Zühlke, Pierer Innovation, Pöttinger : DevOps in der Industrie: "Wir drehten jeden Stein um"

Zühlke Talk

Talkten über DevOps: Christian Strohmer, Industrial Manager Zühlke (rechts) und Stephan Ackermann, Bereichsleiter Produktmanagement, Pöttinger Landtechnik ; Moderation: INDUSTRIEMAGAZIN-Chefredakteur Rudolf Loidl (links)

- © WEKA Industrie Medien

Wenn Christian Strohmer grundsätzliche Überlegungen dazu anstellt, welche Kerntugend DevOps zufällt, dann sagt er bald den wundervollen Satz: "Es verbindet alle Fachleute, die in einem Wertstrom arbeiten". Einigkeit, aber auch der richtige Takt, entscheiden also darüber, ob es Unternehmen schaffen, digitale Produkte effektiv wie ihre physischen Produkte zu fertigen.

Strohmer muss es wissen - er ist Industrial Manager bei Zühlke. Unternehmen in transformatorischen Prozessen anzuleiten ist das täglich Brot des Innovationsdienstleisters. Und weil Maschinenbauer Zusatzumsatz in digitalen Diensten rund ums Kernprodukt lukrieren müssen, wird das Thema wichtiger: Wie ist der Transfer der "Lean Production" aus der Industrie in die Welt der Bits und Bytes einlösbar?

Debatte


Hochspannende 90 Diskussionsminuten darüber erwarteten Teilnehmer beim Zühlke Talk am 10. Mai im Studio von WEKA Industrie Medien. Moderiert von INDUSTRIEMAGAZIN-Chefredakteur Rudol Loidl, diskutierten mit Christian Strohmer Walter Sieberer, Managing Director Pierer Innovation sowie Stephan Ackermann, Bereichsleiter Produktmanagement beim Landtechnikhersteller Pöttinger. Mit DevOps identifizierten die Diskutanten zwar eine relativ junge Philosophie, die in den beiden Unternehmen freilich so neu nicht ist:

Die Unternehmenskultur, die Herangehensweisen und Praktiken, um die Bereitstellung von Software und Time-to-Market deutlich zu beschleunigen, findet bei beiden als zwei innovationsstarken Anwendern in deren Prozessen früh Einsatz.

Sieberer Zühlke Talk
Aus Wels zugeschaltet: Walter Sieberer, Managing Director Pierer Innovation - © WEKA Industrie Medien

Neues Prozessdrehbuch

Und zwar so, wie es das optimale Prozessdrehbuch vorsieht: "Es braucht eine Abkehr von Organisationssilos und dem Denken in Projekten zugunsten eines Denkens in Produkten", sagt Christian Strohmer. So müssten "Produktlinien" für Software geschaffen werden, um mit der Entwicklung digitaler Produkte am laufenden Band "kontinuierlich Wert zu schaffen", so der Zühlke-Experte.

Lesen Sie auch: Pöttinger - "Live-Daten sind eine Herausforderung"

Dabei sollte man dem - turbulenzarmen - Fließprinzip der Produktion folgen, in dem vorgemacht wird, wie es geht: "Ohne Zwischenlagerung gelangt ein Produkt von einem Prozessschritt zum nächsten", sagt Strohmer, der interessierten Unternehmen ein Wertstrom-Mapping für die Entwicklung von Softwarediensten oder Apps ans Herz legt. Oder einen Blick zu den Tech-Unternehmen wie Tesla: Der US-Fahrzeugbauer ist bei Rollouts nicht nur sehr sehr schnell, sondern auch adaptiv - Ausbesserung von Bugs "inklusive", beobachtet Strohmer.

Wegmarken

Schnell sind freilich auch andere. Gemeinsam mit Alex Pierer baute Walter Sieberer ausgehend von 2018 als zunächst Zwei-Mann-Betrieb, der Pierer Innovation, den Digitalarm des Zweirad, Motorrad- und Sportfahrzeugbauers auf. DevOps fand im Konzern zu der Zeit bereits Einsatz: "Es wurde hier schon agil im B2B-Bereich im Unternehmen gearbeitet", schildert Sieberer.

Lesen Sie auch: Alex Pierer: Wie er Digitalisierung voranbringt

Der Aufbau einer eigenen Softwareentwicklung war eine entscheidende Wegmarke - die Übernahme einer Linzer Entwicklerfirma brachte zugegeben "einen Startvorteil", sagt der KTM-Mann. Als erste Annäherung an DevOps begann der Innovationsarm von Pierer, Nabelschau zu betreiben: "Wir verschafften uns Klarheit über unsere digitale Reife, drehten jeden Stein um", sagt Sieberer. So sei man ins Laufen gekommen. Oberhalb der Produktwelten wurde - in der richtigen Annahme, dass Produkte bald alle miteinander konnektiert seien - ein eigener IoT-Stack aufgesetzt.

