Mineralölindustrie : OMV wandelt sich zum Chemiekonzern – finanziert durch Öl und Gas

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OMV-Raffinerie im bayrischen Burghausen: Das Geld für die Transformation der OMV soll aus den Gewinnen der Öl- und Gasproduktion kommen.

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Der Strategiewechsel hat sich schon mit dem dem Abgang von Rainer See le als OMV-Chef abgezeichnet: Der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV will die Öl- und Gasförderung langfristig ganz einstellen und künftig vor allem im Bereich Chemie wachsen. Als konkretes Zwischenziel soll die Öl- und Gasproduktion bis 2030 um ein Fünftel reduziert werden - trotzdem soll der Gewinn stabil bleiben, und den Aktionären wird eine wachsende Dividende in Aussicht gestellt. Das sind wesentliche Eckpunkte der OMV-Strategie 2030, die am Mittwoch präsentiert wurde.

Demnach soll die Rohölproduktion bis 2030 schrittweise um etwa 30 Prozent reduziert werden, die Erdgasproduktion um etwa 15 Prozent. Investitionen in die Öl- und Gasproduktion werden bis 2026 fortgesetzt, wobei der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Gasprojekten liegt, danach sollen sie deutlich zurückgehen. Der Anteil von Gas soll auf mehr als 60 Prozent steigen. Die Produktion von Öl und Gas zur energetischen Nutzung wird bis 2050 vollständig eingestellt, so der Plan. Ab dem 1. April 2022 wird das Gasverkaufs- und Logistikgeschäft (ohne OMV Petrom) im Bereich E&P (Exploration und Produktion) konsolidiert.

Alfred Stern OMV Borealis
Alfred Stern: Im Machtkampf durchgesetzt, dass die Ausweitung der Öl- und Gasförderung nicht mehr als strategisches Ziel verfolgt wird - © APA/HANS KLAUS TECHT

Das Geld für diese Transformation soll aus den Gewinnen der Öl- und Gasproduktion kommen: "Unser übergeordnetes Ziel ist es, Cashflow und nachhaltige Energielösungen bereitzustellen, um die Transformation zu unterstützen", sagte E&P-Vorstand Johann Pleininger laut Aussendung.

"Chemicals & Materials wird nicht nur unser Wachstumstreiber sein, sondern auch Nachhaltigkeit, Risiko und Rendite in Einklang bringen und somit unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber Marktdynamiken stärken", erklärte OMV-Chef Alfred Stern.

Weitere Eckpunkte der "Strategie 2030": Der Geschäftsbereich Refining & Marketing soll ein führender europäischer Anbieter von nachhaltigen Kraftstoffen, Rohstoffen und Mobilitätslösungen werden. So sollen etwa mit Investitionen von insgesamt mehr als 400 Mio. Euro bis 2030 mehr als 2.000 E-Ladestationen an Tankstellen und an Autobahnen und Transitstrecken sowie rund 17.000 Wallbox-Ladestationen für Firmenstandorte errichtet werden.

Die Produktion von nachhaltigen Kraftstoffen und nachhaltigen chemischen Rohstoffen soll bis 2030 auf 1,5 Mio Tonnen pro Jahr gesteigert werden, wobei fast die Hälfte der Mengen auf nachhaltige Flugzeugtreibstoffe entfällt - der Absatz von nachhaltigem Flugtreibstoff soll auf mehr als 700.000 Tonnen steigen. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2021 wurden in Österreich fast 3,5 Mio. Tonnen Benzin und Diesel verbraucht.

Zur Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen will die OMV zugleich rund 5 Mrd. Euro in die Entwicklung von CO2-armen Geschäftsfeldern investieren, d. h. in die Geothermie und die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS). Es wird erwartet, dass bis 2030 aus Erdwärme bis zu 9 TWh Energie pro Jahr gewonnen werden.

Weil man Öl- und Gas künftig nicht mehr zur Energiegewinnung verbrennen will, setzt die OMV künftig auch auf Wasserstoff, Solar- und Windenergie und will ihr Solar- und Windkraftgeschäft für den Eigenbedarf auf mindestens 1 TWh ausbauen und Möglichkeiten im Bereich Gas- und Wasserstoffspeicherung prüfen.

OMV: Jetzt "From Value Chain to Value Circle"


Es wird erwartet, dass das CCS Operative Ergebnis vor Sondereffekten (bereinigt um Lagerhaltungseffekte) bis 2030 mindestens 6 Mrd. Euro erreicht. Der operative Cashflow (exklusive Net-Working-Capital-Effekte) soll bis dahin über 7 Mrd. Euro erreichen. Nach klaren Prioritäten bei der Kapitalallokation - Investitionen an erster Stelle, gefolgt von Dividenden, anorganischem Wachstum und Entschuldung - sind Investitionen in Höhe von 3,5 Mrd. pro Jahr zur Unterstützung des organischen Wachstums geplant. Mindestens 40 Prozent davon sind für CO2-arme Projekte vorgesehen.

