KTM unter neuer Führung : KTM-Mutter wird zur Bajaj Mobility: Hauptversammlung bringt Bruch mit der Ära Pierer
Das „House of Brands“ in Wels war bisher ein zentrales Aushängeschild der Pierer Mobility AG – nach der Übernahme durch Bajaj und der Sitzverlegung nach Mattighofen verliert der Standort an strategischer Bedeutung.
- © Pierer Mobility AGDer oberösterreichische Traditionskonzern Pierer Mobility AG, Muttergesellschaft von KTM, steht vor einem tiefgreifenden Umbruch: Mit der Mehrheitsübernahme durch den indischen Fahrzeugkonzern Bajaj und der außerordentlichen Hauptversammlung am Mittwoch endet endgültig die Ära von Stefan Pierer. Die Gesellschaft wird künftig unter dem Namen Bajaj Industrie AG firmieren – und erhält damit nicht nur einen neuen Eigentümer, sondern auch ein neues Selbstverständnis.
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Bereits am Dienstag hatte Bajaj alle Anteile am bisherigen Joint Venture „Pierer Bajaj“ übernommen. In einer nächtlichen Mitteilung bestätigte die Gesellschaft, dass nun 74,9 Prozent der Anteile an der Pierer Mobility AG im Besitz von Bajaj sind – womit der indische Konzern als kontrollierende Mehrheitsaktionärin gilt. Dieser Schritt war durch eine bereits im Frühjahr 2025 vereinbarte Call-Option ermöglicht worden, die nun – nach Freigabe durch die österreichische Übernahmekommission und die EU-Kommission – ausgeübt wurde.
Hintergrund der Vereinbarung war die wirtschaftlich kritische Lage des Motorradherstellers KTM. Bajaj, bereits seit 2007 strategischer Partner, hatte im Zuge einer Finanzspritze das Überleben des Konzerns gesichert. Die Folge: Der Umbau von einem österreichisch geführten Hersteller zu einem Teil des globalen Bajaj-Konzerns wurde eingeleitet.
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Führungswechsel bei KTM: Bajaj übernimmt, Pierer zieht sich zurück
Stefan Pierer, der KTM Anfang der 1990er-Jahre rettete und das Unternehmen seither maßgeblich prägte, tritt damit auch formell in den Hintergrund. Mit der geplanten Umbenennung in Bajaj Industrie AG verschwindet der Name Stefan Pierer – jenes Mannes, der KTM 1992 in einer Phase existenzieller Not übernahm und über drei Jahrzehnte zur internationalen Erfolgsmarke machte – gänzlich aus der Konzernstruktur. Was bleibt, ist ein Konzern im Wandel: Global aufgestellt, aber mit österreichischen Wurzeln. KTM selbst bleibt als Marke bestehen – doch wie sich die neue Konzernarchitektur langfristig auf das Selbstverständnis, die Entwicklung und den Standort Mattighofen auswirkt, bleibt offen.
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Mit dem Eigentümerwechsel geht auch ein personeller Neuanfang im Aufsichtsrat einher: Vertrauensleute von Pierer scheiden aus; neu in das Kontrollgremium wurden Bajaj‑Vertreter gewählt – unter anderem das Vorstandsmitglied Pradeep Shrivastava sowie Wulf Gordian Hauser. Beide wurden bei rund 25,6 Mio abgegebenen Stimmen mit etwa 1,37 Mio Gegenstimmen gewählt. Ewald Oberhammer (bisher Vorsitzender des Aufsichtsrats) sowie Ernst Chalupsky, Michaela Friepeß und Iris Filzwieser legen ihre Mandate zurück.
Vom operativen Hersteller zur Konzern-Holding: Bajaj richtet die Struktur neu aus
In der außerordentlichen Hauptversammlung am Mittwoch wurde zudem ein weiterer symbolträchtiger Schritt beschlossen: Der Firmensitz wird von Wels nach Mattighofen verlegt – an den Standort, der als Zentrum der Marke KTM gilt.
Ein Blick in die neue Satzung unterstreicht den Wandel: Der Gesellschaftszweck lautet künftig auf die Ausübung einer Holdingfunktion – inklusive Erwerb, Verwaltung und Beratung von Industrieunternehmen. Auch Kapitalmaßnahmen sind vorgesehen: Das genehmigte Kapital wurde deutlich ausgeweitet, was künftige Expansionen oder Beteiligungserweiterungen vereinfacht. Gleichzeitig ist die Gesellschaft ausdrücklich nicht zum Betrieb von Bankgeschäften berechtigt – eine bewusste Einschränkung.
