Siemens : Bernhard Kienlein: "Bei Digitalisierung geht es um mehr als nur Gimmicks"

Bernhard Kienlein, Chef der Antriebs- und Prozessindustriesparte bei Siemens Österreich, mittlerweile im Ruhestand.
© Siemens

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Kienlein, in großen Unternehmen kommt man immer öfter drauf: Digitalisierung ist ein Knochenjob. Zumindest, wenn nur einige wenige das Thema im Betrieb treiben. Wie sehr nimmt Sie die Digitalisierung mit?

Bernhard Kienlein: Die Digitalisierung beschäftigt mich sehr intensiv. Damit bin ich im Unternehmen aber mitnichten alleine. Wir gehen sie als Team an und sehen sie als Teil eines gewaltigen Change Managements. Beim Thema Digitalisierung greift nur ein interdisziplinärer Ansatz. Aber es stimmt natürlich: Die Digitalisierung beschäftigt die Führungsebenen stark, die Leitung einer Produktion ebenso wie die eines Gesamtunternehmens. Und was es spannend macht: Es gibt dabei keine eingetretenen Pfade.

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Wie geht man mit diesen nicht eben kleiner werdenden Unsicherheiten um?

Kienlein: Unsere Verantwortung für CEE-Cluster mit 19 Ländern in Zentral- und Osteuropa bringt schon von Haus aus mit, nicht um Antworten verlegen sein zu dürfen. Das Umgehen mit Unsicherheiten sind wir gewöhnt.

Bei Elektrifizierung und Automatisierung ist die Prozessindustrie Musterknabe. Siemens setzt aber auch auf Digitalisierung. Wie schwer fällt es hier, das Feuer zu entfachen?

Kienlein: Das erscheint mir gar nicht so schwer. Mit unseren Ansätzen des Integrated Engineerings auf der Basis durchgängiger Datenmodelle und der Integrated Operations im laufenden Betrieb bieten sich unseren Kunden vielfältige Hebel zum Steigern von Produktivität, Effizienz, Flexibilität, Qualität und Verfügbarkeit.Das ist sogar sehr einfach. Es gibt noch zahlreiche Ansätze, etwa beim Engineering, die Wege abzukürzen. Durch Software etwa, aber auch einheitliche Datenmodelle. Wo Daten von Mensch zu Maschine übertragen werden, gibt es in unserem Zeitalter die großen Hebel.

Fertigung soll einfacher, intuitiver für Anwender werden. So einfach wie Bürokommunikation - ist das ein Ziel?

Kienlein: Solange die Robustheit der Systeme erhalten bleibt, die die Industrie voraussetzt, ja. Parametrisieren statt programmieren ist immer öfter etwa im Engineering der richtige Ansatz. Und wie im Office ist auch in der Fertigung ein Gradmesser, in welchem Umfang papierlos gearbeitet wird.

Dieses Interview wurde erstmals November 2017 veröffentlicht. Aufgrund seines interessanten Inhalts haben wir es gerne für Sie aus dem Archiv geholt!

Mittlerweile sind alle Angebote rund um Digitalisierung im Geschäftsbereich Digital Industries (DI) bei Siemens zusammengefasst. In enger Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden, treibt DI die digitale Transformation in der Prozess- und Fertigungsindustrie voran. Mit dem Digital-Enterprise-Portfolio bietet Siemens Unternehmen jeder Größe durchgängige Produkte, Lösungen und Services für die Integration und Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette. Das Portfolio wird fortlaufend durch Innovationen und die Integration von Zukunftstechnologien erweitert.

Siemens Digital Industries hat seinen Sitz in Nürnberg und beschäftigt weltweit rund 76.000 Mitarbeiter. Insgesamt arbeiten für Siemens in Österreich rund 9.000 Menschen. Der Umsatz lag im Geschäftsjahr 2022 bei rund 2,8 Milliarden Euro. Siemens Österreich hat die Geschäftsverantwortung für den heimischen Markt sowie für weitere 25 Länder (Lead Country Austria).

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"Haben uns durch Akquisitionen im Softwaresektor für die Digitalisierung gestärkt"

Die Industrie muss immer öfter auf beratenden Verkauf setzen. Wie meistert Ihr Vertrieb die Herausforderung, mehr über die Vorzüge des digitalen Zwillings zu sprechen statt beispielsweise technische Eigenschaften eines Produkts?

Kienlein:
Wir haben dafür frühzeitig die Weichen gestellt. Vor über einem Jahrzehnt haben wir begonnen, uns sukzessive durch Akquisitionen im Softwaresektor für die Digitalisierung zu stärken. Zusammen mit unserem umfangreichen Applikations- und Branchen-know-how in unserem Vertrieb und laufender Qualifizierung sehen wir uns für diese Aufgabe gut gerüstet.

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Wo es auch ums Erproben neuer Geschäftsmodelle geht...

Kienlein:
Und auch darum, erst einmal ein Gefühl Verständnis für Daten zu bekommen. Beispiel Antriebstechnik. Seit der Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips vor über 150 Jahren durch unseren Firmengründer Werner von Siemens rechnen wir einen Elekromotor der Aktorik zu. Immer nach dem selben Motto: Elektrische Energie rein, Drehmoment und Drehzahl raus. Aus Sicht der Digitalisierung stellt ein Motor mit seiner Anwendung aber auch ein komplexes Sensorsystem dar. Sozusagen ein Goldschatz an elektrischen, magnetischen, akustischen und Vibrationsdaten, den es gilt, mit intelligenten Analysen zu heben und daraus Wert zu generieren.

Ein Motor neuer Geschäftsmodelle soll dabei Ihr cloudbasiertes IoT-Betriebssystem Mindsphere sein...


Kienlein:
Das uns in den ersten Praxisanwendungen ganz Erstaunliches lehrt: Daten aus der Produktion per cloudbasierter Kommunikation an einen Empfänger zu bringen, ist ohne große Zeitaufwand und mit wenigen Klicks möglich. Unseren Anwendungsexperten gelingt dies schon in wenigen Minuten. Ein Turbo für neue Geschäftsmodelle.

ROI (Return-on-investment)-Betrachtungen verlieren also vermutlich beim Kunden nicht an Wert...


Kienlein:
Ganz im Gegenteil - Der ROI ist und bleibt die entscheidende Größe. Es geht ja nicht um das Ausprobieren neuer technischer Gimmicks. Sondern Produktivitätssteigerung gemessen in harten Euro.

Zur Person Bernhard Kienlein

Bernhard Kienlein leitete ab 2014 die Division Process Industries and Drives CEE bei der Siemens AG Österreich. Davor war er für die Division Drive Technologies CEE zuständig. Kienlein war rund 30 Jahren im Konzern tätig, bevor er mit Anfang 2022 in Ruhestand ging.

Michael Freyny übernahm mit Oktober 2021 die Leitung des Geschäftsbereichs Digital Industries bei Siemens Österreich. Kienlein stand ihm hier beratend zur Seite.