KTM Insolvenz und Sanierung : KTM-Insolvenz: Qualitätsverlust und Managementfehler – Warum der Absturz nicht zu stoppen war
Gottfried Neumeister ist CEO des Motorherstellers KTM
- © KTM SportmotorcycleEnde Januar trat Gottfried Neumeister als CEO bei KTM in die Fußstapfen von Stefan Pierer – doch was ihn erwartete, wurde ihm offenbar erst nach Amtsantritt bewusst. „Beim Handshake kannte ich nur die Rekordzahlen aus 2023“, schildert er im Gespräch mit dem Magazin trend im September. Schon kurz darauf zeigte sich: Die Lage war weitaus kritischer, als es zunächst den Anschein hatte.
>>> KTM gibt Gas – aber das Herz schlägt zunehmend in Indien
Im August 2024 wurden die Halbjahreszahlen des Motorradherstellers veröffentlicht – ein Wendepunkt. Sie offenbarten laut Neumeister bereits damals „deutliche Alarmsignale“, auch wenn das alte Management zunächst zu beschwichtigen versuchte. „Es hat noch einmal sechs bis acht Wochen gedauert, bis sich dieses Bild verfestigt hat“, sagt er rückblickend. Ende November 2024 war die Insolvenz dann unausweichlich. „Hätten wir nur zwei Tage später Insolvenz angemeldet, hätten wir nicht mehr genug Geld gehabt, um die 90 Tage in Eigenverwaltung durchzustehen“, so Neumeister weiter.
Bleiben Sie immer topinformiert über die wichtigsten Entwicklungen in Österreichs Industrie!
Abonnieren Sie jetzt unser Daily Briefing – kompakt und relevant, täglich um 7 Uhr direkt in Ihrem Posteingang. Hier anmelden und nichts mehr verpassen!
KTM nach der Insolvenz: Neumeister rechnet mit alten Fehlern ab
Während des Sanierungsverfahrens wurde er rasch zum neuen Gesicht des Unternehmens. Im Januar 2025 übernahm er den Vorstandsvorsitz – sein Vorgänger Stefan Pierer zog sich zurück. „Pierers Lebensleistung bei KTM ist unbestritten. Irgendwann haben wir jedoch gesagt: Wenn einer das Segel in der Hand hat und der andere das Ruder, dann droht das Schiff zu kentern“, so Neumeister gegebnüber trend. Inzwischen hat sich Neumeister ein neues Führungsteam aufgebaut.
>>> Wer ist Gottfried Neumeister? Sein Leben im Überblick
In der Rückschau zeigt er sich selbstkritisch, vor allem mit Blick auf frühere strategische Entscheidungen: „KTM hat über Jahrzehnte das Ziel verfolgt, der Beste zu sein. Leider ist man von diesem Ziel in den letzten Jahren ein wenig abgekommen. Das Ziel, der Größte sein zu wollen, ist in den Vordergrund gerückt.“ In der Folge seien zentrale Werte wie Kundenzufriedenheit und Produktqualität in den Hintergrund geraten. Zahlungsziele von bis zu 360 Tagen hätten das Unternehmen zusätzlich unter Druck gesetzt.
Fehleinschätzung bei der Produktion: Warnsignale wurden ignoriert
Nach der Rettung von KTM war es einer der ersten öffentlichen Schritte des neuen Geschäftsführers Gottfried Neumeister, die Ursachen für die beinahe existenzbedrohende Schieflage des Unternehmens offen zu benennen. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass die Gründe für die Krise intern zu suchen seien: "Man muss verstehen, dass unsere Probleme hausgemacht sind und nicht, dass die Nachfrage nach Motorrädern nachgelassen hat."
>>> KTM-Mutter in indischer Hand: EU genehmigt Übernahme nach Milliarden-Sanierung
Im Gespräch mit dem britischen Motorradjournalisten Adam Child nannte Neumeister mehrere zentrale Fehlentwicklungen. Besonders schwer wog demnach das finanzielle Desaster in der Fahrradsparte: "Wir haben 400 Millionen Euro in unserer Fahrradsparte verloren. Die Idee war, Kunden früh an unsere Fahrräder zu binden, die später auf unsere Motorräder wechseln könnten. Doch nach Covid-19 ist die Nachfrage zusammengebrochen."
