Nahrungsmittelindustrie : Agrana-Chef Mühleisen: "Österreich könnte sofort Tonnen an Treibhausgas sparen"

Markus Mühleisen, CEO Agrana

Markus Mühleisen, CEO Agrana

- © WEKA Industrie Medien

Der Kampagnenbetrieb beim österreichischen Nahrungsmittel- und Stärkekonzerns Agrana hat begonnen. Unter Volldampf läuft derzeit die Verarbeitung von Zuckerrüben, Stärkekartoffeln und Mais an den heimischen Standorten. Im Dreischichtbetrieb wird bis tief in den Winter Zucker, aber auch Kartoffelstärke für Lebensmittel, die Papierindustrie, die pharmazeutische Industrie sowie der Treibstoffzusatz Bioethanol hergestellt. Der Herbst und der frühe Winter sind traditionell die arbeits- aber auch energieintensivste Periode für den Nahrungsmittelkonzern.

Der Gesamtenergiebedarf des Unternehmens an den Österreichischen Standorten liegt bei rund 2,75 Millionen Megawattstunden, wovon bisher gut die Hälfte mit Gas (1,5 Mio. MWh) und rund 16 Prozent mit Strom (440.000 MWh) gedeckt wurde. Um im Falle eines Gasengpasses gewappnet zu sein, hat man bereits zur Jahresmitte Teile der kritischen Produktion auf Heizöl Leicht umgestellt und sich Kontrakte für zehntausende Tonnen Heizöl-Leicht gesichert. Dass die Produktion wie derzeit jedoch auch langfristig auf Heizöl Leicht weiterläuft, schließt das Unternehmen aus.

Die stark gestiegenen Energiekosten und die Kosten für die Umstellung kann der Zuckerrüben-, Kartoffel- und Maisverarbeiter aufgrund der hohen Rohstoffpreise in fast allen Segementen weitergeben: Zwar hat das Unternehmen im Halbjahr aufgrund der Abschreibungen durch Wertminderungen im Ukraine Geschäft einen Verlust bilanziert, doch für das laufende Jahr rechnet Agrana Chef Markus Mühleisen nicht nur beim Umsatz, sondern vor allem auch beim Ergebnis mit deutlichen Steigerungen zum Vorjahr. Der stark gestiegenen Zuckerpreis – und der Rückenwind beim Benzinzusatz Bioethanol tragen zu den Ertragssteigerungen bei.

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"Wir könnten die Klimabilanz Österreichs umgehend verbessern."
Markus Mühleisen, CEO Agrana

INDUSTRIEMAGAZIN NEWS hat mit dem Agrana-Chef Markus Mühleisen über Verlust, Bioethanol und auch Produktinnovationen in den Geschäftsfeldern gesprochen:


INDUSTRIEMAGAZIN NEWS: Herr Mühleisen, Sie führen den Agrana Konzern seit nunmehr fast eineinhalb Jahren. Zum Amtsantritt im Juni 20 21 haben Sie einen Strategieprozess angestoßen, der in einzelnen Segmenten nach Zukunftspotenzial suchen soll. Was ist derzeit der Stand der Dinge?

Markus Mühleisen: Die Wurzeln der Agrana reichen ja über 100 Jahre zurück. Und wenn man sich jetzt die letzten 30 Jahre anschaut, seit es die „moderne“ Agrana gibt, da haben wir eine ganz tolle Entwicklung durchgemacht. Von der Konsolidierung des österreichischen Stärke- und Zuckermarktes bis hin zur Osterweiterung und dann die Diversifizierung in unserem Fruchtsegment. Und jetzt geht es darum, sozusagen zu schauen, wie wir das nächste Kapitel in der Entwicklung der Agrana aufschlagen.

Was wir dazu jetzt getan haben? Wir haben erst mal eine sehr umfangreiche Situationsanalyse gemacht und haben uns auch die langfristigen Trends angesehen. Was sind die großen Veränderungen die auf Agrana zukommen? Da sind wir sehr gut vorangekommen. Und wir haben jetzt ein relativ klares Bild eigentlich, wo wir hinwollen, aber wir sind noch mitten im Prozess.

Wir wären zu diesem Zeitpunkt gerne noch ein bisschen weiter, aber mit all den Krisen, ob jetzt nun Corona, Energie, Rohstoff oder Ukrainekrise, war das bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Und dazu natürlich auch noch die Verantwortung, die Versorgung für unsere Kunden sicherzustellen, haben wir bei der Strategieentwicklung jetzt nicht ganz den Fortschritt gemacht, den ich gern gesehen hätte.

IM NEWS: Was wären denn die Richtungen, in denen man im Bereich Geschäftsfelder und Synergien denkt?

Mühleisen: Wenn man sich Agrana heute anschaut, dann haben wir erst mal ein tolles Portfolio. Wir sind eigentlich sehr gut diversifiziert. Und es hat jetzt auch gerade bei diesen Krisen gezeigt, wo wir sehr gut durchgekommen sind. Diversifiziert sowohl mit unseren Technologien, aber auch diversifiziert im Sinne unserer Kunden. Also wir arbeiten sowohl mit den ganz, ganz großen globalen Spielern zusammen, aber auch in vielen Märkten mit den ganz, ganz kleinen Unternehmen und alles, was dazwischen ist, regionale Spieler.

Wir sind ja auch inzwischen in 26 Ländern weltweit mit eigenen Niederlassungen vertreten, haben 55 Werke auf der ganzen Welt. Und was wir sehen ist, dass sich da noch mehr Synergien, Potenziale zwischen diesen einzelnen Feldern ergeben können und gleichzeitig unsere Kunden eigentlich vermehrt noch nach Lösungen fragen. Gerade durch die Verwerfungen auf den Energie- und den Rohstoffmärkten fragen sich viele unserer Kunden, wo sie ihren Fokus hinlegen wollen. Und gleichzeitig brauchen Sie da stärkere Partner und da wollen wir helfen.

