Dekarbonisierung : Grüner Wasserstoff: „Grauzonen mit klaren Regeln befüllen“

Bei HyCentA Research wird an Grünem Wasserstoff geforscht.

Comet-Forschungszentrums HyCentA (Hydrogen Research Center Austria)

- © YouTube/Klimaschutzministerium

Für Alexander Trattner, dem wissenschaftlichen Leiter und Geschäftsführer des Comet-Forschungszentrums HyCentA (Hydrogen Research Center Austria) ist ganz klar, „dass wir mehr Geschwindigkeit und Commitment brauchen für die Umsetzung der erneuerbaren Energien. Da reden wir von Zehner-Potenzen, um die wir die Aktivitäten erhöhen müssen“. Um die Dekarbonisierung zu schaffen, müssen wir schlicht mehr erneuerbaren Strom aber auch erneuerbaren Wasserstoff in den Markt bekommen.
Grünen Wasserstoff.

Es gebe zuverlässige Studien, vor allem aus der Fraunhofer-Gruppe in Deutschland, wonach die flächendeckende Umsetzung einer gemischten Infrastruktur sowohl technisch wie auch ökonomisch sinnvoll ist, betont Trattner. Noch ist grüner Wasserstoff um den Faktor 3 teurer als fossil hergestellter Wasserstoff.

Doch das werde sich ändern, wenn es beispielsweise ab 2030 keine Gratiszertifikate mehr für CO2 gibt und Wasserstoff Substitut sehr vieler fossiler gasförmiger Energieträger sein wird.

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Auch gelte es, den momentanen Hebel der „willingness to pay“ für die Elektromobilität zu nutzen. Denn was in diesem Bereich geforscht und entwickelt werde, helfe auch bei den Kosten für andere Energietechnologien schneller herunter zu kommen. „Die Diskussion, ob Wasserstoff in der Mobilität oder in der Industrie benötigt wird, ist falsch. Ich brauche ihn in beiden, um schneller in der Dekarbonisierung voranzukommen.“ Nebeneffekt des forcierten Forschens: Die Wertschöpfung bleibt in bzw. wird nach Europa geholt: „Wenn wir es schlau machen, durch neue Produkte, durch mehr Forschung, durch neue Dienstleistungen, werden wir durch Wasserstoff Arbeitsplätze schaffen und die Wertschöpfung in Österreich und Europa steigern.“

Neue Dienstleistungen sind das Stichwort für den Kooperationspartner. Robert Hermann, Geschäftsbereichsleiter Green Energy & Sustainability bei TÜV SÜD Österreich: „Wir betreuen bereits heute Wasserstoff-Themen in den unterschiedlichsten Industrien. Das beginnt bei der Materialprüfung, geht über die Sicherheitstechnik bis hin zur Prüfung unterschiedlicher Sicherheitsmechanismen. Für uns ist das per se nicht neu. Es sind die neuen Einsatzbereiche, die über großes Potenzial verfügen. Für uns ist es deshalb ganz zentral, gemeinsam mit den Kunden und gemeinsam mit der Forschung in Innovationen zu investieren. Dadurch können wir mit den Innovationszyklen Schritt halten. So gewährleisten wir, dass wir genau das prüfen können, was der Kunde tatsächlich braucht. Zusammen mit dem HyCentA entwickeln wir deshalb Verfahren, Methoden und Standards für den sicheren und nachhaltigen Einsatz der Technologie.“

Auch wenn in den vergangenen Jahren viele Aktivitäten gesetzt wurden, berücksichtigt die aktuelle gesetzliche Lage die physikalischen Eigenschaften von Wasserstoff sowie die daraus resultierenden technischen Anforderungen noch nicht ausreichend. Dadurch gestaltet sich die Ausstellung von Konformitäten sowie die Zulassung neuer Technologien langwierig und ressourcenintensiv, was das breite Ausrollen von Wasserstofftechnologien verzögert und behindert. Es gibt, sagt Trattner, aufgrund der noch nicht vorhandenen Regelungen eine Grauzone. „Diese Grauzone gilt es mit Regelungen zu füllen, die für den Betreiber eine gewisse Sicherheit bedeuten.“