Auch die Übernahme des italienischen Herstellers MV Agusta habe sich als strategisch ungünstig erwiesen: "Die Übernahme von MV Agusta war der zweite Grund, denn sie kam zu einem Zeitpunkt, an dem die Lage der Firma bereits finanziell angespannt war. Dort haben wir weitere 220 Millionen Euro verloren."
Als dritter wesentlicher Faktor kam laut Neumeister eine fehlerhafte Produktionsplanung hinzu: "Dass wir unsere Produktionszahlen nicht an den Verkaufszahlen an Endkunden orientiert haben, war das dritte Problem. Wir hätten bereits 2023 auf die Bremse steigen müssen."
Neumeister über Fehler und die Rückkehr zum Kerngeschäft
Lagerbestände an sich seien für KTM kein grundsätzliches Problem, erklärte Gottfried Neumeister im Interview mit Peter Schönlaub vom österreichischen Motorrad-Magazin. Vielmehr seien sie im internationalen Vertrieb notwendig, da die Transportwege in bestimmte Märkte zu lang seien, um ohne Vorlauf auszukommen. "Ein Bestand von 120.000 bis 130.000 Fahrzeugen sei damals gesund gewesen", so Neumeister – das entspreche etwa einer halben Jahresproduktion. Ziel sei es dennoch, bis Jahresende keine überschüssigen Fahrzeuge mehr in den Hallen von Munderfing zu lagern.
>>> KTM nach der Insolvenz: Ein Neuanfang mit tiefen Spuren
Auch bei den anderen kritischen Bereichen des Unternehmens wurden inzwischen Maßnahmen gesetzt. So wurde die Beteiligung an MV Agusta im Sommer rückabgewickelt – die italienische Marke ging zurück an eine Holding unter der Leitung von Ex-Eigentümer Timur Sardarov. Die Fahrradsparte von Pierer Mobility – nicht zu verwechseln mit der eigenständigen KTM Fahrrad GmbH – wird aktuell zurückgebaut: Die letzten Modelle werden abverkauft, die Marke Felt soll entweder eigenständig weitergeführt oder verkauft werden. Ergänzend wurde der Rückzug aus weiteren Randbereichen vorangetrieben: Der Verkauf der Sportwagenschiene KTM X-Bow ist abgeschlossen, und der Europa-Vertrieb des chinesischen Partners CFMoto wurde abgegeben. Die neue strategische Ausrichtung steht unter einem klaren Leitmotiv: "Fokussierung und Simplifizierung" – die Rückbesinnung auf das Kerngeschäft. Diese sei notwendig, "um die Gruppe auf einen nachhaltigen Erfolgskurs zu bringen".
Auf die Frage nach Managementfehlern antwortet er: „Ich möchte gar nicht urteilen. Aber ja, es gab Managementfehler, und ich finde, man muss selbstkritisch sein, weil sonst kann man gar nicht aus einer Krise lernen.“ Die wirtschaftlich angespannte Lage brachte auch persönliche Herausforderungen mit sich. Im Gespräch mit trend erinnert sich Neumeister an emotionale Szenen während des notwendigen Produktionsstopps, der mit Gehaltseinbußen verbunden war. Die Reaktion der Belegschaft beschreibt er als bemerkenswert solidarisch. „Wirklich beeindruckend“ sei es gewesen, dass auch die Sozialpartner mitzogen. Und doch blieben die Folgen spürbar: „Glauben Sie mir, das war eine sehr emotionale Phase, eine Hochschaubahn der Gefühle.“ Eine Mitarbeiterin habe ihm sogar berichtet, dass sie sich nun das Sommercamp für ihr Kind nicht mehr leisten könne.
Standort Österreich unter Druck? Neumeister kontert mit Strategie
Auch die international viel diskutierte Aussage von Rajiv Bajaj – „Die europäische Produktion ist tot“ – bewertet Neumeister nicht als Angriff, sondern als Signal: ein „provokanter Weckruf“. Sein Verhältnis zu Bajaj beschreibt er als „sehr guten und auch persönlichen Draht“. Der indische Konzern hatte KTM durch eine Finanzspritze vor dem Kollaps bewahrt.
