CO2 und Energiebedarf : Klimaneutrale Industrie: 3 Szenarien machen klar, wie es 2050 aussieht

Abgase einer Fabrik: Die Industrie macht einen großen Teil der CO2-Emissionen aus.
© Pixabay

Rund 28 Millionen Tonnen CO2 wurden 2021 von der österreichischen produzierenden Industrie in die Atmosphäre ausgestoßen. Das war mehr als ein Drittel der österreichischen Gesamtemissionen.

Drei Szenarien (Details weiter unten), die wichtige Impulse für eine klimaneutrale Zukunft der österreichischen Industrie geben, wurden nun von Experten des NEFI-Innovationsverbundes in ihrer aktuellen Studie entwickelt. Die Studie zeigt auf, in welchen Bereichen Projekte umgesetzt werden sollten und mit welchen Strategien und Maßnahmen Klimaneutralität im industriellen Energiesystem erreicht werden kann.

Ziel ist es, die industrielle Produktion in Österreich durch den Einsatz bestehender und neuer Technologien sowie durch Effizienzsteigerungen nachhaltig zu verändern. Der größte Hebel zur Erreichung dieses Ziels liegt in der kostengünstigen Verfügbarkeit von Strom und Gas aus erneuerbaren Energieträgern und der entsprechenden Energieinfrastruktur.

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Klimaneutrale Industrie: Szenario 1

Für die Entwicklung der Szenarien wurde das Produzierende Gewerbe in 13 Teilsektoren unterteilt, die neben dem Baugewerbe und dem Bergbau auch das Verarbeitende Gewerbe umfassen. In mehreren Schritten wurden Industriedaten zu Energieverbrauch, Brennstoffen und Effizienzsteigerungspotenzialen erhoben und in drei Szenarien integriert. Um Klimaneutralität zu erreichen, muss die Industrie so schnell wie möglich von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdgas oder Erdöl auf klimaneutrale und erneuerbare Energieträger umsteigen.

Das erste Szenario, Business-As-Usual (BAU), beschreibt eine weitgehende Fortschreibung heutiger Trends und Technologien und dient als Referenz für die beiden progressiveren Szenarien. In diesem Szenario steigt der Energiebedarf bis 2050 um bis zu 29 TWh auf insgesamt 161 TWh und die österreichische Industrie wird weiterhin große Mengen an fossilen Energieträgern wie Kohle, Naphtha und Öl einsetzen. Dies würde zu einem Gesamtausstoß von 23 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr 2050 führen.

Die Ergebnisse der NEFI-Szenarien zeigen, dass im ZEM-Szenarien die Emissionen auf Null reduziert werden können. Den größten Anteil haben hier Strom, Wasserstoff und Biofuels. Der Gesamtenergiebedarf steigt von 135 TWh im Jahr 2019 auf 172 TWh im Jahr 2050.

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Klimaneutrale Industrie: Szenario 2

Das zweite Szenario, Pathway of Industry (POI), wurde in Zusammenarbeit mit den führenden Industrieunternehmen der einzelnen Teilsektoren entwickelt. Die Unternehmen lieferten dazu eine Einschätzung, welche klimafreundlichen Technologien unter den gegebenen Rahmenbedingungen bis 2030 im industriellen Energiesystem eingesetzt werden könnten.

Auf Basis kurz- bis mittelfristig verfügbarer Technologien wurde diese Einschätzung bis 2050 extrapoliert. Das Szenario POI skizziert damit eine realistische Perspektive für die Industrie und gibt darüber hinaus Aufschluss über technisch-ökonomische oder regulatorische Hemmnisse für die Transformation der Industrie. In diesem Szenario steigt der Gesamtenergiebedarf bis 2050 auf 168 TWh (inklusive des Strombedarfs für die Herstellung des benötigten Wasserstoffs), während die CO2-Emissionen um 31 auf 0,6 Millionen Tonnen sinken.

Lesen Sie auch hier: Laut IEA wird der Markt für Energietechnologien bis 2030 auf rund 606 Mrd. Euro jährlich wachsen - um das 3-fache des aktuellen Wertes.

Die NEFI-Dekarbonisierungsszenarien haben fünf zentrale Handlungsempfehlungen für die Transformation zu einer klimaneutralen österreichischen Industrie sowie den Einsatz von vier „No Regret“ Technologien formuliert.

