Industriellenvereinigung : Georg Kapsch fordert einen Umbau der EU-Strukturen

Die EU muss handlungs- und entscheidungsfähiger werden und nach außen hin stärker und geschlossener auftreten, heißt es bei der Industriellenvereinigung. Die Interessensvertretung hat deshalb ein "Europa-Manifest" mit Reformvorschlägen erstellt. Unter anderem wünscht sich Österreichs Industrie die Begrenzung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU auf besonders sensible Bereiche wie etwa die Steuer- und Sozialpolitik.

Man wolle deshalb die Initiative des Bundeskanzlers unterstützen und sagen: "Ja, in weiten Bereichen - nicht in allen, aber in weiten Bereichen - ist das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen", sagte IV-Präsident Georg Kapsch bei einer Pressekonferenz in Wien. "Das Einstimmigkeitsprinzip blockiert uns in vielen Bereichen", so Kapsch. "Manchmal, und das sage ich jetzt als Unternehmer, ist auch eine Entscheidung, die mir nicht passt, besser als keine Entscheidung." Es würden Entscheidungen nicht oder viel zu langsam getroffen, "die Geschwindigkeit ist ein Problem Europas".

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Aggressive Einkaufstour aus Übersee

Was den Schutz sensibler österreichischer Unternehmen vor Übernahmen angeht, "da wohnen zwei Seelen in meiner Brust", sagte Kapsch. Einerseits könne man niemandem verbieten, sein Unternehmen zu verkaufen, etwa um eine drohende Insolvenz zu verhindern. Andererseits wolle man auch nicht, dass Kerntechnologien nach China wandern.

Die von der Regierung geplante Schwelle von 10 Prozent, ab der eine Beteiligung an einer österreichischen Firma durch einen Investor von außerhalb der EU von der Republik genehmigt werden muss, "ist ja wohl wirklich etwas niedrig", meint Kapsch.

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Die IV sieht aber noch mehr Reformbedarf in der EU: "Die Kommission muss verkleinert werden", fordert Kapsch und kritisiert, dass die Kommissare zum Teil auch die Interessen ihrer Länder in der Kommission vertreten würden. Die Anzahl der Kommissare könnte durch ein Rotationsprinzip auf zwei Drittel der Mitgliedstaaten begrenzt werden.

Zu überlegen wäre auch, das Wahlrecht zu ändern. "Warum gehen wir nicht auf europäische Listen, warum muss ich jetzt unbedingt eine Österreicherin oder einen Österreicher wählen, warum kann ich nicht eine Spanierin oder einen Franzosen oder eine Lettin wählen?" Damit könnte man eine stärkere Identifikation der Wähler mit Europa erreichen, glaubt Kapsch. Man könnte sogar einen Schritt weiter gehen und an eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten denken. "Das hat alles Vor- und Nachteile. Dann haben wir ein Präsidialsystem - manche mögen ein Präsidialsystem, andere nicht."

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IV-Generalsekretär Christoph Neumayer wünscht sich eine weitere Vertiefung des EU-Binnenmarktes, von dem Österreich bereits stark profitiert habe. Dazu brauche man aber auch einen neuen Investitionsschutz-Mechanismus. Viele österreichische Unternehmen seien stark in Mittel- und Osteuropa tätig und hätten in den neuen EU-Ländern des CEE-Raumes bisher 45 Mrd. Euro investiert. Dabei gehe es nicht um generelles Misstrauen diesen Ländern gegenüber, sondern man habe aufgrund ganz konkreter Fälle gesehen, dass ein Investitionsschutzmechanismus innerhalb der EU "für eine gewisse Übergangszeit Sinn macht".

Die IV setze sich auch für eine Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion ein, so Neumayer, man sei für einen europäischen Währungsfonds, "der eine starke Rolle haben kann, auch was die Überwachung der Fiskalpolitiken in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten betrifft".

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Die EU brauche global und innereuropäisch eine noch viel stärkere Vernetzung als heute, sagte Kapsch. "Wir brauchen ein grenzenloses Europa - und zwar innerhalb Europas, ich meine nicht, dass wir keine Außengrenzen haben sollten. Innerhalb Europas wieder Grenzen aufzubauen ist tödlich." Darüber hinaus brauche man ein starkes Europa, das die Interessen der Wirtschaft und seiner Bürger global vertritt. "Das tun wir heute nicht, weil wir keine gemeinsame Außenpolitik und auch keine gemeinsame Sicherheitspolitik haben, die wir unbedingt brauchen." So sei der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee - "inklusive Koordination der Rüstungsindustrie" - unerlässlich, so die Position der Industriellenvereinigung.

Im internationalen Handel brauche man faire Bedingungen mit ähnlichen Sozial- und Umweltstandards und ähnlichen Beihilfen- und Finanzierungsstandards, argumentierte Kapsch. "Die Europäische Union beschäftigt sich fast nur mit dem Beihilfenrecht innerhalb der Europäischen Union, dass hier ja nichts passiert, aber nicht mit der Frage der Beihilfen in China."

Im Hinblick auf die EU-Wahlen gelte es, die Pro-Europäer stärker zu mobilisieren, sagte Kapsch. Grundsätzlich steige die Zustimmung zur EU in Österreich. 57 Prozent seien für einen Verbleib in der EU, 21 Prozent für einen Austritt. "Diese 21 Prozent wären genau diejenigen, die bei einem Austritt die ersten Verlierer wären."

Die Wahlkampf-Plakate des SPÖ-Spitzenkandidaten Andreas Schieder, die sich gegen Konzerne richten, sind für Kapsch nicht ernst zu nehmen. "Diese völlig undifferenzierten Attacken gegen diejenigen, die die Arbeitsplätze schaffen - und der Herr Schieder hat noch keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen in seinem Leben - die sind für uns wirklich unakzeptabel." (apa/red)