Stahlindustrie : Poker um Salzgitter: Geplatzte Übernahme, offene Zukunft, kommt jetzt die Deutsche Stahl AG?
Günther Papenburg distanziert sich von der geplanten Übernahme von Salzgitter.
- © IndustriemagazinPapenburgs Imperium bewegt Schotter, Asphalt und Schrott. Doch Papenburg ist nicht nur ein Bauherr – er versucht auch seit Jahren sein Geschäft entlang der Wertschöpfungskette im Bereich des Rohstoff-Recycling zu erweitern. Salzgitter, mit fast 25.000 Mitarbeitern der zweitgrößte Stahlkocher Deutschlands – betreibt auch Schrotthöfe, und baut das Recycling massiv aus.
Seit vielen Jahren hält Papenburg Anteile, seit 2022 über 20 Prozent. Ende 2024 scheint das industrielle Puzzle komplett: Gemeinsam mit TSR Recycling, einem Stahlschrott-Recyclingunternehmen das zur Remondis-Gruppe der Familie Rethmann gehört legt er ein Angebot vor. Jetzt wird auch Papenburgs Strategie klarer: Wer Schrottströme kontrolliert, kontrolliert die grüne Stahlproduktion von morgen.
Und auch wenn derzeit unklar ist, wie viele Grünstahlanlagen entstehen werden, so ist sicher, dass Schrott künftig ein noch viel knapperes Gut sein wird, als er es jetzt schon ist. Dazu kommt ein weiterer Schatz, an dem Papenburg und TSR interessiert sind: Salzgitters 30-Prozent-Anteil an Aurubis, Europas größtem Metallrecycler – ein strategisches Asset und eine Cashcow.
Doch was als industrielles Synergieprojekt aus Bau, Recycling und Produktion beginnt, wird in den Monaten danach zu einem zähen Ringen um die Macht.
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Der Machtkampf
Als Papenburg und TSR ihr Angebot abgeben, reagiert Salzgitter kühl. 18,50 Euro pro Aktie? Zu wenig, sagt der Vorstands-Vorsitzende Gunnar Groebler nach einer längeren Prüfung am 11. April.
Drei Tage später nach dem klaren Nein aus dem Vorstand lehnt auch das Land Niedersachsen – damals zweitgrößter Aktionär – die Übernahme ab. Der Plan ist vom Tisch. Ich weiss nicht woher diese Info kommt („3 Tage später“) kann sie nicht bestätigen, würde stattdessen folgende Formulierung wählen:
Auch der damals zweitgrößte Aktionär, das Land Niedersachsen, denkt nicht daran seine Anteile zu verkaufen. Der Plan ist vom Tisch. Doch Papenburg, der mittlerweile beinahe 30 Prozent an Salzgitter hält gibt nicht auf. Wenn die Übernahme nicht funktioniert, könnte Einflußnahme helfen:
Auf der Hauptversammlung wird der Konflikt erstmals ein wenig öffentlich. Ein Papenburg-Vertreter attackiert den Vorstandschef von Salzgitter, Gunnar Groebler – und verweigert ihm die Entlastung.
Kurz darauf der Paukenschlag: Aufsichtsratschef Heinz-Gerhard Wente tritt zurück. Offiziell freiwillig, tatsächlich unter massivem Druck von Papenburg. Wente war Groeblers wichtigster Rückhalt. Sein Abgang ist ein Erfolg für Papenburg – aber nur ein kurzer. Denn jetzt stellt sich das Land Niedersachsen auch ganz offen vor den Vorstand. Der zweigtößte Aktionär von Salzgitter spricht dem Management ausdrücklich das Vertrauen aus und der Streubesitz folgt. Die Übernahme ist gescheitert – und Papenburgs Machtübernahme auch.