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Klimaneutrale Industrie: Szenario 3

Das dritte Szenario, Zero Emissions (ZEM), zeigt, wie durch umfassende und ambitionierte Maßnahmen eine vollständige Klimaneutralität der österreichischen Industrie bis 2050 erreicht werden kann.

Mit der Methode des Backcasting wurde ein möglicher Transformationspfad aufgezeigt, der neben technologischen auch sozioökonomische und infrastrukturelle Parameter berücksichtigt. In diesem Szenario steigt der Gesamtenergiebedarf bis 2050 auf 172 TWh. Der Anstieg ist insbesondere auf den verstärkten Einsatz von Wasserstoff in der Eisen- und Stahlindustrie sowie in der Grundstoffchemie zurückzuführen.

Kunststoffe würden dann nicht mehr aus fossilen Erdölprodukten, sondern auf Basis von Wasserstoff und CO2 hergestellt. Auch die unvermeidbaren CO2-Emissionen der Zementindustrie könnten so in sektorübergreifender Kooperation sinnvoll genutzt werden.

Industrie klimafit: Strom spielt Schlüsselrolle

Die Basis für die Transformation bilden die Produktionstechnologien der jeweiligen Industriesektoren und vier technologische Hebel: die Nutzung erneuerbarer Gase und Biomasse, die Elektrifizierung und Steigerung der allgemeinen Energieeffizienz, die CO2-Abtrennung sowie die Kreislaufwirtschaft.

Die Elektrifizierung mit erneuerbarem Strom wird eine Schlüsselrolle bei der Transformation des Industriesektors spielen. Derzeit werden 20 Prozent des Gesamtenergiebedarfs der österreichischen Industrie durch elektrische Energie gedeckt, das entspricht rund 27 TWh. Die Studie zeigt, dass sowohl im POI- als auch im ZEM-Szenario rund 49 TWh Strom für Endenergieanwendungen (ohne zusätzlichen Strombedarf für die Wasserstoff-Elektrolyse) benötigt werden, um industrielle Klimaneutralität zu erreichen.

Neben der allgemeinen Elektrifizierung, wie etwa dem Einsatz von Wärmepumpen, ist dieser Anstieg vor allem auf Elektrolichtbogenöfen und Anlagen zur CO2-Abscheidung in den Sektoren Eisen und Stahl sowie nichtmetallische Mineralien zurückzuführen. Wird zusätzlich der gesamte Wasserstoffbedarf in Österreich durch Elektrolyse gedeckt, steigt der gesamte Strombedarf für die industrielle Produktion im ZEM-Szenario auf 116 TWh. Bei der Gasversorgung gehen die Szenarien POI und ZEM von unterschiedlichen technologischen Anwendungen aus: Während POI stärker auf Methan und Biomasse setzt, kommt in ZEM vor allem Wasserstoff zum Einsatz.

Für eine rasche Umsetzung der neuen Technologien sind zudem gezielte Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsprojekte in Zusammenarbeit mit der Industrie notwendig. Für die Bereitstellung des hohen Energiebedarfs von 172 TWh im ZEM-Szenario – vor allem für Strom, Wasserstoff, Biokraftstoffe und Erdgas – ist der Ausbau der Energieinfrastruktur unerlässlich. Dazu gehören leistungsfähige Strom- und Gasnetze (inkl. Wasserstoff bzw. dessen Derivate), sowohl für den inländischen als auch für den grenzüberschreitenden Transport.

Die Energiewende in der Industrie erfordere das Engagement aller Akteure, heißt es schließlich von NEFI. "Dank der vorliegenden Studie und der Zusammenarbeit mit industriellen Leitbetrieben kennen wir nun den Pfad, um die Transformation zu einer klimaneutralen österreichischen Industrie aktiv zu gestalten", sagt Wolfgang Hribernik, NEFI-Verbundkoordinator und Head of Center for Energy am AIT Austrian Institute of Technology.

Die Szenarien von NEFI zeigen nicht nur die technologischen Herausforderungen auf, sondern auch die regulatorischen Hürden. Um die industrielle Energiewende in Österreich umsetzen zu können, müssen diese überwunden werden. "Die Ergebnisse zeigen, dass wir den Umstieg in Österreich schaffen können. Allerdings müssen die Anstrengungen in diesen Bereichen verstärkt und beschleunigt werden", sagt Thomas Kienberger, Leiter des NEFI_Lab.