Analyse : Rohstoffe: Wie China und Russland Europa abhängig machen

A photo taken on August 19, 2012 shows workers before a refinery near a 'toxic lake' near the inner Mongolian city of Baotou. On the edge of the Chinese city of Baotou, a 10-square-kilometre lake is blackened by pollution from factories processing rare earths, elements essential for the production of mobile phones and computers. China produces more than 95 percent of the world's rare earths, 17 elements crucial for making a range of hi-tech products. Two-thirds of that is processed in mineral-rich Baotou on the edge of the Gobi desert. AFP PHOTO / Ed Jones (Photo by Ed Jones / AFP)

Abbau von seltenen Erden in China: Ein Druckmittel mit Riesenpotential

- © AFP

Als Russland am Mittwoch ankündigte, nicht nur Erdgas, sondern auch andere Rohstoffe in Rubel abrechnen zu wollen, war der Schock groß. Vielen Beteiligten ist erst in diesem Augenblick bewusst geworden, wie sehr Europa von russischen Rohstoffen abhängig ist. Dabei ist der Versuch, den Westen auf diesem Weg unter Druck zu setzen und zu Eingeständnissen in heiklen geopolitischen Fragen zu zwingen seit Jahren schon ein Teil der russischen, aber auch der chinesischen Wirtschaftspolitik.

Aus russischer und chinesischer Perspektive muss der Rohstoff, der als Macht- und Druckmittel eingesetzt wird, nicht einmal im eigenen Land abgebaut oder hergestellt werden. Es reicht, wenn die Exploration in Weltgegenden erfolgt, die dem Westen gegenüber skeptisch eingestellt sind und wo China oder Russland ökonomischen Einfluss haben: in Lateinamerika etwa oder in Afrika.

Doch wie funktioniert das Erpressungsspiel genau? Was spielt Russland, was China in die Hände? Und wovor muss sich Europa in Acht nehmen? Fünf Punkte.

1. Auch die Energiewende macht Europa verwundbar

Zugegeben, diese Behauptung klingt widersinnig. Ist Energiewende nicht das Wundermittel, das Österreich von russischem Erdgas unabhängig machen soll? Ja. Doch leider sind viele Rohstoffe, die für die Energiewende nötig sind ebenfalls nur in Regionen zu finden, die alles andere als erklärt prowestlich und politisch stabil sind.

Die Europäische Kommission hat unlängst eine Liste mit zwanzig kritischen Rohmaterialien veröffentlicht, die für die europäische Industrie in Zukunft überlebenswichtig sein werden und bei denen die Importabhängigkeit besonders groß ist. Die Internationale Energieagentur (IEA) hebt sechs davon gesondert hervor: Lithium, Kobalt, Kupfer, Nickel, Graphit sowie Seltene Erden.

Lithium ist der Grundstoff für Lithium-Ionen-Batterien, das wichtigste Bauteil von Elektroautos. Es wird bislang vor allem in Australien sowie in Chile und weiteren lateinamerikanischen Ländern abgebaut. Die Verarbeitung zu batteriereinem Lithium, das in der Zellproduktion eingesetzt werden kann, findet überwiegend in China statt.

Ebenfalls für die Elektroautobatterien dringend benötigt werden Kobalt und Graphit. Auch hier ist die geografische Konzentration enorm: Rund 70 Prozent der bekannten Kobalt-Vorkommen liegen im Kongo. Graphit wird zu einem Anteil von 74 Prozent in China abgebaut.

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Lithium-Batterie in Elektromobilität
Lithium Batterie: Europa von zwanzig kritischen Rohmaterialien abhängig - © Adobe/Nischaporn

2. Wer Stahl braucht, ist gefährdet, Österreich gehört dazu

Wie Deutschland ist auch Österreich ein Land, das einen beträchtlichen Teil seiner industriellen Wertschöpfung aus dem Maschinen- und Anlagenbau generiert. Unglücklicherweise brauchen beide Branchen aber Stahl, sogar ziemlich viel davon. Für seine Herstellung wird wiederum seit Jahrzehnten als Legierung Nickel benötigt. Zugleich nimmt aber auch die Nachfrage nach Nickel für die Batterieproduktion zu. Sie könnte der IEA zufolge 2040 bereits 60 Prozent der Industrienachfrage ausmachen. Zwei Drittel der weltweiten Nickelförderung wird von drei Ländern bestritten: Indonesien, Philippinen und Russland.

Zudem kommt ein nicht geringer Anteil von Erzen, die für die Eisenproduktion notwendig sind aus Russland. Bei der voestalpine sieht man sich im Moment vom aktuellen Kriegsgeschehen diesebezüglich allerdings noch nicht gefährdet.

Doch auch Rohstahl kommt kommt aus Putins Reich. Laut der Wirtschaftsvereinigung Stahl ist die EU mit einem Anteil von 30 Prozent an den Ausfuhren die größte Abnehmerregion für russischen Stahl. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stahlhandel (BDS) beträgt der Stahlverbrauch in der EU jährlich rund 150 Millionen Tonnen. Aus Russland werden vor allem Massenstähle nach Europa geliefert, die etwa in der Bauindustrie zum Einsatz kommen.

