APG-Vorstand Christiner im Interview : APG-Vorstand Christiner: „Jeder Cent der vermeidbar wäre, ist zu viel“

Gerhard Christiner APG

"Wir korrigieren etwas, das ökonomisch optimiert ist, auf eine ökonomisch nicht optimale Weise": Gerhard Christiner, Vorstand des Verteilnetzbetreibers APG

- © H. Lehmann / Wien

Der Ausbau der erneuerbaren Energie schreitet voran, doch die Netze kommen dadurch an ihre Belastungsgrenze. Stimmt der Eindruck?

Gerhard Christiner
, APG:
Es stimmt, die Energiewende wurde lange Zeit fast ausschließlich von der Erzeugungsseite betrachtet. Über die Netzinfrastruktur hat man sich in der öffentlichen Diskussion weniger Gedanken gemacht. Durch das Einspeisen volatiler erneuerbarer Energie werden Netze aber viel stärker beansprucht als in der Vergangenheit. Und zwar auf allen Ebenen: Photovoltaik speist auf der niedrigsten Spannungsebene ein, die Windenergie auf der Mittelspannungsebene, und wenn sich regionale Überschüsse kumulieren, dann schlägt das bis ins Übertragungsnetz durch.

Lesetipp: So stemmt Österreich die Energiewende


Und das droht dann zusammenzubrechen?

Christiner: Nein, davon sind wir weit entfernt. Aber wir müssen zunehmend in das System eingreifen, um die Stabilität zu gewährleisten. Das heißt, wir korrigieren etwas, das ökonomisch optimiert ist, auf eine ökonomisch nicht optimale Weise. Denn, je mehr Notfallmaßnahmen notwendig sind, um das Netz zu stabilisieren, umso stärker rücken technische und nicht wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund und das ist teuer. Im Vorjahr haben wir 142 Millionen Euro aufwenden müssen, um das Übertragungsnetz zu stabilisieren.

Ist das gemessen am Gesamtergebnis viel oder sehr viel?


Christiner:
Jeder Cent der vermeidbar wäre, ist zu viel. Um die Größenordnung zu zeigen: Wir verdienten im Vorjahr rund 1,5 Euro pro transportierter Megawattstunde, zugleich mussten wir aber 3 Euro pro MWh ausgeben, damit das Netz stabil bleibt. Das zeigt sehr deutlich, wo aktuell die Prioritäten liegen. Fakt ist: Nur durch den Ausbau der Stromnetze lassen sich die Kosten für Notfallmaßnahmen reduzieren und die Erneuerbaren integrieren. Nachhaltig wäre es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wir die Netze schneller ausbauen können.

„Je mehr Notfallmaßnahmen notwendig sind, um das Netz zu stabilisieren, umso stärker rücken technische und nicht wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund und das ist teuer.“
Gerhard Christiner, Vorstand APG

Was aber offenbar nicht gelingt.

Christiner:
Gemessen an den aktuellen Rahmenbedingungen gelingt sogar sehr viel. Aber die rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es nach wie vor, Projekte durch Einsprüche monatelang, mitunter sogar jahrelang zu blockieren. Ein aktuelles Beispiel ist der Netzausbau im Zentralraum Oberösterreich – ein wirkliches Jahrhundertprojekt. Die durch dieses Projekt unterstützte Dekarbonisierung der heimischen Industrie, ist ein echter Meilenstein, weil allein durch die Umstellung von zwei Hoch- auf Elektrolichtbogenöfen rund fünf Prozent der gesamten CO2-Emissionen pro Jahr eingespart werden können. Gerade bei diesem Projekt hatten wir es aber, verglichen mit der Dringlichkeit der Energiewende, mit Einwänden zu tun, die sehr schwer nachvollziehbar sind.

Zum Beispiel?


Christiner:
Der letzte Einspruch im Projekt Zentralraum Oberösterreich betraf eine bereits bestehende Leitung, die wir von einer 110 kV auf 220 kV aufrüsten müssen. Dazu ist es nötig die Trasse breiter zu machen und etwa 0,03 Prozent des Gesamtbaumbestands auf dem betroffenen Areal zu schlägern. In der Verhandlung wurde diskutiert, ob sich in den betroffenen Bäumen Nester einer bestimmten schützenswürdigen Fledermausart befinden könnten, obwohl man nicht einmal sicher wusste, dass diese Fledermaus in dem betroffenen Gebiet überhaupt vorkommt. Das ist skurril. Aber solange das Gesetz alle Einsprüche gleich wertet, egal wie schwerwiegend oder nebensächlich sie sind, müssen sich Richter auch mit solchen Fragen auseinandersetzen. Und während Gutachten erstellt, gelesen und bewertet werden, läuft uns die Zeit davon.

Sprich: Wenn es so weitergeht, droht die Energiewende zu scheitern.


Christiner:
Es geht um mehr. Letztlich geht es darum, ob wir in einer freien, unabhängigen Wirtschaft leben wollen. Denn wir haben die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zwar bislang gut gemeistert, energieunabhängig sind wir aber noch lange nicht. Wenn Sonne und Wind da sind, haben wir schon heute eine Bedarfsdeckung und können sogar exportieren. Wenn aber Wind und Sonne fehlen, sind wir nach wie vor von Gas und Stromimporten abhängig. Und zwar ziemlich stark.

Was wäre die Lösung?


Christiner:
Wir brauchen einen Gesamtsystemplan der Speicher, Reserven, Produktion, Netze und die Digitalisierung gleichermaßen berücksichtigt. Dann kann das ganze System intelligenter und damit kostengünstiger gesteuert und entwickelt werden. Wir müssen uns zwar zum Glück keine Sorgen machen, dass Österreich der Strom ausgeht oder die Netze zusammenbrechen, aber die versorgungssichere Energiewende ist ein langer Prozess mit vielen Unwägbarkeiten. Deshalb ist es so wichtig, sich schon jetzt auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten.

Gerhard Christiner, Technischer Vorstand, Austrian Power Grid, Vienna (Austria)
"Wir haben die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zwar bislang gut gemeistert, energieunabhängig sind wir aber noch lange nicht." Gerhard Christiner, Vorstand des Verteilnetzbetreibers APG, - © Herbert Lehmann