Künstliche Intelligenz im Vertrieb : Das kann Dynamic Pricing

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Die Preissetzungslogik geht heute weit über die Beobachtung der Nachfrage hinaus.

- © aleksei_derin - stock.adobe.com

Man kennt es aus dem Alltag: Flugtickets, die sich minütlich der Nachfrage anpassen, Hotelzimmerpreise, die bei Großveranstaltungen in die Höhe schnellen oder die Preisgestaltung begehrter Artikel im Onlineshop, die dem Verkäufer die höchste Rendite beschert. Was im E-Commerce seit Jahren gang und gäbe ist, soll nun auch in der Industrie für mehr Flexibilität und höhere Umsätze sorgen.

Die Unternehmensberatung Simon-Kucher beobachtet seit Beginn der Supply-Chain-Krise einen regelrechten Boom bei der Nachfrage nach Dynamic-Pricing-Lösungen in der Industrie. Die rasante Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz hat diese Entwicklung zusätzlich befeuert: Man verabschiedet sich vom gängigen Modell der jährlichen Zuschlagskalkulation. „Die Rohstoffpreisschwankungen der vergangenen zwei Jahre haben viele Industrieunternehmen überfordert und die Industrie in ihren Grundfesten erschüttert. Bisher gab es in der Industrie einmal im Jahr eine Preisanpassung, jetzt wird versucht, diese öfter vorzunehmen, was viele Unternehmen vor große Hürden stellt“, sagt Othmar Schwarz, Partner bei Simon-Kucher.

Pricing-Engine und KI als Entscheidungshilfe

Der Pricing-Experte berät namhafte Industrieunternehmen bei der Umsetzung einer Pricing-Strategie, die in eine Pricing-Engine eingebettet ist. „Das ist eine Art Logik, mit der Unternehmen ihre Preise dynamisch an bestimmte Situationen anpassen können“, erklärt Schwarz. Der große Vorteil sei, dass man so jederzeit auf Marktveränderungen reagieren könne. „Wenn sich am Markt die Nachfrage nach einem Produkt ändert, wenn zum Beispiel ein Mitbewerber seine Preisstrategie ändert, dann kann ich mich sehr schnell darauf einstellen.“

Die Preissetzungslogik geht heute jedoch weit über die Beobachtung der Nachfrage hinaus. Immer mehr Faktoren fließen in die Berechnung der optimalen Preisstrategie ein – von der Zinspolitik des jeweiligen Landes bis hin zu den Konjunkturprognosen der wichtigsten Forschungsinstitute. Schwarz warnt jedoch davor, sich blind auf die Empfehlungen der KI zu verlassen, es sei nach wie vor viel menschliches Know-how erforderlich: „Anpassungen der Preisstrategie allein aufgrund von Empfehlungen einer Black Box sind nicht zielführend. Vielmehr muss eine grundsätzliche Strategie definiert werden, auf deren Basis die Preise festgelegt werden. Bei größeren Änderungen, bei der so genannten Preisorganisation, sollte immer irgendwo auch das Management informiert sein und solche Änderungen auch freigeben können“, so Schwarz.

Othmar Schwarz, Partner bei Simon Kucher & Partners
„Die Industrie wurde durch die Rohstoffpreisschwankungen in ihren Grundfesten erschüttert“: Othmar Schwarz, Partner bei Simon Kucher & Partners - © Copyright by Photo Simonis Wien - Austria

Change-Management ist entscheidend

Die Implementierung einer solchen Pricing-Engine erfordert einen gewissen Grad an Digitalisierung. „Viele Unternehmen reden von Dynamic Pricing, haben aber noch kein regelbasiertes Pricing implementiert. Solange die Basis mit der Vernetzung von CRM-Daten und ERP nicht geschaffen ist, dreht man meiner Meinung nach an der falschen Stellschraube. End-to-End-Integration heißt, dass man ein Pricing-Werkzeug einsetzt, das beispielsweise direkt in das CRM integriert ist und zusätzlich eine Schnittstelle zum ERP hat, um auch dort alle für die Preisfindung relevanten Daten direkt einspeisen zu können. Wenn ich intern keine verwertbaren Daten habe, werde ich mich mit einer regelbasierten, datengestützten, dynamischen Preisgestaltung schwer tun.“

