Finanzsanktionen : Russland/Ukraine: Das sagen Ökonomen zu Sanktionen

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank: "Wir erwarten, dass die russische Wirtschaft in eine Phase schmerzhaft niedrigen Trendwachstums eintreten wird."

- © YouTube/ Commerzbank AG

Kürzlich hat der Westen scharfe Finanzsanktionen gegen Russland verhängt. Die Europäische Union (EU) setzte Sanktionen gegen die russische Zentralbank in Kraft. Sie umfassen ein Verbot von Transaktionen mit dem Finanzinstitut. Zudem werden alle Vermögenswerte der Bank in der EU eingefroren. Die russische Zentralbank reagierte unter anderem mit einer drastischen Zinsanhebung um 10,5 Punkte auf 20 Prozent.

Außerdem beschlossen Deutschland, die Vereinigten Staaten und andere westliche Verbündete einen Ausschluss ausgewählter russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift.

Die Einschätzungen von Ökonomen im Überblick:


Erste-Group-Chef Bernd Spalt sieht keine Alternative zum Sanktionsregime gegen Russland und meint zu den Auswirkungen auf die Bevölkerung: "Sie ist schon zuletzt von Jahr zu Jahr ärmer geworden, weil das Wirtschaftsmodell Russlands nicht funktioniert hat." Dass die österreichische Einlagensicherung bei der russischen Sberbank Europe mit Sitz in Wien haftet, sei "höchst unbefriedigend" und die hohe Inflation werde noch länger erhalten bleiben, sagte er zum "Standard".

Für die Sberbank Europe haften die Einlagensicherungsgesellschaften, zu denen neben Raiffeisen und den Sparkassen auch die Erste gehört, mit 913 Mio. Euro. "Aus unserem Einlagenfonds kommen zunächst einmal rund 230 Millionen Euro. Sollte es zu einem Insolvenzverfahren kommen, wird es aber Rückflüsse aus der Vermögensverwertung der Sberbank geben. Man kann jetzt also noch nicht sagen, wie viel uns das alle letztlich kosten wird", so Spalt.

Die "Werkzeuge" Einlagensicherung müssten komplett neu aufgestellt werden. "Es ist klar, dass man Einlagen schützen muss, aber dafür braucht es ein klares Regime und strenge Frühwarnsysteme, denen sich jede Bank unterwerfen muss, sodass rechtzeitig interveniert werden kann - bevor jemand gegen die Wand knallt. Da geht es etwa um Offenlegung von Detailzahlen und Regeln, was geschieht, wenn ein Mitglied die Vorgaben nicht erfüllt", konkretisierte der Bankenchef.

Zur Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) meinte Spalt: "Ich glaube, dass die EZB erst kurz vor dem Jahresende erste Zinsschritte setzen wird. Die Inflation wird uns noch länger bleiben."

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank

"Russland wird nicht nur durch die Finanzsanktionen, sondern auch durch die am Freitag beschlossenen Exportbeschränkungen getroffen. Diese gelten für Ausrüstungen von Ölraffinerien, Flugzeugteile, Halbleiter etc. Da die Beschränkungen auf Hightech-Exporte abzielen, dürften sie der Wirtschaft Russlands langfristig beträchtlich schaden, auch weil sie die ökonomische Entwicklung jenseits des Energiesektors behindern. Wir erwarten, dass die russische Wirtschaft in eine Phase schmerzhaft niedrigen Trendwachstums eintreten wird."

Thomas Gitzel, Chefredakteur VP Bank


"Der Ausschluss russischer Banken aus dem Zahlungssystem Swift bleibt nicht ohne wirtschaftliche Folgen für den europäischen Bankensektor. Der Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungsverkehr bedeutet, dass diese Finanzinstitute ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihren europäischen Gläubigern nicht mehr begleichen können. (...) Harte Sanktionen, die Russland wirklich treffen, gibt es für Europa nicht zum Nulltarif. Je weiter Russland sanktioniert wird, desto deutlicher werden die wirtschaftlichen Folgen für die europäischen Staaten und auch für die USA. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn es zu einem Stopp russischer Gaslieferungen käme."

Analysten der US-Investmentbank JPMorgan


"Das Design dieser Sanktionen besteht darin, der russischen Wirtschaft erheblichen Schaden zuzufügen und gleichzeitig den Fluss russischer Öl- und Erdgasexporte aufrechtzuerhalten. Diese Sanktionen werden mit ziemlicher Sicherheit treffen und Russland dürfte auf eine tiefe Rezession und die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen zusteuert. (...) Während der Schaden für Russland sehr wahrscheinlich erscheint, ist es ungewiss, ob die russischen Exporte weiter möglich sein werden. Die unmittelbare Frage ist, ob die westlichen Verbündeten tatsächlich Ausnahmen für Energiezahlungen durchsetzen können. Energiezahlungen werden schwer zu identifizieren sein."

Neil Shearing, Chefvolkswirt Capital Economics


"Wir gehen weiterhin davon aus, dass die Auswirkungen auf die globalen Lieferketten insgesamt relativ gering sein werden, aber der Ausschluss einiger russischer Banken aus dem Swift-System bedeutet, dass der Handel zwischen Russland und Europa außerhalb des Energiesektors wahrscheinlich einbrechen wird. Angriffe auf die Infrastruktur, die Gas nach Westeuropa transportiert, könnten die Preise weiter in die Höhe treiben und den Inflationsdruck erhöhen. Und die zusätzlichen Sanktionen könnten zu Vergeltungsmaßnahmen Russlands führen, was die Energieimporte nach Westeuropa einschränken könnte."

Holger Schmieding, Chefvolkswirt Berenberg Bank


Die Sanktionen können jedoch das Risiko erhöhen, dass Russland Energie- und andere Rohstofflieferungen nach Europa einschränkt, wenn Russland die Erlöse aus solchen Verkäufen nicht verwenden kann. (...). Die Sanktionen dürften Russlands Wirtschaft und damit seine Fähigkeit, sich sein überdimensioniertes Militär im Laufe der Zeit leisten zu können, schwächen. (apa/red)