>>> So hat Gottfried Neumeister KTM zurück auf die Überholspur gebracht
Neumeister sieht in der Verlagerung von Teilen der Produktion ins Ausland keine Gefahr für den Standort Österreich: „Heute kommt bereits rund jedes zweite Motorrad unserer Konzernmarken aus Asien, vornehmlich die Volumenmodelle im Einstiegs- und Mittelklassesegment.“ Die Premium-Modelle, der Rennsport sowie Forschung und Entwicklung blieben hingegen in Österreich angesiedelt. „Indem wir ausgewählte Modelle in Indien oder China fertigen, sichern wir die Wettbewerbsfähigkeit und damit langfristig auch Arbeitsplätze und die Fertigung in Österreich“, betont er. „Österreich bleibt das Herz von KTM.“
Künftig werde man sich nicht mehr primär an Produktionsrekorden orientieren, betont KTM-CEO Gottfried Neumeister im Gespräch mit Adam Child. Der Fokus liege nun klar auf Kundennähe und Qualität: "Wir haben uns zu einem trägen Tanker entwickelt und müssen wieder wie ein Speedboat agieren. Es geht uns nicht darum, Rekordverkäufe anzustreben. Zuvorderst müssen wir unseren Kunden im Blick behalten und unsere Qualität – alles weitere folgt später." Für die nahe Zukunft bleibt Neumeister realistisch. Die kommenden Monate würden „bestimmt noch holprig“ verlaufen: „Es wäre illusorisch, zu glauben, dass man hier einfach durchsegeln kann.“ Auch 2026 sei noch mit Verlusten zu rechnen. Erst 2027 soll die Rückkehr in die Gewinnzone gelingen: „Dann wollen wir ein positives EBIT erzielen.“
Neues Führungsteam soll KTM strategisch neu ausrichten
Mit Anfang Oktober hat der österreichische Motorradhersteller KTM zudem zwei Schlüsselpositionen neu besetzt: Richard Piller übernahm die Leitung des Personalbereichs, Christof Täubl wurde zum Vice President Design ernannt. Beide bringen langjährige Erfahrung aus der Mobilitätsbranche mit und sollen die strategische Neuausrichtung des Unternehmens nach dem abgeschlossenen Sanierungsverfahren maßgeblich mitgestalten.
>>> KTM-Produktion: Das eigentliche Powerhouse steht nicht mehr in Oberösterreich
Piller, ein erfahrener Jurist, war zuvor über ein Jahrzehnt als Vice President Global Human Resources bei Magna Powertrain tätig. Seine HR-Karriere begann bei Siemens, führte ihn über Austrian Airlines bis hin zu Magna. Die Position des Personalchefs bei KTM war mehrere Monate vakant und konnte während des Insolvenzverfahrens nicht nachbesetzt werden.
Täubl kommt von der Designagentur Kiska, wo er zuletzt als Director Transportation Design tätig war. Der Absolvent der FH Joanneum und der Umeå Institute of Design in Schweden verfügt über mehr als 18 Jahre Erfahrung im Motorrad- und Mobilitätsdesign. Seine Karriere begann 2006 als Freelancer, bevor er bei Kiska verschiedene Positionen durchlief.
KTM-CEO Gottfried Neumeister betonte die Bedeutung der Neubesetzungen: „Richard Piller und Christof Täubl überzeugen durch ihre jahrzehntelange Erfahrung in der Mobilitätsbranche und ergänzen unser Team mit Fachwissen und praxisnaher Kompetenz. Die Weiterentwicklung unserer Talentmanagementsysteme sowie der Aufbau eines unternehmensinternen Design-Centers ist ein integraler Bestandteil der Neuausrichtung der KTM AG.“
Mit der internen Verankerung des Designs schlägt KTM einen neuen Weg ein – bislang war dieser Bereich ausgelagert. Die Position Täubls wurde im Zuge dieser strategischen Umstrukturierung neu geschaffen. Piller und Täubl gehören nun zum erweiterten Führungsteam rund um CEO Neumeister, CFO Petra Preining und die für den Rechtsbereich zuständige Vorständin Verena Schneglberger-Grossmann.