In diesem Sinne sei auch ein Change-Management innerhalb des Unternehmens notwendig. „In den meisten Unternehmen, mit denen ich zu tun habe, ist das Management offen für solche Veränderungen. Woran es aber meist scheitert, ist die Frage, wie man das eigentlich umsetzen soll.“ Und hier spielt Change-Management eine ganz wichtige Rolle. „Wie bringe ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu, den Empfehlungen eines Algorithmus zu vertrauen, die vielleicht seit 30 Jahren im Produktverkauf tätig sind? Erst wenn dieses Know-how mit dem Algorithmus zusammengebracht wird, entsteht die Akzeptanz, die für den Erfolg einer dynamischen Preisstrategie entscheidend ist“, betont Schwarz.

Fokus auf Maschinenbauer

Den richtigen Riecher bewiesen zwei Studenten aus Esslingen, die Anfang 2020, zeitgleich mit dem Ausbruch der COVID-Pandemie, die eine bis heute andauernde Lieferkettenkrise zur Folge hatte, den Markt Pilot auf den Markt brachten. Die KI-basierte Software richtet sich speziell an Maschinenbauer und hilft ihnen, ihre Ersatzteile zum aktuell besten Preis anzubieten. Was als kleines Studentenprojekt begann, hat sich mittlerweile zu einem veritablen Unternehmen entwickelt – es zählt bereits mehr als 150 Kunden und will nun auch in den USA Fuß fassen.

Die Software sammelt aus mehreren tausend Quellen automatisiert Daten über Preise, Lieferzeiten und Verfügbarkeiten aller am Markt erhältlichen Zukaufteile und ermittelt so den aktuell besten Preis. Der Maschinenbau erweist sich hier als besonders attraktiv, wo Ersatzteile zu oft unter Preis angeboten werden. Geschäftsführer Alex Morbe sieht hier großen Nachholbedarf: „Wir schätzen, dass 99 Prozent aller Maschinenbauer überhaupt keine Wettbewerbsrecherche durchführen. Das führt dazu, dass die Teile im Schnitt um rund ein Viertel zu billig angeboten werden.“ Die potenzielle Umsatzsteigerung durch das Tool kann sich sehen lassen: „Im Schnitt liegt das Umsatzwachstum eines Kunden im Ersatzteilgeschäft im ersten Jahr bei rund 17 Prozent. Im zweiten Jahr sind es noch 13 Prozent, danach bleibt es in etwa gleich“, sagt Morbe.

Alex Morbe, Geschäftsführer von Markt Pilot
„Unsere Einschätzung ist, dass 99 Prozent alle Maschinenbauer gar keine Wettbewerbsrecherche durchführen": Alex Morbe, Geschäftsführer von Markt Pilot - © 2021 Björn Brenner

Automatisierte Testkäufe

Die Marktsituation wird zusätzlich durch ein automatisiertes Mystery-Shopping-Verfahren analysiert. „Wir schicken anonyme E-Mails an Teilehersteller und Händler und erhalten ein automatisiertes Feedback vom Markt.“ Auch bei dem Start-up spielt KI eine immer größere Rolle. So wird KI derzeit für das Matching der aggregierten Produkte eingesetzt. Schon bald sollen intelligente Algorithmen aber auch für komplexere Prognosen eingesetzt werden.

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Als großen Vorteil der SaaS-Lösung sieht Morbe die einfache Implementierung – innerhalb von 30 Minuten sei die Software einsatzbereit. Eine Anbindung an das ERP-System ist nicht notwendig: „Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, weil wir einerseits als Unternehmen dadurch nicht träge werden und andererseits der Kunde einen erheblichen Zeitvorteil bei der Implementierung hat“.