Deutsche Stahlindustrie : Massive Kürzungen bis 2030 geplant: Thyssenkrupp streicht 11.000 Stellen

Thyssenkrupp Duisburg

Thyssenkrupp hat nach eigenen Angaben durch ein Gutachten einen positiven Ausblick für die krisengeschüttelte Stahlsparte erhalten.

- © Thyssenkrupp

Deutschlands führender Stahlproduzent, Thyssenkrupp Steel Europe, plant drastische Maßnahmen zur Restrukturierung: In den kommenden sechs Jahren sollen die Arbeitsplätze von derzeit rund 27.000 auf 16.000 reduziert werden. Das gab das Unternehmen in einem aktuellen Statement bekannt. Die Kürzungen sind Teil eines umfassenden Sparprogramms, das durch die schwierige Marktlage notwendig wird.

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Bis Ende 2030 sollen etwa 5.000 Stellen durch Anpassungen in Produktion und Verwaltung wegfallen. Weitere 6.000 Arbeitsplätze sollen durch Auslagerungen an externe Dienstleister oder den Verkauf von Geschäftsbereichenentfallen. Der Standort in Kreuztal (NRW) mit rund 500 Beschäftigten wird komplett geschlossen, während an den übrigen Standorten, insbesondere Duisburg, die Personalzahlen erheblich reduziert werden. Duisburg, mit derzeit 13.000 Mitarbeitenden, wird besonders hart getroffen.

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- © Industriemagazin

Deutliche Umsatz-Rückgänge

Die Stahlsparte, die mehrheitlich zum Industriekonzern Thyssenkrupp gehört, reagiert damit auf eine anhaltende Nachfrageschwäche am globalen Stahlmarkt. Hohe Kosten, Billigimporte aus Asien und der Druck, klimafreundlichere Produktionsmethoden einzuführen, belasten das Unternehmen zusätzlich.

Dennis Grimm, Chef der Stahlsparte, betonte: „Um uns zukunftsfest aufzustellen, ist eine umfassende Optimierung und Verschlankung unseres Produktionsnetzwerkes und unserer Prozesse notwendig.“ Ziel sei es, langfristige Perspektiven für die Beschäftigten zu schaffen und gleichzeitig Kosten zu senken.

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Im Geschäftsjahr 2023/24 hat die anhaltende Konjunkturschwäche Thyssenkrupp stark belastet. Bis Ende September verzeichnete der Konzern deutliche Rückgänge bei Umsatz und Auftragseingang. Der bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) fiel um 19 Prozent auf 567 Millionen Euro. Unter dem Strich meldete das im MDax gelistete Unternehmen einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro, nach einem Minus von 2,0 Milliarden Euro im Vorjahr. Hauptursachen für den Verlust waren Wertberichtigungen im Anlagevermögen sowie Restrukturierungskosten. Dennoch plant der Vorstand, der Hauptversammlung eine Dividende von 15 Cent je Aktie vorzuschlagen.

Für das laufende Geschäftsjahr zeigt sich Thyssenkrupp optimistischer: Aufgrund einer erwarteten Stabilisierung der Nachfrage im zweiten Halbjahr rechnet das Unternehmen mit einem Umsatzwachstum von bis zu 3 Prozent. Das bereinigte Ebit soll zwischen 0,6 und 1,0 Milliarden Euro liegen. Beim Jahresüberschuss wird eine Rückkehr in die Gewinnzone prognostiziert, mit einem Ergebnis zwischen 100 und 500 Millionen Euro.

Thyssenkrupp deckt ein breites Spektrum an Geschäftsfeldern ab, darunter Stahl, Werkstoffe, Marineschiffbau, Autoteile sowie grüne Technologien. Ende September 2023 beschäftigte der Konzern rund 98.000 Mitarbeitende, was einem Rückgang von 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.

Die Gewerkschaft IG Metall reagierte scharf auf die Ankündigungen. Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall, kritisierte den fehlenden Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen: „Genau das sind die roten Linien, die wir immer wieder kommuniziert haben.“ Er kündigte erbitterten Widerstand an.

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zeigte sich besorgt: „Das ist ein Schock für Tausende Beschäftigte und ihre Familien.“ Er forderte das Unternehmen auf, seiner sozialen Verantwortung nachzukommen.

