Billig-Artikel aus China : Temu: Wie der chinesische Billig-Marktplatz funktioniert

Orange Temu Package close up - Delligsen, Germany, January 15, 2024

Der Handelsverband hat eine zwölfseitige Beschwerde gegen den chinesischen Billig-Marktplatz Temu bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) eingebracht.

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Der Handelsverband hat eine umfassende zwölfseitige Beschwerde gegen den chinesischen Marktplatz Temu bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) eingereicht. Die Branchenvertreter werfen dem Online-Anbieter unlautere Geschäftspraktiken vor. Laut Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will habe man zuletzt „unzählige Verstöße nachgewiesen und dokumentiert“, so seine Aussage gegenüber der APA. Temu verstoße demnach gegen mehrere Vorgaben des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG).

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Kritisiert wird unter anderem die irreführende Kommunikation über zeitlich begrenzte Verfügbarkeiten von Produkten, sowie über angebliche Preisreduktionen und Warenknappheit. In der Beschwerde wird bemängelt, dass Temu „offensichtlich willkürlich sogenannte UVPs, also unverbindliche Herstellerpreisempfehlungen, angezeigt“ und diese mit vermeintlich stark reduzierten Preisen vergleiche, obwohl es keine reale Grundlage für diese Vergleiche gebe.

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Gewerkschaft unterstützt Beschwerde

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat eine Beschwerde des Handelsverbandes erhalten und nimmt derzeit eine Prüfung vor. Laut einer Stellungnahme der Behörde gegenüber der APA habe die BWB jedoch "bei UWG-Verfahren nicht die Ermittlungsmöglichkeiten wie in einem Kartellverfahren". Es sei daher "empfehlenswert, hier gesetzlich nachzuschärfen", um erweiterte Ermittlungsbefugnisse zu erhalten und Sanktionen gerichtlich beantragen zu können. Aktuell kann die BWB in Fällen des unlauteren Wettbewerbs (UWG) lediglich Abmahnungen aussprechen oder zivilgerichtlich auf Unterlassung klagen. In diesem Jahr gingen bei der BWB bereits 69 UWG-Beschwerden ein, im Vergleich zu 46 Fällen im gesamten Jahr 2023.

Auch die Gewerkschaft GPA unterstützt die Beschwerde des Handelsverbandes. GPA-Vorsitzende Barbara Teiber erklärte in einer Aussendung: "Die aggressiven Praktiken der internationalen Online-Handelsplattform Temu sind auch nicht im Interesse der Beschäftigten im österreichischen Handel." Weiter betonte sie: "Wir brauchen wirksamen Schutz für jene Händler, die sich an Gesetze halten." Zudem sei der Gesetzgeber "aufgerufen, hier tätig zu werden", so Teiber abschließend.

Rainer Will äußerte sich weiter: „Mittlerweile kommen allein in Österreich täglich 30.000 Pakete von asiatischen Online-Plattformen an, die sich nicht an die geltenden Spielregeln halten.“ In der Beschwerde wird darauf hingewiesen, dass „die skizzierten unlauteren Praktiken mutmaßlich zu millionenfachen Verkäufen führen, welche den heimischen Wirtschaftsstandort Österreich nachhaltig schädigen“. Der Handelsverband fordert daher, gegen Temus Vorgehensweise vorzugehen, um „einen fairen Wettbewerb auf dem österreichischen und europäischen Markt sicherzustellen“.

Mittlerweile kommen allein in Österreich täglich 30.000 Pakete von asiatischen Online-Plattformen an, die sich nicht an die geltenden Spielregeln halten.
Rainer Will

Digital Services Act: EU setzt sich mit Temu auseinander

Bereits Ende Juni hatte die Europäische Kommission von den chinesischen Unternehmen Temu und Shein detailliertere Informationen über ihre Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Produkte und zur Vermeidung der Täuschung von Verbrauchern eingefordert. Die Anfrage der Brüsseler Behörde basiert auf dem neuen EU-Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act) und soll sicherstellen, dass die Unternehmen Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher transparenter machen.

