Voestalpine und AIT : Oberflächenfehler bei Stahl: Wie sie automatisiert erkannt werden

Das AIT Prüfsystem während der Inspektion eines sogenannten Walzknüppels aus Stahl.

Das AIT Prüfsystem während der Inspektion eines sogenannten Walzknüppels aus Stahl.

- © AIT

Die automatisierte Erkennung von Oberflächenfehlern im Stahl. Ein solches Verfahren könnte in der Industrie sehr nützlich sein – doch ist gar nicht so leicht umzusetzen.

Die Voestalpine Böhler Edelstahl stellt Hochleistungsstähle und Nickelbasislegierungen für die Luftfahrt-, Automobil- sowie Öl- & Gasindustrie her. Ein Zwischenprodukt bei der Produktion von Edelstahlerzeugnissen sind sogenannte Knüppel. Diese haben einen quadratischen Querschnitt und werden zur weiteren Verarbeitung gewalzt.

Für die Qualität der Endprodukte ist es entscheidend, dass diese Walzknüppel an ihrer Oberfläche keine Fehler wie zum Beispiel Schlackeneinschlüsse oder Risse aufweisen. Diese würden sich beim Walzen vergrößern und die Eigenschaften der Endprodukte beeinträchtigen.

Wird ein derartiger Defekt an der Oberfläche erkannt, wird der Knüppel weiter geschliffen, bis die Oberfläche einwandfrei ist. Über die optimale Schleifbehandlung und die Zahl der nötigen Schleifdurchgänge entscheiden derzeit Mitarbeiter, die die Oberfläche optisch nach Fehlern absuchen.

„Nur wer ein geschultes Auge und langjährige Erfahrung hat, kann die Schlackeneinschlüsse erkennen oder feinste Risse im Stahl von Schleifspuren unterscheiden“, sagt Petra Thanner, Forscherin am AIT Austrian Institute of Technology. Sie leitete in den vergangenen vier Jahren ein Projekt, in dem im Auftrag der Voestalpine Böhler Edelstahl in Kapfenberg an einem automatisierten Verfahren zum Aufspüren von Oberflächenfehlern bei Walzknüppeln gearbeitet wurde.

Verkompliziert wird die Aufgabe noch dadurch, dass die Knüppeloberflächen je nach Schleifbedingungen unterschiedlich gefärbt und gekrümmt sind, dass die Stahloberfläche stark glänzend sein kann (was Kamerabilder schwer auswertbar macht) und dass die Prüfung direkt in der rauen Produktionsumgebung des Walzwerkes durchgeführt werden muss.

„An dieser Fülle an verschiedensten Herausforderungen ist in den vergangenen Jahren schon so mancher Versuch gescheitert, diesen zeitaufwendigen Prozess zu automatisieren“, berichtet Siegfried Kleber, Leiter der Verfahrensentwicklungsgruppe bei Voestalpine Böhler Edelstahl.

AIT: automatisierte Fehlererkennung bei Stahl-Oberflächen

Dennoch ist es nun den Experten des AIT in Kooperation mit Voestalpine Böhler Edelstahl gemeinsam gelungen, ein innovatives Prüfverfahren zu entwickeln und zur Industriereife zu bringen.

Dazu orientieren sich die Forscher an der Art, wie ein Mensch ein Objekt prüft. „Meistens kann man Defekte im Sub-Millimeter-Bereich nur unter einem bestimmten Betrachtungs- bzw. Beleuchtungswinkel erkennen. Wenn eine Person ein Objekt inspiziert, betrachtet sie es daher aus verschiedenen Richtungen“, erläutert Thanner, die am AIT Center for Vision, Automation & Control (VAC) forscht.

Dies wird von der am AIT entwickelten „Inline Computational Imaging (ICI) Technologie“ nachgeahmt: Dabei ist eine Kamera fix über einem Prüfgegenstand installiert, der sich darunter bewegt. Beleuchtet wird die Szene aus vier verschiedenen Richtungen. Diese sind so gewählt, dass der Unterschied zwischen Rissen und normalen Schleifspuren möglichst klar hervortritt.

Die rohen Kamerabilder, auf denen die Defekte jeweils unterschiedliche Schattenwirkungen haben, werden im nächsten Schritt mithilfe von Photometrie-Verfahren weiterverarbeitet: Dabei wird zusätzlich zu detaillierten und kontrastreichen 2D-Bildern auch ein exaktes 3D-Modell der Oberfläche berechnet, in dem sich Oberflächendefekte noch deutlicher abzeichnen.

Um diese Strukturen nun entweder als normale Schleifriefen oder als Fehler einzustufen, kommen Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz: Ein künstliches Neuronales Netz wurde mit unzähligen Kamerabildern trainiert, bei denen zuvor händisch gekennzeichnet wurde, um welche Art von Oberflächenstruktur es sich handelt. Das KI-System lernte, unerwünschte Defekte sicher zu erkennen und in den Kamerabildern farblich zu kennzeichnen.

„Der Hauptvorteil unseres Systems liegt darin, dass das bewegte Objekt mit nur einer Kamera unter mehreren Betrachtungswinkeln aufgenommen und diese Daten intelligent verknüpft werden“, so Markus Clabian, Leiter der Competence Unit High-Performance Vision Systems.

Das vom AIT entwickelte Prüfsystem ist mittlerweile als Pilotanlage bei Voestalpine Böhler Edelstahl implementiert. In einem kompakten Gehäuse, das die Sensoren und die Elektronik vor den rauen Umgebungsbedingungen schützt, prüft es direkt neben der Schleifkammer die Oberflächen der vier Knüppelseiten mit einer Genauigkeit von 50 Mikrometern bei einer Geschwindigkeit von 24 Metern pro Minute.

Die Ergebnisse werden auf einem Bildschirm deutlich erkennbar angezeigt. Mithilfe dieses Assistenzsystems müssen die Mitarbeiter den Prüfstand nun nicht mehr für die zeitintensive optische Inspektion verlassen. Das erleichtert nicht nur den betreffenden Personen die Arbeit, sondern ermöglicht darüber hinaus eine bessere Ausnutzung der Maschinen, da nun kein Stillstand der Schleifanlage während der Prüftätigkeit erforderlich ist. „Die Mitarbeiter waren bei der Entwicklung bereits stark eingebunden und sind jetzt dabei, das System zu nutzen und weiterzuentwickeln.“, berichtet Betriebsleiter Peter Markiewicz.

Das am AIT entwickelte ICI-Verfahren wird bereits vielerorts eingesetzt – etwa bei der Banknotenprüfung oder im Halbleiterbereich. „Wir können unseren Industriepartnern ganzheitliche Lösungen anbieten – das heißt von (optischen) Sensoren, die die Daten aufnehmen, bis hin zu Algorithmen, die selbständig entscheiden, ob es sich – wie in diesem Fall – um einen Oberflächendefekt handelt oder nicht“, so Andreas Vrabl, Leiter des AIT Centers VAC.