werden stetig unattraktiver. Unternehmen müssen sich darüber Gedanken machen, wie sie ihr Portfolio durch gezielte Zukäufe nachhaltiger gestalten können. Derzeit planen über sieben von zehn deutschen Großunternehmen (73 %) für die kommende zwei Jahre Zu- oder Verkäufe, um die eigene Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern..

5) Nachhaltigkeit ist für Unternehmen neben Digitalisierung die fundamentalste Herausforderung der nächsten Jahrzehnte, gleichzeitig aber auch eine der größten Chancen.

Unternehmen, die sich strategisch mit dem Thema als Chance auseinandersetzen und dabei Regulatorik und Risiken ausreichend berücksichtigen, werden ungeachtet der Branche Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern haben.


Christina Wendt ist Managerin bei EY-Parthenon, der Strategieberatungsmarke von EY. Sie widmet sich in ihrer Beratungsarbeit vor allem dem Thema Nachhaltigkeit aus Strategieperspektive.

Christiane Mimra ist Consultant bei EY-Parthenon und begleitet Unternehmen bei der nachhaltigen Transformation ihrer Geschäftsmodelle.

Christiane Mimra, Consultant, EY-Parthenon
"Nicht nur die rechtliche Perspektive setzt Unternehmen unter Druck - auch die Konsumentinnen und Konsumenten": Christiane Mimra, Consultant, EY-Parthenon - © www.christinahaeusler.at