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Ziel sei es, die Gesellschaft als Steuerungsinstrument des Bajaj-Konzerns für Industrie- und Mobilitätsbeteiligungen neu auszurichten. Die operative Verantwortung – etwa für die Produktion oder Produktentwicklung bei KTM – bleibt bei den Tochterunternehmen. Die neue Struktur erlaubt Bajaj künftig eine zentrale Steuerung über Beteiligungen und Konzerndienstleistungen.
Neue Satzung, neues Selbstverständnis: Die KTM-Mutter wird zur strategischen Schaltzentrale
Mit der neuen Satzung wird nicht nur ein formeller Namenswechsel vollzogen – sie definiert auch das Selbstverständnis und die künftige Rolle der Gesellschaft neu. Unter dem neuen Namen Bajaj Mobility AG und mit dem neuen Unternehmenssitz in Mattighofen soll die Gesellschaft nicht länger selbst operativ tätig sein, sondern als reine Holdinggesellschaft agieren. Ihr Zweck ist künftig klar auf die Verwaltung von Beteiligungen und die Erbringung von Konzerndienstleistungen fokussiert – insbesondere im Rahmen der Mobilitätsaktivitäten der Pierer Industrie AG.
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Der operative Schwerpunkt, etwa die Motorradfertigung unter KTM, bleibt somit auf Tochterebene. Zusätzlich wurden in der Satzung flexible Kapitalmaßnahmen verankert, etwa ein genehmigtes Kapital bis knapp 17 Millionen Euro, das dem Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats ermöglicht, das Grundkapital deutlich zu erhöhen – auch unter Ausschluss des Bezugsrechts. Solche Regelungen deuten auf mögliche Expansionen oder strategische Beteiligungen hin. Klar ausgeschlossen wurde hingegen die Zulassung zum Bankgeschäft. Auch strukturell passt sich das Unternehmen der neuen Konzernlogik an: Sitzungen des Aufsichtsrats können künftig digital per Videokonferenz abgehalten werden, um internationale Entscheidungswege zu erleichtern – ein weiteres Signal für die globale Ausrichtung des Unternehmens.
Was bedeutet das für KTM?
Was der Führungswechsel bei KTM konkret für den Standort Österreich bedeutet, bleibt vorerst unklar. Rajiv Bajaj, CEO des indischen Mutterkonzerns Bajaj Auto, versuchte bei einem Treffen mit dem oberösterreichischen Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (ÖVP) in Indien, Bedenken zu zerstreuen. „KTM wird immer ein österreichisches Unternehmen bleiben, das führend in Forschung, Design, Entwicklung, Engineering, Racing sowie in der Produktion und dem Vertrieb erstklassiger großer und spezialisierter Motorräder in bevorzugten Märkten sein wird“, so Bajaj. Er sehe KTM und Bajaj jeweils als eigenständige Unternehmen, zitierten ihn die Oberösterreichischen Nachrichten und die Kronenzeitung in ihren Mittwochsausgaben. Achleitner wertet die Aussagen als „klares Bekenntnis zum Erhalt des KTM-Standorts in Österreich“.
Für KTM selbst bedeutet die Umstrukturierung vorerst keine unmittelbaren Einschnitte im Tagesgeschäft. Die Marke bleibt bestehen, ebenso wie der Produktionsstandort Mattighofen. Doch strategisch dürfte sich der Einfluss aus Indien verstärken. Gleichzeitig betonen Vertreter des indischen Konzerns, dass Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen notwendig seien. Laut Medienberichten machte Pradeep Shrivastava, Vorstandsmitglied von Bajaj Auto und designiertes Aufsichtsratsmitglied bei Pierer Mobility, deutlich, dass der Produktionsstandort wirtschaftlicher werden müsse. Zum Vergleich: Im indischen Werk in Pune fertigen rund 1.000 Beschäftigte etwa 200.000 Motorräder jährlich. In Österreich sind es rund 4.000 Mitarbeiter für eine Jahresproduktion von 230.000 Stück. Bereits seit längerer Zeit werden kleinere KTM-Modelle von Bajaj in Indien produziert. Die Fertigung großvolumiger, Offroad- und High-End-Motorräder soll laut Unternehmensangaben jedoch weiterhin im Innviertel erfolgen.
Künftig könnten technologische Entscheidungen, Investitionen oder Modellstrategien zunehmend von der neuen Holdingstruktur gesteuert werden. Auch die bisherige Autonomie in Forschung und Entwicklung könnte mittelfristig zur Disposition stehen.