Robotik „Made in Germany" : Humanoid‑Roboter Agile ONE: Deutsche Innovation fordert Tesla Optimus heraus
Agile ONE im Praxistest: Der deutsche Humanoid-Roboter soll künftig Seite an Seite mit Menschen in Fabriken arbeiten – und dabei mit Tesla Optimus und Figure AI konkurrieren.
- © IndustriemagazinDas ist Agile ONE. Kein Science-Fiction-Maskottchen, sondern ein Roboter für eine echte Fabrik – das ist zumindest der Plan. Mehr als 2.500 Robotik- und KI-Expertinnen und -Experten tüfteln an Standorten in Deutschland, China und Indien. Und schon nächstes Jahr soll Agile ONE in Bayern in Kleinserie produziert werden. Bayerische Wertarbeit mit 20 Kilo Hubkraft. Selbst für die industrielle Skalierung – also den Einzug in die Fabriken – existiert ein Pfad.
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Denn genau an dem Tag, an dem Agile ONE der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, wurde auch ein kleines Industrieerdbeben bekannt: Agile Robots übernimmt die Automatisierungssparte von Thyssenkrupp. Thyssenkrupp Automation Engineering – in den 1950er Jahren als Johann A. Krause KG gegründet – baut heute komplette Produktionsanlagen für die Autoindustrie, mit Umsätzen im mittleren dreistelligen Millionenbereich. Also: echte Fabriken, echte Linien, echte Taktzeiten. Keine Messestand-Magie.
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Agile ONE vor dem Fabrik-Einsatz: Präzisionsroboter mit KI und „Physical AI“-Versprechen
Spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2026 möchte Agile Robots die ersten ‚Made in Germany‘-Humanoiden bei strategischen Kunden unterbringen. Also: nicht auf der CES, nicht in einem Forschungszentrum, sondern in einer richtigen Produktionshalle.
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Doch was versprechen die Roboterbauer aus München? Der Agile One läuft mit zwei Metern pro Sekunde, erkennt seine Umgebung, hat nach Herstellerangaben eine der präzisesten robotischen Hände weltweit und nutzt eine KI, die mit realen Industriedaten trainiert wurde.
Vor allem aber soll er das, woran viele Humanoid-Projekte scheitern: Feinmanipulation. Steckverbinder setzen, Clips drücken, Bauteile ertasten – diese Dinge, die Menschen können, Roboter aber bisher nicht. Zumindest nicht zuverlässig.
Dazu verspricht der Hersteller so genannte Physical AI. Der Roboter soll seine Aufgaben nicht nur „programmierbar“ ausführen, sondern Bewegungen und Handhabung über Sensorik und KI dynamisch anpassen.
Konkurrenz im Rampenlicht – doch im Werk bleibt’s leer: Wo Tesla & Co. noch scheitern
In der Branche hört man, Agile Robots sei – sowohl bei Hardware als auch Software und vor allem der KI-Integration – durchaus konkurrenzfähig mit den großen Namen.“ Nur: Auch die großen Namen haben noch keinen wirklich überzeugenden Praxistest geliefert.
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Figure AI testete mit BMW in Spartanburg. Der Roboter Figure 02 setzte Blechteile in Vorrichtungen. Wichtig? Ja. Revolutionär? Naja. Es war ein repetitiver, eng definierter Prozess ohne Menschen, ohne Überraschungen, ohne Chaos. Dann wäre da Tesla Optimus. Die Demos sind beeindruckend, schön ausgeleuchtet, perfekt choreografiert, wie fast alles, was aus dem Hause Musk kommt. Aber: Kein einziger Optimus arbeitet bislang an einer Tesla-Linie. Im Headquarter wirkt er reifer – aber reif genug für eine Fabrik? Eher nicht.
Bei Sanctuary AI – einem kanadischen Anbieter – stehen kognitive Fähigkeiten und sensorische Feinmotorik im Fokus. Viele Tests laufen jedoch in Pilotbereichen oder Laborumgebungen, teils mit Teleassistenz – beeindruckend, aber ohne industrielle Belastungsproben.
Und in China? Da erscheint gefühlt jeden Monat ein neuer Humanoid. Sie marschieren im Gleichschritt, sie boxen, sie laufen Marathons – aber sie sind eben meist Demonstratoren. Industriefest? Dafür fehlt jeder Hinweis.
Menschliche Komplexität, maschinelle Grenzen: Warum Humanoide noch lange nicht bereit sind
Humanoide Roboter haben trotz ihrer enormen medialen Präsenz noch einen sehr langen Weg vor sich. Und das liegt schlicht daran, dass sie versuchen, uns nachzubauen. Und wir sind nun mal kompliziert. Laufen, balancieren, greifen, sehen, hören, entscheiden, reagieren – und das gleichzeitig, robust und ohne Aussetzer – das kombiniert die allerschwierigsten Felder der Robotik in einem einzigen System.
Dazu kommen die Realwelthürden: Der Ölfilm auf dem Boden, Vibrationen, wechselndes Licht, menschliche Kollegen, die nicht immer machen, was das Handbuch vorschreibt. Kurz: Fabrik-Alltag. Bis ein humanoider Roboter dort zuverlässig arbeitet, wird es wahrscheinlich noch Jahrzehnte dauern. Mindestens mehrere harte Entwicklungszyklen und Fehlversuche inklusive.
Warum Agile One trotzdem einen Business Case hat
Aber – und das sagen alle Expertinnen und Experten – Humanoide sind ein Marathon. Und wer ihn gewinnen will, muss jetzt trainieren. Denn in zehn bis fünfzehn Jahren werden Fabriken humanoide Systeme brauchen: Nicht als Menschenersatz, sondern als Ergänzung in einer Welt mit weniger Fachkräften und mehr flexiblen Produktionslinien.
>>> Roboter haben das Lager im Griff
Dass mit Agile One ein Mitbewerber aus Bayern in der Topliga mitspielt ist strategisch wichtig. Nur wer jetzt entwickelt, kann früh scheitern und in einigen Jahren erfolgreich sein. Noch fehlen harte Daten zu Laufzeit, Robustheit und Kosten. Aber Agile Robots liefert wenigstens etwas, das Europa in diesem Feld bisher nicht hatte: eine eigene Stimme.
Ob Agile ONE jemals die Shopfloors der Erde erobert? Das weiß heute niemand. Aber auch wenn er nur ein Zwischenschritt ist, zeigt er etwas wichtiges: Europa baut mutig an Zukunftstechnologien. Nicht erst, wenn sie reif sind – sondern damit sie reif werden können. Und genau das ist der eigentliche Fortschritt.