DevOps war - etwa auch neben dem Technologiescouting und dem Aufbau eines fähigen Mitarbeiterstabs - einer der Skills, die man ernst nahm: "Für uns war es damals nicht selbstverständlich, Softwareprodukte zu bringen, die für den Geschäftserfolg zunächst nur eingeschränkt Relevanz hatten", so Sieberer. Mittlerweile habe man ein digitales Ökosystem mit 250 Mitarbeitern erschaffen.

Sprints


Dailys und 14-tägige Sprints in der Entwicklung sind für Stephan Ackermann, Bereichsleiter Produktmanagement beim Landtechnikhersteller Pöttinger kein Neuland. Er spricht wohlgemerkt von der Hardwareentwicklung. Ein Umstand, der geholfen habe, bei den digitalen Services schneller Neuland zu erobern. Harvest Assist, eine kostenlose App für eine höhere Ernteleistung, nennt Ackermann gern als Beispiel für eine vergleichsweise "einfache, schnelle Entwicklung". Digital werde der über 150 Jahre alte Landmaschinenbau unterschätzt, schmunzelt er. DevOps stand nicht als Tool, das eine Volumengröße in Aussicht stelle, auf dem Plan - dessen Einsatz habe sich im Unternehmen "vielmehr ergeben", sagt er.

Natürlich sei man als Entwickler unter Beobachtung. Man brauche die Akzeptanz der großen Player. Erfolgserlebnisse würden in dem Punkt schnell Barrieren im Kopf einreißen.

Altes Kulturdenken loswerden


Zühlke-Experte für Industrie Innovationen Christian Strohmer stimmt zu: Es ist anfänglich eine Herausforderung, das alte Kulturdenken dort zu ersetzen, wo ein kontinuierlich-iterativer Ansatz "noch nicht so am Schirm ist". Nachsatz: In Produkten zu denken heißt auch: Viele neue Rollen in Unternehmen zu besetzen.

Und: Über ein hohes Maß an Selbstorganisation zu verfügen. Bei Pierer Innovation gebe es für SCRUM Teams erreichbare Storypoints. Und das Verhältnis eines zurückgelegten Wegs zur dafür benötigten Zeit - unter dem Terminus Velocity bekannt - gilt besonderes Augenmerk. Weitere KPIs seien durch Analytics definiert, um die Effektivität zu messen und die Product Owner steuern die Effizienz in den Teams.

Selbstorganisation ist auch bei Pöttinger ein Thema. Denn Features müssten immer dann, wenn sie saisonal benötigt werden, fertig sein. "Sonst verlieren wir im schlimmstenfalls ein ganzes Jahr", sagt Stephan Ackermann.

Unterstützung könnten die Dora Metriken - Deployment Frequency (DF), Lead Time for Changes (LT), Mean Time to Recovery (MTTR) und Change Failure Rate (CFR) - geben, heißt es bei Zühlke.

Rollen verschwimmen


In Sachen Organisationskultur gibt es somit einiges zu berücksichtigen, will man mit DevOps punkten. Das Softwareprodukt müsse in Hinkunft nachhaltig betreut werden. Und es brauche eine offene Kultur, und ein Maß an Fehlertoleranz, damit nicht immer ein Bereich nur für Fehler gerade stehen müsse, und "gemeinsame Teamerfolge". Bei der Einführung Change Prozesse zu torpedieren, indem man ständig korrektiv eingreife, sei nicht zielführend, sagt Sieberer.

Nie mehr eine wichtige News aus der Industrie verpassen? Abonnieren Sie unser Daily Briefing: Was in der Industrie wichtig wird. Täglich um 7 Uhr in ihrer Inbox. Hier geht’s zur Anmeldung!


Den Teamgedanken kann Pöttinger-Manager Ackermann nur unterstreichen. Die Rollen verschwimmen, Ergebnisse im Team rücken "an die Stelle von Einzelverantwortlichkeiten", sagt er. Bei Pöttinger erwirtschafte man schon etwa ein Fünftel mit intelligenten Maschinen. Die Ernte-App gebe es kostenlos im Store, einen eigenen Vertrieb eigenes für Softwareprodukte habe man derzeit nicht.

Auch auf den Vertrieb, ist sich Zühlke-Experte Strohmer sicher, kommen Veränderungen dort zu, wo monetarisierbare Services gedeihen.

Der größte Fehler mit Blick auf DevOps? Es gar nicht erst einmal zu versuchen. Oder zu groß zu starten. "Lieber klein außerhalb der Organisationssilos beginnen und schnell steigern", sagt Strohmer.