Download von www.picturedesk.com am 26.11.2024 (11:36). 29 October 2024, Schleswig-Holstein, Kiel: Participants in a demonstration walk past the premises of Thyssenkrupp Marine Systems. IG Metall is calling on its members in the metal and electrical industry to go on warning strikes across the board from Tuesday. Photo: Frank Molter/dpa - 20241029_PD7106 - Rechteinfo: Rights Managed (RM)
Warnstreiks vor Thyssenkrupp Ende Oktober 2024 - © Frank Molter / dpa / picturedesk.com
Unsere Stahlindustrie muss vor nicht marktlichen Wettbewerbsverzerrungen geschützt werden.
Robert Habeck, deutscher Wirtschaftsminister

Druck auf die deutsche Stahlindustrie

Die Herausforderungen für Thyssenkrupp Steel Europe spiegeln die Krise der gesamten Branche wider. Die deutsche Stahlindustrie, zu der auch Unternehmen wie Salzgitter, ArcelorMittal und die Saarhütten zählen, steht unter erheblichem Druck. Insgesamt waren Ende 2023 noch rund 80.000 Menschen in der deutschen Stahlbranche beschäftigt.

Drei zentrale Faktoren belasten die Branche:

  1. Hohe Energiekosten: Die steigenden Preise erschweren die Wettbewerbsfähigkeit.
  2. Billigimporte aus Asien: Staatlich subventionierte Konkurrenzprodukte aus China setzen die deutschen Stahlhersteller unter Druck.
  3. Klimaziele: Die Umstellung auf eine klimafreundliche Stahlproduktion erfordert Milliardeninvestitionen.

Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, brachte die Situation auf den Punkt: „Die gesamte deutsche Stahlindustrie kämpft derzeit um ihr Überleben und ihre Zukunft.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach sich für stärkere Unterstützung der Stahlbranche aus. „Unsere Stahlindustrie muss vor nicht marktlichen Wettbewerbsverzerrungen geschützt werden“, erklärte er. In Zusammenarbeit mit der EU wurden die Schutzmaßnahmen gegen Stahlimporte bis Juni 2026 verlängert. Eine darüber hinausgehende Verlängerung sei allerdings WTO-rechtlich problematisch.

Burkhard zieht sich aus Thyssenkrupp-Vorstand zurück

Oliver Burkhard, derzeit Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Thyssenkrupp AG sowie CEO von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), wird sein Mandat im Vorstand bei Thyssenkrupp zum 31. Januar 2025 beenden, um sich vollständig auf seine Rolle als CEO von TKMS zu konzentrieren. Diese Entscheidung steht im Zusammenhang mit den Plänen des Konzerns, die Marinesparte TKMS abzuspalten und an die Börse zu bringen.

Burkhard betonte die gestiegene Nachfrage im Marineschiffbau aufgrund des veränderten sicherheitspolitischen Umfelds: "Das veränderte sicherheitspolitische Umfeld sorgt für eine verstärkte Nachfrage im Marineschiffbau. Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt und wir erwarten einen weiteren hohen Auftragseingang." Er wies zudem auf die intensiven Vorbereitungsarbeiten für den geplanten Spin-off hin.

Die Nachfolge für Burkhard als Personalvorstand und Arbeitsdirektor wird der Aufsichtsrat im Rahmen eines geregelten Prozesses zu gegebener Zeit entscheiden. Interimistisch wird Finanzvorstand Jens Schulte die Verantwortung für das Personalressort übernehmen.

Die Abspaltung der Marinesparte TKMS und deren geplanter Börsengang sind Teil der strategischen Neuausrichtung von Thyssenkrupp, um die Position von TKMS im wachsenden Markt des Marineschiffbaus zu stärken. Mit gut gefüllten Auftragsbüchern und einer hohen Nachfrage sieht das Unternehmen Chancen, die Sparte erfolgreich am Kapitalmarkt zu positionieren.

Oliver Burkhard
Oliver Burkhard - © Xing

Internes Gutachten liefert positiven Ausblick

Thyssenkrupp zufolge liefert ein aktuelles Gutachten einen positiven Ausblick für die angeschlagene Stahlsparte. Laut einer Unternehmensmitteilung basiert dies auf einem positiven Gutachten, das von der Thyssenkrupp AG und der Tochtergesellschaft Thyssenkrupp Steel Europe AG in Auftrag gegeben wurde. Das sogenannte IDW S11-Gutachten kommt zu einer positiven Fortführungsprognose für den Stahlbereich, wie der Konzern am Sonntag erklärte.

