Defence Rüstung RHI Magnesita : RHI Magnesita-Manager Beelitz: "Wollen wir aufrüsten, brauchen wir eine stabile Rohstoffbasis"
Produktion von Feuerfestmaterialien bei RHI Magnesita: Glied der europäischen Verteidigungswertschöpfungskette
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RHI Magnesita, Weltmarktführer für Feuerfestprodukte mit Sitz in Wien, spielt in der europäischen Industrie eine zentrale, aber oft unsichtbare Rolle. Das gilt auch für den Verteidigungssektor – allerdings auf einer Ebene, die weit vor der eigentlichen Rüstung beginnt. „Wir sind kein Rüstungsunternehmen“, stellt Europa-Präsident Constantin Beelitz gleich zu Beginn klar. „Aber ohne uns gäbe es keinen Stahl, kein Kupfer und damit auch keinen Panzerstahl oder keine militärische Elektronik.“
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Denn die Hochtemperaturmaterialien von RHI Magnesita sind Grundvoraussetzung für nahezu jeden metallurgischen Prozess. Wo Stahl, Nickel, Kupfer oder Chrom geschmolzen werden, sind die feuerfesten Auskleidungen des österreichischen Konzerns im Einsatz – vom Hochofen über den Konverter bis zur Gießpfanne. „Fast jede Tonne Stahl in Europa fließt irgendwann über unsere Produkte“, sagt Beelitz. „Ob das für den Bau, den Maschinenbau oder für die Rüstungsindustrie ist, spielt keine Rolle.“
Indirekter Zulieferer für Europas Verteidigungsproduktion
Im engeren Sinn ist RHI Magnesita kein „Defense Player“, sondern ein Tier-3-Zulieferer: Das Unternehmen beliefert Stahl- und Buntmetallproduzenten, die wiederum Komponenten für Fahrzeuge, Waffen oder militärische Elektronik herstellen. „Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir auch indirekt in der Rüstungsindustrie tätig sind“, sagt Beelitz. „Aber das Geschäft ist volumenmäßig marginal – vielleicht ein halbes Prozent des Stahlmarkts in Europa.“ Die Nachfrage steige zwar, insbesondere bei Spezialstählen für Panzerungen, Gewehrläufe oder Hochpräzisionssysteme, aber die absoluten Mengen blieben gering. Wichtiger sei der technologische Anspruch. „Für Panzerstahl gelten andere Spezifikationen als für Automobilstahl – höhere Härte, Temperaturbeständigkeit, Reinheit“, erklärt Beelitz. „Das erfordert eine perfekte Feuerfesttechnik, und da kommen wir ins Spiel.“
Seine Produkte finden sich in nahezu allen europäischen Stahlwerken, bei Kupfer- und Nickelherstellern ebenso wie bei Produzenten von Ferrochrom oder Wolfram – Metalle, die in der modernen Rüstungstechnik zunehmend Bedeutung gewinnen. Damit ist RHI Magnesita ein unsichtbares, aber unverzichtbares Glied der europäischen Verteidigungswertschöpfungskette.
Rohstoffabhängigkeit als sicherheitspolitisches Risiko
Der geopolitische Aspekt dieses Geschäfts wird besonders deutlich, wenn Beelitz über Rohstoffe spricht. Denn das zentrale Ausgangsmaterial für Feuerfestprodukte – Magnesit, chemisch Magnesiumoxid – stammt zu einem überwiegenden Teil aus China. „Etwa 70 bis 75 Prozent des in Europa genutzten Magnesias kommt aus China“, warnt Beelitz. „Wenn die Chinesen morgen die Grenzen schließen, stehen bei uns vier Wochen später drei Viertel der Stahlwerke still.“ Die europäischen Eigenvorkommen sind überschaubar. Gefördert wird Magnesit in Österreich, der Türkei, Brasilien, der Slowakei – danach folgt bereits Russland, Nordkorea und China.
RHI Magnesita betreibt in der Obersteiermark eines der wenigen verbliebenen europäischen Vorkommen. Doch die Dominanz Chinas am Weltmarkt stellt eine strategische Verwundbarkeit dar, die bislang kaum öffentlich diskutiert wurde. „Das ist unsere Achillesferse“, sagt Beelitz. „Ohne Magnesit gibt es keinen Stahl, kein Kupfer, keine Rüstungsgüter, aber auch keine Automobile oder Windkraftanlagen.“ Der Manager fordert deshalb, Magnesit und Magnesia auf die EU-Liste der kritischen Rohstoffe zu setzen. „Kupfer steht schon darauf, Stahl gilt als strategisch – aber beide hängen direkt von Magnesit ab. Das muss endlich erkannt werden.“
Lobbyarbeit in Brüssel – für Europas industrielle Resilienz
Beelitz war zuletzt in Brüssel, um genau dieses Anliegen zu vertreten. Gemeinsam mit Vertretern der europäischen Feuerfestindustrie versucht RHI Magnesita, die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, den Stoff früher als geplant in die Liste aufzunehmen. „Der normale Überprüfungszyklus läuft bis 2027 – das ist zu spät“, warnt Beelitz. „Wenn bis dahin etwas passiert, können wir nicht mehr reagieren.“ Das Unternehmen drängt daher auf einen sogenannten Delegated Act, also eine beschleunigte Umsetzung. Die Argumentation ist klar: Sollte China die Ausfuhr von Magnesit oder Magnesia einschränken, wäre die europäische Grundstoffindustrie binnen Wochen lahmgelegt.