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Der Rückzug
Heute notiert die Salzgitter-Aktie bei knapp 30 Euro - also über 50 Prozent über dem Angebot, das Papenburg Anfang des Jahres auf den Tisch gelegt hat. Die Kurs-Entwicklung gibt dem Vorstand – vorerst – recht. Und Papenburg zieht sich zurück. Nach Informationen des deutschen manager magazins will Papenburg sein Aktienpaket über kurz oder lang zur Gänze abstoßen – wenn es der Kapitalmarkt zulässt.
Ende Oktober rutschte Papenburgs Anteil laut einer Börsenmitteilung bereits auf 24,12 Prozent. Damit ist das Land Niedersachsen mit über 26 Prozent wieder größter Aktionär.
Ein Blick nach Duisburg zeigt eine völlig andere Stahl-Realität: Thyssenkrupp versucht verzweifelt, seine Stahlsparte loszuwerden. Erst scheitert der Deal mit Daniel Křetínský – jetzt verhandeln die Inder von Jindal Steel. Thyssenkrupp ist sogar bereit, Milliarden mitzuzahlen, damit überhaupt jemand übernimmt.
Und Salzgitter? Lehnt Übernahmen ab – und bleibt eigenständig.
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Die Zukunft: Eine deutsche Stahl AG?
Woher kommt dieses Selbstbewusstsein? Einer der Gründe findet sich in den Büchern der Salzgitter AG unter der Rubrik „Beteiligungen“: Salzgitter verfügt mit seinem Anteil am Kupferproduzenten Aurubis über Reserven, mit denen man investieren, umbauen – und Krisen überstehen kann.
Erst im Oktober macht Salzgitter einen Teil dieser stillen Reserve beweglich: Über eine Wandelanleihe im Umfang von 500 Millionen Euro können später rund 7 Prozent der Aurubis-Anteile in Aktien umgewandelt werden.
Ein weiteres Grund verbirgt sich unter dem Namen SALCOS. Das Programm ist mit Abstand das ambitionierteste Dekarbonisierungsprojekt in der deutschen Stahlindustrie. Direktreduktionsanlagen, Elektrolichtbogenöfen – bis zu 95 Prozent weniger CO₂. Der Zeitplan wurde zwar verschoben, aber kein Stahlkonzern ist besser auf die Zukunft ausgerichtet – eine Zukunft in der mit Grünstahl weitaus höhere Margen erzielt werden kann. Und hohe Margen wird in Zukunft auch der Rüstungsstahl wieder garantieren. Erst im Juli hat das Unternehmen von der Bundeswehr die Zulassung für den Werkstoff Secure 500 erhalten.
Und auch wenn die Umsätze sehr überschaubar ist, die Gewinnspannen sind es nicht: Mit der Zulassung stößt Salzgitter in ein Quasi-Monopol am europäischen Markt vor. Doch hinter all dem – Aurubis, SALCOS, Panzerstahl – steht noch eine größere Frage. Eine Frage, die in deutschen Debatten immer wieder auftaucht: Gäbe es eine Chance, mit einer deutschen Stahl AG die Probleme der Branche zu lösen?
Seit Jahren wird der Zusammenschluss mehrerer großer deutscher Stahlproduzenten — vor allem thyssenkrupp Steel und Salzgitter AG — unter einem gemeinsamen Dach diskutiert. Ziel dieses „nationalen Champions“ wäre eine bessere Wettbewerbssituation und vor allem die Lösung der strukturellen Überkapazitäten. Während Thyssenkrupp verzweifelt einen Käufer sucht bleibt Salzgitter Single. Sollte Thyssenkrupp sich nicht mit den Indern einig werden dürfte die Diskussion über einen deutschen Verbund wieder aufleben:
Mit Salzgitter als stabilstem Pfeiler, mit Thyssenkrupp als Sorgenkind, und vielleicht mit der SHS Stahlholding Saar als drittem Baustein. Ob Salzgitter Einzelkämpfer bleibt oder Anker eines neuen Stahlriesen wird, bleibt abzuwarten.