Stromwirtschaft : Heiße Phase im Ringen um die Salzburger 380-kV-Leitung

Smart Grid Stromnetz E-Wirtschaft Stromleitung Netze
© Fotolia

Der Entscheidungsprozess um die Salzburger Hochspannungsleitung geht in die heiße Phase – wieder einmal. Stolze 77 Monate dauert bereits das Ringen um das derzeit mit Abstand größte und umstrittenste Projekt der österreichischen Energiewirtschaft. Doch diesmal schaut es so aus, dass tatsächlich bald endgültige Urteile gefällt werden.

Auf der einen Seite dieses Vorhabens steht der Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid, der seinerseits zum Energieversorger Verbund gehört. Auf der anderen Umweltschützer sowie Bürgerinitiativen und betroffene Gemeinden in Salzburg.

"Eine Leitung wie ein Slim-fit-Anzug"

Mitte April zeigten sich die APG-Vorstände Gerhard Christiner und Thomas Karall sehr erleichtert über die kurz zuvor erteilte vorläufige Genehmigung: Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Beschwerden gegen das Großprojekt abgewiesen, aber Revision in zwei Punkten zugelassen, und zwar vor dem Verfassungsgerichtshof und dem Bundesverwaltungsgericht. "Wir gehen davon aus, dass es keine aufschiebende Wirkung geben wird", meinte dazu Technikvorstand Christiner und verwies auf die umfassende Ausarbeitung des Falls im Vorfeld dieses Urteils.

Denn der Aufwand, den die Stromwirtschaft betreibt, ist enorm: Für den großen Übertragungsnetzbetreiber und die regionalen Verteilnetzbetreiber Österreichs ist der Bau der 380-kV-Leitung von großer Bedeutung, weil sie die größte Lücke im Ring der Hochspannungsleitungen zwischen dem Osten Österreichs und Tirol darstellt. "Wir haben ein Netz, das man, plakativ gesagt, mit einem Slim-fit-Anzug vergleichen kann. Es geht gerade noch das durch, was wir an Strom durchleiten müssen, damit die Stromversorgung sicher ist", sagt Gerhard Christiner.

Aktuell zu diesem Großprojekt:

380-kV-Salzburgleitung: Neuer Wirbel um mögliche Befangenheit des Richters >>

UVP-Verfahren zur 380-kV-Salzburg-Leitung läuft schon sechs Jahre >>

Drei Großprojekte mit einem Volumen von einer Milliarde Euro

Also plant die APG, die übrigens nicht gewinnorientiert arbeitet und von der E-Control streng reguliert ist, mit dem Neubau auf 128 Kilometern mit 449 Masten, während gleichzeitig ältere Netze auf 193 Kilometern und 678 Masten demontiert werden sollen. Die Kosten: 800 Millionen Euro. Bringt der Netzbetreiber seine Pläne durch, ist kommenden September Baubeginn. Die Inbetriebnahme soll dann 2024 erfolgen.

Bereits im Sommer 2019 soll auch in Niederösterreich der Bau der Weinviertelleitung starten, hier liegen alle Genehmigungen vor. Zwischen Bisamberg bei Wien und Neusiedl an der Zaya werden 62 Kilometer neu errichtet und 77 Kilometer demontiert. Die Kosten dieses Projekts beziffert die APG mit 200 Millionen Euro. Und 2025 soll dann der Bau einer weiteren Leitung im Großraum Linz starten, um den Ballungsraum rund um Linz sowie die Voestalpine besser versorgen zu können. Grafiken zum geplanten Streckenverlauf am Ende dieses Artikels.