© Agrana

IM NEWS: Vom Thema Zukunft zur Gegenwart. Viele Industrieunternehmen leiden derzeit darunter, dass sie die hohen Energie und Rohstoffkosten nicht zur Gänze weitergeben können. Was bedeuten die hohen Preise für die Agrana?

Mühleisen:
Also ganz klar Agrana ist natürlich durch die hohen Energiepreise stark betroffen. Als energieintensives Unternehmen ist das ein ganz, ganz großer Teil unserer unsere Kosten. Wir haben dabei aber eben nicht nur das Thema Preise und Kosten im Blick, sondern eben auch sicherzustellen, dass wir jederzeit auch weiter produzieren können. Gerade jetzt im Herbst im Kampagnenbetrieb ist es sehr, sehr wichtig, dass wir also auch hier eine stabile und gute Energieversorgung haben.Deswegen haben wir auch sehr frühzeitig schon investiert in alternative Energieträger, um uns vorzubereiten. Gleichzeitig tun wir alles, was wir tun können, um noch effizienter, energieeffizienter zu werden und schauen auch, was wir vorziehen können an Investitionen in neue Technologien. Und das hilft uns auch dann, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

IM NEWS:
Als Sie vor einigen Wochen die Halbjahres-Bilanz da präsentiert haben, war vor allem der Verlust durch die Abschreibungen in der Ukraine ein Thema. Dabei ist fast untergegangen, dass sie heuer eigentlich sowohl vom Umsatz als auch vom Ertrag mit einem rekordverdächtig guten Gesamtjahr rechnen. Was erwarten Sie für die nächsten Monate?

Mühleisen:
Wir hatten in der Tat ein sehr gutes erstes Halbjahr mit dem starken operativen Ergebnis und erwarten jetzt ein etwas schwierigeres zweites Halbjahr. Einfach, weil sich die Rahmenbedingungen durch die hohe Inflation doch noch einmal weiter verschlechtert haben. Aber insgesamt sind wir gut aufgestellt und deswegen sind wir dann auch sehr positiv was die Jahres Prognose angeht.

IM NEWS:
Mit zum guten Ertrag trägt heuer auch ganz stark der Rückenwind aus der Bioethanol Produktion bei. Das ist ein Nebenprodukt aus der Stärke-Produktion das Benzin als E5 zu gemischt wird. Die Agrana produziert aktuell so viel Bioethanol, dass damit flächendeckend in ganz Österreich E10 eingeführt werden könnte. Wie sehr schmerzt Sie es als CEO eines Konzerns, der sich dem Standort verpflichtet fühlt, dass in Österreich noch immer kein E10 eingeführt wurde?

Mühleisen:
Das schmerzt schon sehr lange am Ende des Tages. Also man hat ja eigentlich eine Lösung, die hier für alle Seiten gut wäre. Mehr Nachhaltigkeit, mehr Versorgungssicherheit für Österreich und wir haben eine integrierte Stärke-Fabrik in Pischelsdorf, die auch E10 produziert und ist auch ein tolles Beispiel für Wertschöpfung und Kreislaufwirtschaft hier in Österreich.Ich verstehe nicht ganz, warum man etwas, was eigentlich rundum Sinn macht, wo es keine vernünftigen Argumente dagegen gibt, nicht umsetzt. Es fehlt offensichtlich ein etwas an politischem Willen. Es steht ja eigentlich auch im Regierungsprogramm drin, aber aus ideologischen Gründen wird es einfach nicht umgesetzt.Um es konkreter zu machen: Also wir haben genügend Kapazität, um ganz Österreich hier mit E10 zu versorgen. Momentan exportieren wir aber über 60 % unserer Produktion ins Ausland und dadurch entgeht Österreich eigentlich ein Einsparungseffekt von über 200.000 Tonnen Treibhausgasen. Das könnte man auf Knopfdruck für Österreich realisieren. Das wäre eine ganz konkrete Maßnahme, wie man sofort die Klimabilanz verbessern könnte.

Die gesamte Folge der Industriemagazin News vom 23.11.2022 sehen Sie HIER.

Produktinnovationen als wichtiges Differenzierungsmerkmal

Der Nahrungsmittel- und Stärkekonzern arbeitet intensiv an der Forschung und Weiterentwicklung der Produkte in allen Segmenten. Man versuche sich immer mehr den aktuellen Konsumentenbedürfnissen anzupassen und zum Beispiel auch neue Zuckersorten auf den Markt zu bringen.

Eine Marktneuheit bei den Joghurts sind die ersten palmöl-freien, biologischen Kakaobutter-Crunchies. Im Fruchtzubereitsungsbereich sehe man großes Potenzial bei Mischungen für pflanzenbasierte Joghurts.

Besonders spannend entwickelt sich aber auch gerade das Segment Stärke, in dem Agrana Rohstoffe wie Mais, Kartoffeln und Weizen zu unterschiedlichsten Produkten für die Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie und weitere unzählige technische Anwendungen veredelt. Aktuelle Themen sind hier beispielsweise die Entwicklungen von speziellen Stärken für den Einsatz als Latexersatz bei der Herstellung von gestrichenen, graphischen Papieren oder die Herstellung von „Green Glues“ als Alternative zu synthetischen Klebstoffen.

Eine weitere Entwicklung von Agrana ist ein aus Maisstärke hergestellter Bio-Kunststoff, der zu 50 Prozent aus thermoplastischer Stärke besteht und im Heimkompost bis auf den letzten Bestandteil, ohne jegliche Mikroplastikrückstände, abbaubar ist.