Beelitz zieht einen Vergleich zu einer wenig bekannten Krise: „Nach dem Tsunami in Japan gab es monatelang keine metallicfarbenen Autos, weil nur eine Fabrik den Farbstoff herstellte. Wir wären in einer ähnlichen Situation – nur viel dramatischer.“ Für Beelitz ist die Abhängigkeit von China daher längst nicht mehr nur eine Frage industrieller Versorgungssicherheit, sondern eine Frage der Verteidigungsfähigkeit Europas. "Wenn wir aufrüsten wollen, brauchen wir eine stabile Rohstoffbasis.“
Zwischen geopolitischer Realität und administrativer Überlastung
Während die strategische Bedeutung der Rohstoffe zunimmt, sieht Beelitz die europäische Industrie gleichzeitig mit wachsender Bürokratie konfrontiert. „Der administrative Aufwand ist enorm gestiegen – bei Lieferketten, CO₂-Berichterstattung, Emissionsrichtlinien, nationalen Genehmigungen“, sagt er. „Das ist egal, ob Sie in Österreich oder Deutschland sind – es ist überall extrem komplex geworden.“ RHI Magnesita beschäftigt heute mehr Personal für Nachhaltigkeits- und Compliance-Reporting als je zuvor. „Ich halte Transparenz und Messbarkeit für wichtig“, betont Beelitz. „Aber wir übertreiben es. Wir ersticken in Bürokratie.“ Die Hoffnung ruht nun auch hier auf den kritischen Rohstoffen: Werden sie als strategisch eingestuft, könnten Verfahren beschleunigt und Bewilligungen erleichtert werden. Die politische Anerkennung dieser Zusammenhänge sei überfällig, meint Beelitz. „Die EU hat gerade ein umfangreiches Safeguard-Programm für die Stahlindustrie angekündigt – das zeigt, dass man den Sektor als strategisch erkennt. Jetzt muss man auch die Lieferketten dazu absichern.“
Keine „Defense Policy“
Einen dezidierten Verteidigungsplan verfolgt RHI Magnesita nicht. „Das wäre übertrieben“, sagt Beelitz. „Die Volumina sind zu klein.“ Dennoch wächst das Bewusstsein, dass der Konzern ein Schlüsselakteur in einem sensiblen System ist. Feuerfestmaterialien sind nicht nur für Hochöfen entscheidend, sondern auch für Legierungsprozesse, in denen Panzerstahl, Flugzeugturbinen oder Raketentriebwerke entstehen. Die Anforderungen aus dem militärischen Bereich seien besonders hoch – etwa in der Rückverfolgbarkeit von Materialien und in der Qualitätssicherung. „Die Rüstungsindustrie verlangt maximale Traceability“, erklärt Beelitz. „Das können wir gewährleisten. Ohne unsere Technologie wäre das nicht möglich.“ Trotzdem bleibt das Unternehmen bei seiner zivilen Positionierung. „Wir entwickeln keine Rüstungsgüter, wir beliefern die Grundstoffindustrie“, stellt Beelitz klar. „Aber durch unsere Rolle tragen wir dazu bei, dass Europa sich industriell und sicherheitspolitisch selbst behaupten kann.“
China als strukturelle Herausforderung
Dass China in vielen metallurgischen Rohstoffen eine dominierende Stellung einnimmt, ist bekannt. Doch bei Magnesit ist diese Abhängigkeit besonders gefährlich. „China kontrolliert nicht nur die Förderung, sondern auch die Weiterverarbeitung“, sagt Beelitz. „Das ist eine klassische Monopolstellung.“ Während sich andere Industrien – etwa bei seltenen Erden – bereits auf Diversifizierung konzentrieren, ist Magnesit bislang kaum auf dem Radar. RHI Magnesita versucht daher, über eigene Abbauprojekte und Partnerschaften gegenzusteuern. „Wir bauen in Österreich ab, investieren in der Türkei und sichern uns alternative Quellen in Südamerika“, erklärt Beelitz. „Aber die Lücke ist groß – Europa muss strategisch handeln.“ Er plädiert für ein Umdenken: „Wir waren lange blauäugig. Offener Handel hat uns Wohlstand gebracht, aber auch Abhängigkeiten. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass wir keine Achillesfersen in unserer industriellen Basis haben.