Neues Standortentwicklungsgesetz

Recht hilfreich beim jüngsten Bescheid ist ohne Zweifel auch das umstrittene neue Standortentwicklungsgesetz, das große Infrastrukturprojekte massiv beschleunigen und dabei zum Teil auch auch andere Gesetze überstimmen soll. Der Novelle zufolge soll innerhalb von sechs Monaten klar sein, ob ein Projekt grundsätzlich bewilligt werden kann. Besonders günstig für Befürworter riesiger und besonders umstrittener Projekte wirkt auch die von der Wirtschaftskammer neu installierte Instanz eines "Standortanwalts". Dabei sollen Vertreter der Landeskammern bei Entscheidungsprozessen die Rolle von Sachverständigen bekommen.

Aktuell dazu:

Standortgesetz neu: So soll ein "Lex specialis" künftig Verfahren beschleunigen >>

Wirtschaftskammer wird jetzt "Standortanwalt" bei Großprojekten >>

Zeit bis Anfang Mai – Klarheit bis zum Sommer

Doch die Gegner der Salzburger 380-kV-Leitung geben sich weiter nicht geschlagen. In der Woche vor Ostern haben die beiden Flachgauer Gemeinden Koppl und Eugendorf und zwei lokale Bürgerinitiativen Rechtsmittel gegen die jüngste Genehmigung eingelegt. Sie gehen gegen die Revision an den Verwaltungsgerichtshof vor und legen Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Gleichzeitig ist ein Antrag auf aufschiebende Wirkung gestellt. Bis Anfang Mai hat die APG nun Zeit für eine Stellungnahme. Und bis zum heurigen Sommer soll dann klar sein, ob der Baustart wieder verschoben wird oder nicht.

Salzburger Gemeinden wollen Erdkabel statt riesiger Strommasten

Die jüngsten Argumente der Gegner werden die Gerichte jedenfalls nicht allzu leicht von der Hand weisen können: Demnach verändere laut Urteilen des Europäischen Gerichtshofs der Bau von Leitungen die betroffenen Böden sehr wohl – und für die Errichtung seien Rodungen nötig. Damit sei der betroffene Boden beispielsweise nicht mehr einfach Wald, sondern gerodetes Gelände mit einer völlig neuen Nutzung. Diese Rechtsprechung zu ignorieren sei unverständlich, so Rupert Reischl, der Bürgermeister der Gemeinde Koppl. Außerdem sei die nach EU-Recht gebotene "Strategische Umweltprüfung" bis heute gar nicht durchgeführt worden. Ein großer Wunsch der Salzburger: Die Leitung wenigstens streckenweise unter der Erde zu führen, wie das dem Stand der Technik entspreche. Tatsächlich haben bei diesem Punkt die Gegner von Hochspannungsleitungen in Deutschland erkämpft, dass die neuen Stromautobahnen von Nord nach Süd über viele Kilometer über Erdkabel unterirdisch verlaufen. Details: Pläne für deutsche Stromautobahn Suedlink werden konkreter >>

Instabile Netze: Zehn Millionen Euro pro Monat nur für Redispatch

Dabei ist unbestritten, dass Österreich tatsächlich neue Leitungen braucht: Der Ausbau der Kapazitäten von Erneuerbaren geht weiter, und mit ihm bringt Strom aus Windkraft und Sonne enorme Schwankungen ins Netz. Gibt es zu viel oder zu wenig Strom in den Netzen, müssen Netzbetreiber massiv mit thermischen Kraftwerken dagegenhalten – und das ist nicht nur teuer, sondern treibt auch den CO2-Ausstoß hinauf. 92 Millionen Euro kostete im Jahr 2017 das sogenannte Redispatch, also Eingriffe, um das Stromnetz zu stabilisieren. "Im Vorjahr stiegen die Kosten auf 117 Millionen Euro. Das sind also rund zehn Millionen Euro pro Monat, die letzlich Endverbraucher und Industrie zahlen müssen", sagt APG-Finanzvorstand Thomas Karall. Auch die Anzahl der Eingriffe brachte im Vorjahr einen neuen Rekord: An 88 Tagen funktionierte das System von allein. An allen anderen musste die APG eingreifen.