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Auf Grundlage dieser Ergebnisse hat die Thyssenkrupp AG eine Finanzierungszusage gemacht, die die Liquidität der Stahlsparte für die kommenden zwei Jahre sichert. „Damit herrscht nun Klarheit über die Finanzierungssituation des Stahlbereichs“, bestätigte das Unternehmen. Diese Informationen stützen einen Vorabbericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.

Das Gutachten bildet die Basis für die Finanzierung der Stahltochter durch die Muttergesellschaft für die nächsten zwölf bis 24 Monate. Ursprünglich sollte das Dokument bereits vor einigen Monaten fertiggestellt werden. Thyssenkrupp-CEO Miguel Lopez verfolgt das Ziel, die Stahlsparte auszugliedern und in ein 50:50-Joint-Venture mit der Holding des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky zu überführen. Dabei kam es zuvor zu Konflikten zwischen Lopez und dem ehemaligen Stahlchef Bernhard Osburg, der mittlerweile zurückgetreten ist.

Die Ergebnisse des aktuellen Gutachtens werden in eine umfassendere Untersuchung einfließen, die voraussichtlich im kommenden Jahr abgeschlossen wird.

Bekenntnis zur grünen Transformation

Trotz finanzieller Herausforderungen hält Thyssenkrupp trotz möglicher Kostensteigerungen an seinem Großprojekt für CO2-reduzierte Stahlherstellung in Duisburg fest. Thyssenkrupp-CEO Miguel López erklärte: „Wir stehen unverändert zu unserem Bekenntnis zur grünen Transformation und zur klimaneutralen Stahlproduktion.“ Die Aussage erfolgte anlässlich der Veröffentlichung der Geschäftszahlen für das abgeschlossene Geschäftsjahr 2023/24 in Essen.

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Die geplante Direktreduktionsanlage zur Herstellung von „Grünstahl“ soll einen klassischen Hochofen ersetzen und zunächst mit Erdgas, später mit Wasserstoff betrieben werden. Das Projekt, dessen Kosten auf rund drei Milliarden Euro geschätzt werden, ist bereits im Bau. Die Finanzierung umfasst Fördermittel von zwei Milliarden Euro: Der Bund trägt rund 1,3 Milliarden Euro, das Land Nordrhein-Westfalen weitere 700 Millionen Euro. Bisher wurden laut López etwa 700 Millionen Euro der Fördergelder bereitgestellt. Mit dieser Investition untermauert Thyssenkrupp Steel, Deutschlands größter Stahlhersteller, seine Führungsrolle im Bereich nachhaltiger Stahlproduktion.

Bedarf nach Wasserstoff

Ein zentraler Punkt für den Erfolg des Projekts ist die Versorgung mit Wasserstoff. López betonte die Dringlichkeit eines schnelleren Ausbaus des Wasserstoff-Pipelinenetzes in Europa: „Pipelines sind das einzige effiziente Transportmittel.“ Die neue Anlage benötigt jährlich 140.000 Tonnen Wasserstoff. Konkrete Entscheidungen zu Lieferanten und Mengen seien jedoch erst möglich, sobald die Fertigstellung der Pipeline zeitlich feststehe. „Die Produzenten warten darauf, Gewissheit zu bekommen“, so López.

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López unterstrich die Bedeutung des Projekts für den Wirtschaftsstandort Deutschland: „Wir sorgen für eine widerstandsfähige, kosteneffiziente und umweltfreundliche Stahlproduktion. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, um die Versorgung der deutschen Wirtschaft mit dem wichtigen Rohmaterial Stahl zu sichern.“ Die Transformation der Stahlsparte sei „das Richtige für Deutschland“.

Die Stahlsparte von Thyssenkrupp mit rund 27.000 Mitarbeitenden steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Geplant ist ein erheblicher Kapazitätsabbau, der auch Stellenstreichungen mit sich bringen wird. López bekräftigte jedoch, dass betriebsbedingte Kündigungen möglichst vermieden werden sollen: „Ein Zeitplan über viele Jahre und die demografische Entwicklung bilden dafür den Rahmen.“ Der Businessplan zur Neuaufstellung der Sparte soll in ein bis zwei Monaten vorliegen.