Demnach soll die Rohölproduktion bis 2030 schrittweise um etwa 30 Prozent reduziert werden, die Erdgasproduktion um etwa 15 Prozent. Investitionen in die Öl- und Gasproduktion werden bis 2026 fortgesetzt, wobei der Schwerpunkt auf der Entwicklung von Gasprojekten liegt, danach sollen sie deutlich zurückgehen. Der Anteil von Gas soll auf mehr als 60 Prozent steigen. Die Produktion von Öl und Gas zur energetischen Nutzung wird bis 2050 vollständig eingestellt, so der Plan. Ab dem 1. April 2022 wird das Gasverkaufs- und Logistikgeschäft (ohne OMV Petrom) im Bereich E&P (Exploration und Produktion) konsolidiert.

Die Erschließung des Neptun-Gasfelds im rumänischen Schwarzen Meer soll ein Kernprojekt werden. "Abhängig vom neuen Offshore-Gesetz in Rumänien erwarten wir die finale Investitionsentscheidung für 2023", sagte Stern. Ab 2027 soll dort das erste Gas gefördert werden. In das Projekt "Neptun Deep" sollen bis zu 2 Mrd. Euro investiert werden. "Wir rechnen mit einer Plateau-Produktion von bis zu 70.000 Barrels Öleinheiten pro Tag für die OMV für einen geschätzten Zeitraum von zehn Jahren."

Rückzug aus Russland– politische Motivation?


Als Teil ihrer neuen Strategie will die OMV auch der bisherigen Kernregion Russland den Rücken kehren. "Das bedeutet automatisch, dass wir dort keine weiteren Investitionen verfolgen. Deswegen haben wir auch alle weiteren Verhandlungen für Achimov (russisches Erdgasfeld, Anm.) abgebrochen. Es bedeutet aber auch, dass wir uns alle Optionen ansehen, wie wir mit unserer 24,99-Prozent-Beteiligung am Juschno-Russkoje-Gasfeld weiter umgehen können. 'Alle Optionen' bedeutet vom Verkauf bis zu Exit, allerdings gibt es eine komplexe rechtliche Situation dort, die wir jetzt untersuchen."

Auf die Frage, wie sich der politisch motivierte angekündigte Rückzug aus Russland mit der Absicht verträgt, mehr Gas von anderen Diktaturen wie Katar oder den Vereinigten Arabischen Emiraten zu beziehen (die VAE sind neben der Republik Österreich ein Kernaktionär der OMV, Anm.), erklärte OMV-Chef Stern, die Entscheidung für den Rückzug aus Russland sei von den jüngsten Ereignissen getrieben. Man wolle geographisch expandieren und das OMV-Portfolio diversifizieren, um das Risiko in den verschiedenen Regionen zu verringern. Laut Upstream-Vorstand Johann Pleininger ist etwa auch Libyen ein stabiler Produzent, heuer rechne man dort mit einer Produktion von mehr als 30.000 Fass pro Tag.

Strategie 2030 – weitere Eckpunkte


Die vergleichsweise teure Öl- und Gasförderung in Österreich (Gänserndorf) wird nicht eingestellt, stellte Pleininger klar. Dabei geht es um 19.000 Fass pro Tag. Man sei bis 2030 weiterhin in der Lage, in Österreich wirtschaftlich zu produzieren. Es gehe aber nicht nur um die produzierten Mengen, sondern Österreich sei auch ein Innovations- und Technologiezentrum für den E&P-Bereich der OMV, erklärte Pleininger.

Am geplanten Verkauf der Düngemittel-Sparte der Chemietochter Borealis hält die OMV nach wie vor fest, obwohl der bereits fertig paktierte Deal mit dem russisch-schweizerischen Konzern EuroChem gestoppt wurde.

Die OMV setze mit der heute präsentierten Strategie ein klares Zeichen hin zur Kreislaufwirtschaft mit einem stringenten Fahrplan für das Null-Emissions-Ziel bis 2050, sagte die Chefin der Staatsholding ÖBAG, Edith Hlawati. "Die Transformation der OMV wird ein wichtiger Baustein sein, um die Klimaziele, die sich Österreich gesetzt hat, zu erreichen", so Hlawati in einer Stellungnahme. Anleger zeigten sich bisher wenig überzeugt von der neuen Strategie.

Produktion 2020 gesamt und nach Regionen, geplante Produktion 2025 und 2030

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OMV in gezielter russischer Abhängigkeit?

Der Strategiewechsel hat sich schon beim überraschenden Abgang des ehemaligen CEOs Rainer Seele abgezeichnet: Alfred Stern, 57, der den neu geschaffenen Bereich Chemicals & Materials leitet folgte dem als russlandnah geltenden Seele an die Spitze des österreichischen Öl- und Gaskonzerns. Stern hatte seit 2018 die OMV-Chemietochter Borealis geführt. Nachdem die OMV ihren Anteil an der Borealis zuvor von 36 auf 75 Prozent aufgestockt hatte, wurde der Chemiebereich in der OMV mächtiger. In einem internen Machtkampf dürfte sich Stern mit der Ansicht durchgesetzt haben, dass die ursprünglich noch unter Roiss geplante Ausweitung der Öl- und Gasförderung der OMV nicht mehr als strategisches Ziel verfolgt werde - sondern das Wachstumspotenzial der OMV vor allem im Chemiebereich liege.

Zuletzt teilte der ehemalige OMV-Chef Gerhard Roiss kräftig gegen die Strategie der OMV der letzten Jahrzehnte aus. Österreich und die OMV sei von einer Gruppe von Leuten gezielt in eine Abhängigkeit von Russland gelenkt worden. "Diese Leute haben ihre eigenen finanziellen Interessen über jede Moral gestellt", sagte der dem Wochenmagazin "profil" vor einigen Tagen. Die große Abhängigkeit vom russischen Gas, wie sie aktuell der Fall ist, hätte nicht sein müssen.

Seele Thomas Schmid OMV ÖBAG Mubadala
Rainer Seele und der ehemalige ÖBAG-Chef Thomas Schmid: "Die OMV sollte Basis dafür sein, die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Russland zu vertiefen. Der OMV-Konzern sollte als eine Art Schrittmacher dienen. Da wurde kräftig lobbyiert" - © ÖBAG / Puiu

So sei der Ausbau eigener OMV-Gasfelder zu Gunsten russlandnaher Projekte nicht mehr weiterverfolgt worden. "Wir waren auch auf einem vielversprechenden Weg. 2012 hatten wir im Schwarzen Meer vor Rumänien den größten Gasfund in der Geschichte der OMV verzeichnet", führt er als Beispiel das Projekt "Neptun" an. "Meine Annahme war, dass wir mit Neptun künftig jährlich rund drei Milliarden Kubikmeter Gas nach Österreich liefern können. Das hätte etwa ein Drittel des Jahresbedarfs gedeckt", rechnet Roissvor.

Doch es kam laut seinen Aussagen anders. "Die OMV sollte Basis dafür sein, die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Russland zu vertiefen. Der OMV-Konzern sollte als eine Art Schrittmacher dienen. Da wurde kräftig lobbyiert", so Roiss.

Zuständig für den Staatsanteil von 31,5 Prozent an der OMV war die damalige Staatsholding ÖIAG (nun ÖBAG). Angesprochen auf den seinerzeitigen ÖIAG-Aufsichtsratsvorsitzenden Siegfried Wolf mit besten Kontakten nach Russland, sagte Roiss zum "profil": "Erwarten Sie bitte von mir keinen Kommentar zu diesem Herrn." Das gleiche gelte auch für den russischen Staatschef Wladimir Putin. Wolf hat umgehend auf die Aussagen von Roiss reagiert und rechtliche Schritte angekündigt. Er werde zu allen Sachverhalten "insbesondere zum persönlichen und ehrenrührigen Rachefeldzug von Herrn Roiss zum richtigen Zeitpunkt entsprechend Stellung nehmen".

"Über Aktivitäten der OMV entschied einzig und allein der Vorstand der OMV und musste diese Entscheidungen von seinem eigenen Aufsichtsrat beschließen lassen, dem ich nie angehört habe. Ich habe auf Entscheidungen, welche Gas- oder andere Energie-Quellen die OMV erschließt oder woher die OMV ihr Gas oder ihr Öl bezieht nie direkt oder indirekt Einfluss ausgeübt", so Wolf in einer Presseaussendung.

Eigentümervertreter für die Interessen Österreichs an dem Wiener Öl- und Chemiekonzern ist der jeweilige Finanzminister. Das war zwischen 2014 und Ende 2017 Hans Jörg Schelling (ÖVP), der laut "profil" nach seinem Ausscheiden aus der Politik einen Beratervertrag beim russischen Gaskonzern Gazprom hatte. Dazu Roiss: "Hier zeigt sich ein generelles Problem, das in den vergangenen fünf, sechs Jahren sichtbar wurde - die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft. Wir haben nun nicht mehr nur Oligarchen aus dem Osten, wir haben längst auch kleine Austro-Oligarchen."

Roiss stand von 2011 bis 2015 an der Spitze des teilstaatlichen, börsennotierten Konzerns, sein Abgang erfolgte nicht ganz freiwillig, mittlerweile investiert er in Start-ups.

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