Industriell nutzbare Speicher weiter nicht in Sicht - außer Pumpspeicher

Gute Speicher würden das ganze Problem auf einen Schlag lösen. Doch im industriellen Maßstab nutzbare Speicher sind nicht in Sicht – trotz aller Euphorie rund um Batterien, Elektroautos und die Versuche von Voestalpine, Siemens und Verbund, Wasserstoff als Speicher in der Stahlerzeugung zu nutzen. Einzige Ausnahme sind die großen Wasserpumpspeicher in den Alpen im Westen des Landes. Während dessen wird Windstrom vor allem im Osten Österreichs erzeugt – und Leitungskapazitäten dazwischen fehlen.

Strompreise für Österreichs Industrie gestiegen

Genau dieses Dilemma war übrigens auch der ausschlaggebende Grund für die im Oktober erfolgte Auftrennung der gemeinsamen Stromhandelszone zwischen Deutschland und Österreich, der einzigen ihrer Art in Europa. Auch im Nachbarland fehlen "Stromautobahnen" von Nord nach Süd, die Schwankungen sind hoch und allein die Stabilisierung der deutschen Netze kostet inzwischen mehr als 1,4 Milliarden Euro pro Jahr.

APG-Finanzvorstand Karall verweist noch auf eine andere Schieflage der deutschen Energiewende: "Deutschland hat mit der Energiewende hohe Subventionen für Erneuerbare installiert und den Verkauf von Strom aus Erneuerbaren privilegiert." Das Ergebnis: Der Strompreis im Großhandel ist gestützt – und im Verkauf an Verbraucher wurde er teurer und teurer. Und Österreichs Industriebetriebe konnten im Großhandel beliebig viel von diesem billigen Strom beziehen. "Irgendwann wollten die Deutschen ihren geförderten Strom nicht mehr mit Österreich teilen, sondern eine normale Marktbewirtschaftung", so Karall. Das Ergebnis ist ein deutlicher Rückschlag für die österreichische Industrie. "An großen Marktplätzen wie der EEX in Leipzig müssen österreichische Großverbraucher derzeit um rund drei bis vier Cent je Kilowattstunde mehr zahlen als deutsche", so Karall.

Dazu:

Der Industrie machen höhere Strompreise zu schaffen >>

Heimische Industriekonzerne klagen gegen Trennung der Strompreiszone >>

Die Gretchenfrage der Energiewende bleibt offen

Die APG erwartet jedenfalls, dass die Schwankungen weitergehen werden. In Österreich sind aktuell Erzeugungskapazitäten von etwa einem Gigawatt bei Photovoltaik und drei Gigawatt bei Windkraft installiert – der Bedarf pendelt irgendwo um die sieben Gigawatt herum. Diese Kapazitäten der Erneuerbaren würden also, ganz abgesehen von der Volatilität, auch rein rechnerisch gar nicht ausreichen, um den gesamten Strombedarf zu decken. Das heißt, dass der Ausbau weitergehen muss, wenn die Republik ihre im Programm "Mission2030" definierten Klimaziele erreichen will.

Zentrales Ziel dieses Programms wie der Energiewende insgesamt ist allerdings die Senkung der Emissionen, um die Klimaerwärmung des Planeten zu verlangsamen. Es ist klar, dass das nur mit mehr Erneuerbaren gelingen kann. Die Gretchenfrage zum größten Projekt der heimischen Energiewirtschaft lautet aber: Werden mehr Erneuerbare und der milliardenschwere Ausbau der Leitungen den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren? Trotz all der gut klingenden Ziele gibt auf diese Frage derzeit niemand eine Antwort – und auch die Vorstände der APG wollen sie bei ihrem jüngsten Medienauftritt nicht eindeutig beantworten. ///

Grafik Streckenverlauf Salzburgleitung:

Grafik Streckenverlauf Weinviertelleitung:

Grafik Streckenverlauf 320kV-Leitung in Oberösterreich: