Die OMV äußert sich dazu nicht. Fest steht: Nur ein verteidigendes Machtwort des Hauptaktionärs hätte den gegenwärtigen OMV-Chef in seiner Position halten können.
Bleibt die Frage, ob Rainer Seele seinen Job bis zum angekündigten Ende Mitte 2022 erledigen kann. Um es in der Sprache des zuletzt bekannt gewordenen Kurznachrichtenverkehrs rund um ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid auszudrücken: Seele ist definitiv nicht Familie. Dabei kann das Lame-Duck-Syndrom für die OMV in der aktuellen Wendephase zu einer echten Bedrohung werden. Ungesichert ist auch, ob der CEO bei Borealis noch durchgreifen kann. Ein vorzeitiger Abgang des Deutschen noch in diesem Jahr wird allerdings nicht ohne Auszahlung des Vertrages ablaufen. Ex-Borealis-Chef Alfred Stern wird am häufigsten als Nachfolgekandidat gehandelt. Die Schlagzeilen können schon heute formuliert werden.
Herr Seele, in einem gemeinsamen Gespräch zu Beginn Ihrer Amtszeit meinten Sie: „Es war mir neu, dass viele wirtschaftliche Bereiche der OMV sehr stark politisiert werden.“ Haben Sie sich an den Staat als OMV-Miteigentümer gewöhnt?
Rainer Seele Dafür war kein Lernprozess nötig. Unser größter Aktionär ist die Republik Österreich. 90 Prozent der Öl- und Gasvorkommen sind in den Händen von staatlichen Ölgesellschaften.
Staatliche Eigentümer pflegen Einfluss auszuüben, der nicht direkt mit dem Geschäft zu tun hat...
Seele Ich finde diese Diskussion völlig übertrieben. Der Staat verhält sich wie jeder andere Aktionär. Außerdem wünscht die Regierung, dass wir uns umweltfreundlich ausrichten. Das sind Forderungen, die sind vollkommen deckungsgleich mit jenen der wesentlichen Aktionäre der OMV.
Wie häufig gab es Jobinterventionen aus Minister- oder Parteibüros?
Seele Das findet bei uns nicht statt. Ich kann nur für den Zeitraum sprechen, für den ich als Generaldirektor der OMV verantwortlich bin: In dieser Zeit gab es keine Anrufe von der Politik, um irgend welche Kandidaten hier zu platzieren ...
Bei Ihrem Antritt zeigten Sie sich über die wirtschaftliche Schieflage der OMV beunruhigt. Wie beschreiben Sie die finanzielle Situation der OMV derzeit?
Seele Wir haben einen vollkommen anderen finanziellen Spielraum. Wir generieren einen deutlich stärkeren Cash-Bestand bei der OMV. Das sieht man daran, dass wir den Erwerb der Mehrheitsanteile von Borealis ohne große Schwierigkeiten stemmen können. Das ist unser Versprechen an die Finanzmärkte: Wir werden bis Ende dieses Jahres diese große Transaktion finanziell schon verdaut haben. Ich kann Ihnen versichern: Die Sorgen von 2015 habe ich nicht mehr.
Sie haben zur Hebung der Liquidität auch etliches Tafelsilber auf den Markt geworfen. Der Verkauf von Gas Connect, des Tankstellennetzes in Deutschland und des Upstream-Geschäfts in Kasachstan brachte rund eine Mrd. Euro. Bis Ende 2021 soll es ein zweites und ein drittes Veräußerungspaket geben. Mit derartigen Sondereffekten ist die Cash-Flow-Position bald saniert, oder?
Seele Die Bezeichnung Tafelsilber ist nicht zutreffend. Man kann nicht nur immer zukaufen, zukaufen und zukaufen. Die Bilanz der Investitionen sieht rückwirkend so aus, dass wir doppelt so viel für Akquisition ausgegeben haben, als wir für Devestition eingenommen haben. Als wir 2015 angefangen haben, das Portfolio der OMV umzubauen, haben wir uns in erster Linie aus Investitionsverpflichtungen herausgenommen.
Was ist an den aktuellen Verkaufsplänen anders als damals?
Seele Wir haben eine neue Definition von Kerngeschäft. Das Transportgeschäft mit Erdgas von der Gas Connect hat schwache Renditen und ist nicht länger im Zentrum unserer Aktivitäten. Jetzt schaffen wir Wachstum im Chemiebereich. Wenn wir auf die Forderung nach einem wesentlich klimafreundlicheren Geschäft nicht reagieren, werden es Politik und Gesellschaft für uns tun.
In Ihren ersten Jahren im Chefsessel der OMV setzten Sie auf das Gasgeschäft aus Russland. Jetzt forcieren Sie das Chemiegeschäft. Verträgt die OMV einen derartigen Zickzackkurs?
Seele Das ist kein Zickzackkurs. Das ist eine evolutive Weiterentwicklung der OMV. Wir haben in einer ersten Phase unser traditionelles Geschäft der Förderung von Öl und Gas weiterentwickelt: Der nächste Schritt war eine Expansion im Bereich der Raffinerien. Da gehen wir davon aus, dass Kraftstoffe zukünftig weniger gefragt sein werden. Die Transformation in Richtung Chemie ist die Antwort auf diese Entwicklung.
Der Einstieg in die Produktion der Polyolefine ist für die OMV nichts Neues. Das Hauptproblem, das die alte OMV hatte, waren die extrem oszillierenden Preise für PCD-Produkte. Holen Sie sich nicht ein hohes Quantum an Unberechenbarkeit ins Unternehmen?
Seele Nein. Im Gegenteil: Wir holen uns ein Quantum Stabilität ins Unternehmen. Alle meine Geschäftsbereiche haben eine gewisse Zyklizität. Sie dürfen nur nicht deckungsgleich sein. Die Borealis von heute ist ein vollkommen anderes Unternehmen. Es wurden über die Jahre mehrere Milliarden Euro in das Geschäft investiert.
Viele junge und einige ältere Menschen setzen sich bei Fridays for Future für eine klimafreundlichere Zukunft ein. Welchen Eindruck macht Greta Thunberg auf den CEO eines fossilen Energie- und Chemiekonzerns?
Seele Einer meiner Beweggründe, die OMV strategisch vom Ölverbrennen weg zuführen und hin zur Rohstoffveredelung zu bringen, war ein sehr intensiver Dialog mit Fridays for Future. Ich finde, es ist eine tolle Bewegung. Greta Thunberg stellt die richtigen Fragen: Wir müssen stärker auf sie und ihre Bewegung hören. Ich bin selber Vater von drei Kindern und ich möchte, dass sie eine lebenswerte Perspektive haben. Daher baue ich auf die nächste Generation. Ich glaube, wir haben eine Verpflichtung, uns auch als Bürgerinnen und Bürger in unserem Verhalten zu verändern, damit die junge Generation eine gute Zukunft hat.