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Der Digital Services Act (DSA) hat eine direkte Auswirkung auf den Online-Marktplatz Temu, da dieser von der Europäischen Kommission als "Very Large Online Platform" (VLOP) eingestuft wurde. Diese Einstufung betrifft Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzern in der EU, wodurch strengere Regeln und Verpflichtungen zur Anwendung kommen. Temu muss insbesondere Maßnahmen ergreifen, um systemische Risiken zu bewerten und zu mindern, etwa den Verkauf gefälschter oder illegaler Produkte auf seiner Plattform. Außerdem muss Temu sicherstellen, dass Nutzer die Möglichkeit haben, illegale Inhalte zu melden, und dass die Plattform transparenter wird, beispielsweise durch regelmäßige Berichte zur Risikobewertung und Transparenz in Bezug auf Werbung.

Zu den Anforderungen zählen auch der Schutz von Minderjährigen und eine verstärkte Überwachung der angebotenen Produkte, um die Sicherheit und Rechte der Verbraucher zu gewährleisten. Dies erfordert unter anderem bessere Moderationsverfahren und die Anpassung von Algorithmen, um den Verkauf unerlaubter Waren zu verhindern. Temu steht außerdem unter der Aufsicht unabhängiger Audits und muss regelmäßig Berichte über seine Bemühungen zur Einhaltung der DSA-Vorgaben veröffentlichen.

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Der Digital Services Act (DSA) hat eine direkte Auswirkung auf den Online-Marktplatz Temu - © Tim B. - stock.adobe.com

Aktienkurs von Temu eingebrochen

Mit einem Quartalsertrag von vier Milliarden Euro, einem Gewinnanstieg von 144 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und einem nahezu verdoppelten Umsatz scheint der chinesische Temu-Mutterkonzern PDD Holdings auf Erfolgskurs zu sein. Dennoch brach der Aktienkurs des Unternehmens in der vergangenen Woche um 30 Prozent ein. Der Grund dafür: Die Anteilseigner des schnell wachsenden E-Commerce-Riesen hatten noch höhere Erwartungen.

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Der rasante Aufstieg der chinesischen Firma, die inzwischen sogar globalen Giganten wie Amazon und Ebay Marktanteile abjagt, wirkt beeindruckend. Mit extrem günstigen Angeboten, wie T-Shirts für weniger als fünf Euro oder Sneakers für wenig mehr, hat sich Temu in den USA bereits einen Anteil von 17 Prozent im Discount-Segment gesichert.

Auch in Österreich ist der Online-Marktplatz im Jahr 2023 aktiv geworden. Nach Einschätzungen dürfte Temu im Jahr 2024 voraussichtlich die Umsatzmarke von 100 Millionen Euro in Österreich erreichen. Dabei übernimmt Temu für den in Shanghai ansässigen Mutterkonzern PDD den internationalen Versand außerhalb Chinas – und das, obwohl das Unternehmen erst vor zwei Jahren in Boston den Betrieb aufgenommen hat.

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Temu bietet auf seiner Plattform Waren zu Großhandelspreisen an, da der Verkauf oft direkt ab Werk erfolgt. Der Online-Händler nutzt dabei die immense Auswahl eines riesigen Einkaufszentrums am Stadtrand von Yiwu, einer Stadt etwa 300 Kilometer südwestlich von Shanghai. In diesem Einkaufszentrum, das rund 75.000 Geschäfte umfasst, gibt es nicht nur Weihnachtsartikel und Spielzeug, sondern auch Trachten oder aufblasbare Pools für Hunde zu Preisen von umgerechnet 92 Cent. Temus Hauptbeitrag besteht in der Bereitstellung einer Logistikplattform. Über diese werden Verkäufer mit Logistikunternehmen verbunden, die dann eine sogenannte „E-Way-Bill“ – einen elektronischen Frachtbrief – erstellen, der auch als Zolldokument dient.

