Gescheiterte Kapitalerhöhung : Machtkampf bei AT&S - Androsch zwingt CEO Gerstenmayer zum Rücktritt
Die Nachricht kam überraschend: Andreas Gerstenmayer, CEO des steirischen Leiterplattenherstellers AT&S, hat angekündigt, das Unternehmen bereits zum 30. September zu verlassen. Eigentlich wäre der Vertrag des CEO noch bis 31. Mai 2026 gelaufen. Auf Nachfrage wurden weder Details zu den Hintergründen noch Informationen zur zukünftigen Besetzung der Position bekannt gegeben. Hannes Androsch, dessen Stiftung 18 Prozent der AT&S-Anteile hält, kommentierte den Rücktritt und sprach von einer "persönlichen Entscheidung" Gerstenmayers. Gerstenmayer führt seit Anfang 2010 die Geschäfte des Leiterplattenkonzerns.
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Allerdings hatte sich der Rückzug Gerstenmayers wohl schon vor Wochen abgezeichnet, wie "Die Presse" berichtet. Demnach hat es bereits seit Monaten einen internen Machtkampf zwischen dem künftigen Ex-CEO Gerstenmayer und dem Aufsichtsratspräsidenten und Großaktionär der börsenotierten AT&S, Hannes Androsch, gegeben. In Wahrheit hatte Androsch persönlich darauf hingewirkt, Gerstenmayer aus dem Amt zu drängen. Die Differenzen zwischen ihnen hatten sich zuletzt so stark zugespitzt, dass Androsch keinen Weg mehr für eine Einigung sah.
Die Kontrahenten
Hannes Androsch ist seit vielen Jahren eine der prägendsten Persönlichkeiten in der österreichischen Industrie und Politik. Der ehemalige Spitzenpolitiker der SPÖ und Unternehmer ist maßgeblich am Erfolg von AT&S beteiligt. Er hält über seine Beteiligungsgesellschaft eine beträchtliche Aktienmehrheit und ist als Aufsichtsratsmitglied im Unternehmen aktiv.
Andreas Gerstenmayer, seit 2010 CEO des Leiterplattenherstellers, hat das Unternehmen in den letzten Jahren durch turbulente Märkte und eine anspruchsvolle globale Wettbewerbslandschaft geführt. Unter seiner Führung hat sich AT&S zu einem internationalen Technologieführer entwickelt, insbesondere im Bereich von Hightech-Leiterplatten für die Elektronik- und Automobilindustrie sowie zunehmend in der Halbleiterindustrie.
Codename: "Projekt Ovid"
Im Frühjahr dieses Jahres spitzte sich die Lage für den Halbleiter-Konzern dramatisch zu: AT&S kämpfte bereits mit einer globalen Nachfrageschwäche. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2024/25 verzeichnete das Unternehmen zudem einen erheblichen Verlust. Das operative Ergebnis fiel von einem Gewinn von acht Millionen Euro auf einen Verlust in gleicher Höhe. Das Konzernergebnis rutschte sogar auf minus 34 Millionen Euro ab.
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Gerstenmayer, unterstützt von Großaktionär Willibald Dörflinger, einstiger Partner von Hannes Androsch, nahm Gespräche mit der Staatsholding Öbag auf. Ziel war eine Kapitalerhöhung zwischen 450 und 500 Millionen Euro, durch die die Öbag etwa 25 Prozent der AT&S-Anteile übernehmen sollte. Es begannen die streng vertraulichen Verhandlungen unter dem Codenamen „Projekt Ovid“. Der 86-jährige Industrielle Hannes Androsch, der 17 Prozent der Anteile an AT&S hält, stellte sich allerdings entschieden gegen den Plan. Eine Kapitalerhöhung hätte seinen Anteil verwässert, die Öbag wäre zum Großaktionär geworden. Auch sah Androsch durch einen Eintritt der Öbag keinen Nutzen für das Unternehmen. Die Maßnahme wurde kurzerhand gestoppt.