Die Voraussetzungen sind optimal. In Graz, wo HyCentA beheimatet ist, wird seit den 1970er Jahren am Thema Wasserstoff und Elektrochemie geforscht. Aktuell gehört die TU Graz mit deren Beteiligung HyCentA zu den fünf größten einschlägigen Einrichtungen in Europa. Für ein so kleines Land wie Österreich eine herausragende Leistung, vor allem mit einem riesigen Portfolio an Labor- und Prüfeinrichtungen der TU Graz. „Wir sind keine Power-Point-Tiger, die Studien schreiben, sondern betreiben Technologieforschung und tragen zum technischen Fortschritt bei“, sagt Alexander Trattner mit Stolz und aus Überzeugung.

TÜV SÜD wiederum ist beim Thema Wasserstoff weltweit in zahlreichen Ländern und Bereichen tätig und verfügt dadurch über ein großes Kompetenznetzwerk. Der TÜV SÜD ist auf europäischer Ebene Vorreiter beim Festlegen von Standards für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff. Beide Kooperationspartner rechnen damit, dass Wasserstoff in 30 Jahren 20 bis 30 Prozent aller Energieträger ausmachen wird.

Hochtemperaturprozesse, wie beispielsweise die Stahl- und Zementproduktion, müssen sukzessive auf grüne Energie umgestellt werden, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Ein wenig Chemiewissen: „Wasserstoff ist das einzige Gas, das kein Kohlenstoffatom hat. Es ist das einzige grüne Gas“, erinnert Trattner.

Damit Wasserstoff allerdings tatsächlich grün ist, ist der Herstellungsprozess bis zur Speicherung bzw. Verteilung entscheidend. Robert Hermann vom TÜV SÜD: „Wir sind selbst als Zertifizierer in der Situation, dass wir die erneuerbare Eigenschaft von Wasserstoff bestätigen müssen. Das kann man nur über das Monitoring der gesamten Prozesskette beweisen, denn ob grün, blau oder grau – Wasserstoff ist chemisch betrachtet immer Wasserstoff.“

Die Herausforderung: Noch gibt es zu wenig einheitliche Definitionen, trotz Renewable Energy Directive und den dazu gehörenden Rechtsakten. Bei Detaillösungen werde immer noch (zu) viel diskutiert. Beispielsweise ob der Elektrolyseur in einem neuen Kraftwerk gleich alt oder drei Jahre jünger sein muss. Hermann bedauert ein „Mikromanagement“, das bei klaren Regeln nicht notwendig wäre. Er plädiert, wie auch Alexander Trattner, für klare Zielvorgaben: Für die Umsetzung sind dann Technik, Wissenschaft und Industrie da. Credo: Es muss einfacher werden, gleichzeitig aber auch strenger bei konkreten Vorgaben, was die CO2-Reduktion betrifft.

Der wissenschaftliche Leiter von HyCentA kann und darf verständlicherweise nicht alles ausplaudern, woran mit den rund 40 hochkarätigen Partnern (siehe Kasten) aktuell geforscht und entwickelt wird. Auf die Frage, wo Österreich bei der Wasserstoffnutzung im derzeit viel beschworenen Jahr 2035 stehen wird: „Über ein paar Sachen darf ich sprechen …“, schmunzelt Alexander Trattner und zeichnet dann doch einen recht optimistischen Horizont:

„Was wir wirklich sehen werden ist, dass wir über 1 GW an Elektrolyse-Kapazität in Österreich am Netz haben werden. Gleich aufgeteilt auf drei, vier größere Standorte, so dass wir regional diese Puffer der Erneuerbaren haben werden. Wir werden mehrere Pipelines haben, die von diesen Versorgungspunkten, bevorzugt zu Industriebetrieben und Wasserstofftankstellen, wegführen werden.“

Was er aktuell noch eher auf einer Wunschliste verortet, sind Importmöglichkeiten über die großen internationalen Verteilleitungen. „Wenn wir das alles schaffen, dann sind mit einem Schritt mehrere zweistellige Prozent unseres Energiesystems dekarbonisiert.“

Auch der Geschäftsbereichsleiter Green Energy & Sustainability bei TÜV SÜD Österreich ist überzeugt davon, bis in rund einem Jahrzehnt eine wirtschaftlich sinnvolle Mischung bei der Infrastruktur erreicht zu haben: Schon jetzt „bewegen wir uns in einem sehr dynamischen Umfeld“.