Yiwu International Trade Market in China: 75.000 Geschäfte unter einem Dach

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Temu-Sendungen bleiben oftmals zollfrei

Um zu vermeiden, dass Händler für jedes einzelne Paket, das sie nach Europa senden, separate Umsatzsteuern entrichten müssen, nutzen Temu und Shein ein Verfahren namens „Import One Stop Shop“ (IOSS). Dieses System gilt für Sendungen an Endverbraucher mit einem Warenwert von bis zu 150 Euro. Die Händler beantragen dabei eine IOSS-Nummer in einem beliebigen EU-Land und melden ihre Gesamtumsätze über diese Nummer an die Steuerbehörden. Dadurch können sie die fällige Einfuhrumsatzsteuer gebündelt abführen.

Ein weiterer Kniff betrifft die Zollabwicklung: Für Warenlieferungen in die EU gibt es einen Freibetrag von 150 Euro. Da Temu und Shein ihre Produkte als Einzelpakete direkt aus China verschicken, überschreiten sie diesen Wert in der Regel nicht, was bedeutet, dass ihre Sendungen zollfrei bleiben. Im Gegensatz dazu müssen europäische Händler, die oft große Containerlieferungen aus Asien importieren, deutlich höhere Zollgebühren zahlen.

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Ein weiteres Problem bei den Importen aus China betrifft die immense Menge an Sendungen. Nach Angaben der EU-Kommission wurden im Jahr 2023 etwa zwei Milliarden Pakete mit einem Warenwert unter 150 Euro in die EU geliefert. Angesichts dieser Zahlen sehen Experten ein erhebliches Potenzial für Manipulationen bei den deklarierten Warenwerten. Das IOSS-System ist auf die Verarbeitung großer Datenmengen ausgelegt und basiert daher weitgehend auf digitalen Informationen. Eine hohe Datenqualität ist dabei entscheidend, doch gerade bei den Sendungen aus China hapert es oft an der Genauigkeit.

Die Temu-Software ist hochentwickelt und ermöglicht eine präzise Verfolgung der Sendungen ab dem Moment der Produktion. Zudem gewährleistet sie eine reibungslose Abwicklung von Zahlungen und Rücksendungen. Im Gegensatz zu vielen Amazon-Modellen bleibt die Ware bis zum endgültigen Verkauf im Besitz des Lieferanten. Dies reduziert für Temu sowohl die operativen Kosten als auch das finanzielle Risiko erheblich.

Lüttich als Temu-Drehkreuz

Die Lieferungen nach Europa erfolgen überwiegend über den Flughafen Lüttich, der sich als Drehkreuz für den Frachtverkehr etabliert hat. Im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich stellt der belgische Flughafen internationalen Frachtfluggesellschaften großzügig Landerechte zur Verfügung, und auch die Zollkontrollen sind dort vergleichsweise locker. Nach der Ankunft in Lüttich werden die Pakete als inländische Sendungen an Logistikunternehmen wie DHL, Hermes oder DPD übergeben, was erhebliche Folgen hat. So meldete die Österreichische Post, dass sie im ersten Quartal 2024 ihre Paketmengen dank des Anstiegs der asiatischen Lieferungen um 15 Prozent steigern konnte.

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Gleichzeitig sorgen die asiatischen Versender durch Aufträge an verschiedene Logistikanbieter dafür, dass die einzelnen Zustellunternehmen nur geringe Gewinne erzielen. Neben etablierten Zustellern wie DHL kommen nun auch Konkurrenten wie Mail Alliance in Deutschland, die Poste Italiane in Italien und CTT in Spanien und Portugal verstärkt zum Einsatz, um die Pakete an private Haushalte zu liefern. Die Zustellung an private Haushalte erweist sich allerdings als wenig lukrativ, da lediglich 80 Prozent der Pakete beim ersten Zustellversuch erfolgreich zugestellt werden. Die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten belasten zunehmend die Gewinne selbst großer Paketdienste. So musste DPD Deutschland bereits in der Hochphase 2021 einen Vorsteuerverlust von 22,6 Millionen Euro verkraften. Branchenexperten gehen davon aus, dass das Defizit im Jahr 2023 sogar noch höher ausgefallen ist.

Temus Billig-Boom führt mit einem täglichen Frachtvolumen von 4.000 bis 5.000 Tonnen zu Engpässen in der Luftfracht, treibt die Preise hoch und stört die Logistikketten.