Gerstenmayer soll daraufhin deutlich seinen Unmut geäußert haben. AT&S sah sich gezwungen, weltweit den Abbau von 1000 Stellen anzukündigen, darunter rund 250 in Österreich. Auch der nun vollzogene Verkauf des Werks in Ansan, Südkorea, sei auf die geplatzte Kapitalerhöhung zurückzuführen. Der Kaufpreis liegt bei mehr als 400 Millionen Euro – eine Summe, die etwa der Höhe der von Gerstenmayer angestrebten Kapitalerhöhung entsprochen hätte.
Unter der Führung Gerstenmayers hat AT&S bedeutende Expansionsschritte vollzogen, vor allem in Asien, wo neue Produktionsstätten in China, Indien und Malaysia eröffnet wurden. Das Werk in Ansan galt für AT&S als "Erfolgsgeschichte".
Differenzen über die Zukunft von AT&S
Der Streit zwischen Androsch und Gerstenmayer entzündete sich Berichten zufolge an unterschiedlichen Vorstellungen über die strategische Ausrichtung von AT&S - schon deutlich vor den nun bekannt gewordenen internen Machtkämpfen. Während Androsch offenbar stärker auf die Sicherung und den Ausbau der heimischen Produktionskapazitäten drängte, setzte Gerstenmayer auf eine globalisierte Wachstumsstrategie mit weiteren Investitionen in internationale Märkte, insbesondere in Asien. Hier hat AT&S in den letzten Jahren umfangreiche Mittel investiert, um Produktionsstätten in China auszubauen und den wachsenden Bedarf an Hightech-Komponenten zu decken.
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Insbesondere der weitere Ausbau der Produktionskapazitäten in China stand offenbar immer wieder im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Gerstenmayer verfolgt den Kurs, die Präsenz in der Region weiter zu stärken, um von der zunehmenden Elektrifizierung und Digitalisierung zu profitieren. Androsch hingegen soll eine stärkere Rückverlagerung von Produktion und F&E nach Europa fordern, um unabhängiger von geopolitischen Spannungen und globalen Lieferkettenproblemen zu werden.
Bereits Anfang September wurde bekannt, dass Androsch eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats einberufen hatte, um die vorzeitige Entlassung von AT&S-Chef Andreas Gerstenmayer zu beschließen. Hannes Androsch wollte den Termin nutzen, um „seinen größten Widersacher, AT&S-Chef Gerstenmayer aus dem Konzern zu drängen“. Wie die Presse berichtete, hatte Androsch zwar eine Mehrheit im Aufsichtsrat hinter sich, jedoch nicht die volle Unterstützung aller Mitglieder. Dies führte offenbar zu intensiven Diskussionen, die sich über mehr als fünf Stunden erstreckten. Am Ende brachte die Sitzung jedoch kein konkretes Ergebnis. Seitens des Unternehmens hieß es lediglich: „Es gab – wie bei Aufsichtsratssitzungen üblich – ausführliche Besprechungen und Erörterungen. Es wurden keine Beschlüsse gefasst, die eine Veröffentlichung notwendig machen.“
"Das sei dahingestellt"
Im Interview mit der Kleinen Zeitung geht Hannes Androsch nicht direkt auf die Frage ein, ob ein Machtkampf im Unternehmen stattgefunden habe. „So viele Meldungen haben nicht gestimmt. Da kommt es auf die eine oder andere mehr auch nicht an“, kommentiert der 86-Jährige knapp. Er verweist jedoch auf „drei einstimmig getroffene Aufsichtsratsbeschlüsse“, die bestimmte Formen der Beteiligung ablehnten. Auf die Frage, ob ihn der Rücktritt des CEO überraschte, antwortet er lediglich: „Das sei dahingestellt.“
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Androsch betont, dass der Fokus nun darauf liege, die „Hausaufgaben“ im Konzern anzugehen, insbesondere in den Bereichen „Kosteneffizienz und Qualität“. Die vakante Vorstandsspitze solle schnellstmöglich neu besetzt werden: „Je rascher, desto besser“, so der Aufsichtsratsvorsitzende, wobei der Nominierungsausschuss nun gefordert sei. Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen zeigt sich Androsch optimistisch und verweist auf die Erholung der Branche. Im „nächsten Jahr“, so seine Überzeugung, werde AT&S „wieder an Fahrt aufnehmen“, da sich die „Weltmarktumstände langsam bessern“.