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Voestalpine Edelstahlwerk Kapfenberg Rendering
Voestralpine: Woher bekommt die Stahlindustrie Ihre Vorprodukte? - © Voestalpine

3. Kontrolliert Russland die Ukraine, hat es auch die globale Chipindustrie im Würgegriff

Ohne Neon keine Halbleiterfertigung, ohne Halbleiter keine Chips für die Autoindustrie, die Elektronik, den Maschinenbau. Unglücklicherweise wird 70 Prozent der weltweiten Neon-Produktion in der Ukraine abgewickelt. Die Hälfte der weltweiten Ressourcen stammt von Firmen aus den umkämpften ukrainischen Hafenstädten Odessa und Mariupol.

Neon wird für Helium-Neon-Laser eingesetzt, die in der Halbleitertechnik für die Belichtung der Siliziumscheiben, nötig sind. Welche Folgen ein Ausfall der Chipproduktion hat, ließ sich während der Coronapandemie beobachten: Im vergangenen Jahr schlossen mehrere Back-End-Fabriken in Malaysia, unter anderem der größte derartige Standort von Infineon. Autohersteller von Ford über General Motors bis Toyota mussten die Produktion drosseln, weil ihnen die Chips fehlten. Zuvor hatten bereits ein Wintersturm in Texas, der die Fabriken vor Ort lahmlegte, und ein Feuer in einer Fabrik des japanischen Chipherstellers Renesas für Lieferschwierigkeiten gesorgt. Auch in der aktuellen Krise mussten bereits zahlreiche Automobilhersteller und Zulieferer wegen ihre Produktion herunterfahren.

Um unabhängiger von Lieferungen aus Asien zu werden, subventioniert Europa seine Chipindustrie im großen Stil. So will die EU-Kommission den Anteil Europas an der globalen Produktion von zehn auf zwanzig Prozent steigern.

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Ein fertiger Halbleiter: Die weltweite Produktion soll sich in den nächsten Jahren verdoppeln.
Verhängnsivolle Abhängigkeit: Ohne Neon keine Halbleitertechnik - © Fotolia

4. Staat gegen privat, die staatlichen Riesen in Russland und China haben einen Marktvorteil

Von den mächtigsten Rohstoffkonzernen der Welt befinden sich viele in staatlicher Hand. Besonders deutlich wird das bei den Öl- und Gasunternehmen. Hinter den zwei, gemessen am Umsatz, größten Öl- und Gaskonzernen Sinopec und Petro China steht der chinesische Staat. Das Land ist stark auf Rohölimporte angewiesen, die beiden Konzerne produzieren vor allem Raffinerieprodukte wie Benzin, Diesel und Ausgangsstoffe für die Kunststoffproduktion. Mit Saudi Aramco, Gazprom und Petrobas gehören drei weitere Staatsunternehmen zu den nach Umsatz größten Öl- und Gasproduzenten.

Um noch mehr Einfluss auf den Markt auszuüben, haben sich 23 Länder in der Allianz der Öl exportierenden Staaten Opec+ zusammengeschlossen. Angeführt wird das Bündnis von Saudi-Arabien und Russland.

Erst kürzlich wurde deutlich, dass die Opec+ trotz des Ukrainekriegs zusammenhalten will. Bisher zeigt sich der Ölverbund trotz des russischen Krieges gegen die Ukraine geschlossen.

Zusammengenommen vereint die Opec+-Allianz fast die Hälfte der weltweiten Ölproduktion auf sich. Da die Mitgliedstaaten Hauptanteilseigner der Ölkonzerne sind, können sie die landeseigene Produktionsquote steuern. Viele der börsennotierten westlichen Großkonzerne wie Shell, BP, Exxon oder Chevron sind vom Umsatz her ebenfalls riesig. Doch kein Unternehmen hat einen vergleichbaren Einfluss.

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Gazprom Erdgas Russland Erdöl Öl Mineralölindustrie
Gazprom: Staatsnähe als Wettbewerbsvorteil - © Gazprom

5. Abfall als Rettungsanker

Die OMV stellt sich schon darauf ein: Bis 2025 will sie synthetisches Rohöl aus Altkunststoff in industriellem Maßstab gewinnen. Bis 2026, so die Pläne, soll ReOil zu einer kommerziell tragfähigen, großtechnischen chemischen Recyclingtechnologie werden, die eine Kapazität von 200.000 Tonnen pro Jahr erreicht.

Der Trend ist weltweit zu beobachten. Gerade im hochentwickelten Europa könnte Abfall zur wichtigsten Rohstoffquelle werden. Es würde Sinn machen: Jedes Jahr werden mehr als 100 Milliarden Tonnen Rohstoffe wie Öl, Gas und Metalle aus der Erde geholt. Nur neun Prozent davon werden wiederverwendet – der Rest wird verbrannt oder landet auf dem Müll.

Im Abfall sind Rohstoffe daher längst in großen Mengen vorhanden – sie stecken in Plastik, Batterien und sogar in der Luft. Gelänge es, aus dem Abfall die ursprünglichen Stoffe wiederzugewinnen, könnten nicht nur Probleme wie Umweltverschmutzung oder Lieferengpässe behoben werden. Dann wäre Europa auch unabhängiger vom Bezug der Rohstoffe.

Bisher war das eine Vision. Doch jetzt treiben Chemiefirmen die Umstellung auf erneuerbare Rohstoffe voran. Und auch einstige Erdöl-Player wie die OMV stehen vor dem Wandel.

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Abfall als Rohstoff der Zukunft