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Forschung in Richtung Markt

Die Zusammenarbeit von HyCentA und TÜV SÜD fokussiert auf Antworten zu sicherheitsrelevanten und juristischen Fragen. Alexander Trattner, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter von HyCentA, und Robert Hermann, Geschäftsbereichsleiter Green Energy & Sustainability bei TÜV SÜD Österreich, im Doppel-Talk.

TÜV SÜD und HyCentA kooperieren für gesteigerten Einsatz von Wasserstofftechnologien. Was sind Schwerpunkte und Ziele der Kooperation?

Alexander Trattner:
Diese Kooperation vereint die Stärken beider Einrichtungen. Wir bringen von der Grundlagenforschung weg bis hin zu konkreten anwendungsorientierten Projekten in der Industrie eine große Bandbreite mit. TÜV SÜD ergänzt das, weil er das in die Industrie übersetzt: Was braucht es um diese Technologie zu zertifizieren, zu prüfen und frei zu geben.

Robert Hermann:
Wir kommen vom Normenwesen. Wir müssen Dienstleistungen für die Industrie erfüllen. Damit wir immer am Stand der Technik sind, brauchen wir die F&E-Partner. Insofern ist diese Kooperation perfekt!

Wie sieht das in der Praxis aus? Wo sind die Schnittpunkte für diesen gegenseitigen Nutzen?


Robert Hermann:
TÜV SÜD ist zudem strategischer Kooperationspartner des neu gestarteten COMET Zentrums Hydrogen Research Center Austria unter der Leitung des HyCentA. In diesem findet Forschung im Bereich von Wasserstofftechnologien statt, die Innovationen vorantreiben soll. Längerfristig wird damit der Weg zur breiten Anwendung von grünem Wasserstoff und einer rascheren Umstellung auf eine energiepolitisch unabhängige und CO2-freie Mobilität bereitet, sowie der Innovationsstandort Österreich nachhaltig gestärkt.

Alexander Trattner:
Im COMET-Zentrum haben wir 40 Partner. Die Hälfte kommt aus der Industrie, die Hälfte ist in der Forschung. Das COMET-Zentrum ist auf Technologie Forschung fokussiert: es sollen im Detail die Wasserstofftechnologien für einen ganzheitlichen Wandel von fossiler Energie zu grünem Wasserstoff und grünem Strom in Mobilität, Industrie, Haushalten und Energiedienstleistungen erforscht und weiterentwickelt werden. Im Netzwerk WIV P&G finden die Demoprojekte zum Thema Wasserstoff statt: Wie können wir der Gesellschaft zeigen und den Nachweis erbringen, dass die Technologie funktioniert. Hier geht es parallel zur Forschung in Richtung Markt. Der TÜV SÜD bringt das Verständnis mit, diese Technologien in Standards zu überführen.

Der TÜV SÜD ist also auch eine Art Vermittler – auch in Richtung Behörden?


Robert Hermann:
Wir haben im Wasserstoffbereich im Moment keine Standarddienstleistungen, sondern es sind alles zum Teil sehr große Projekte, die gemeinsam mit der F&E, den Unternehmen und uns entwickelt werden. Bis man eine gemeinsame Sprache spricht, wie das Projekt aussehen wird, müssen zuerst viele Dinge gemeinsam gelöst werden, um den Weg dann gemeinsam gehen zu können. Auch, wie wir den Schritt in Richtung Zulassung vorbereiten. Solche Prozesse sind auch für die Behörden herausfordernd, weil sie bei neuen Technologien ja noch nicht auf einen einheitlichen Leitfaden zurückgreifen können. Die Zusammenarbeit von TÜV SÜD und dem HyCentA fokussiert daher die Beantwortung von sicherheitsrelevanten Fragestellungen und juristischen Schnittstellenproblemen sowie die zertifizierte Mengen- und Gasqualitätsmessungen für Mobilität und Industrie.