Automatisierung und Lean Management : Produzieren in Europa – aber richtig: Mit Automatisierung und Lean Management zur Industrie-Zukunft

Dr. Titanilla Komenda-Haring, Fraunhofer Austria
- © Fraunhofer AustriaWollen wir in Europa wieder wettbewerbsfähig produzieren oder weiter Ausreden suchen? Fakt ist: Wer jetzt nicht automatisiert, wird ersetzt. Nicht durch andere Firmen, sondern durch Länder, die es tun.
Seit den von US-Präsident Trump eingeführten Zollregelungen ist eine altbekannte Diskussion wieder voll entfacht: Man wünscht sich mehr Produktion in Europa und mehr Unabhängigkeit von Importen. Die Diskussionen über Rückverlagerung der Produktion nach Europa sind nicht neu. Die Problematiken sind alt und bekannt – zu teuer, zu wenig Personal, zu bürokratisch. Sie sind immer dieselben und trotzdem passiert erschreckend wenig. Wie viele Produktionslinien sind tatsächlich zurückgekehrt? Die Antwort ist ernüchternd.
>>> Frisches Denken ist gefragt: Produzieren in Zeiten von volatilen globalen Machtverhältnissen
Die Wahrheit ist: Wer heute nicht konsequent automatisiert, digitalisiert und neu denkt, wird morgen nicht mehr produzieren – egal, in welchem Land. Aus meiner Sicht lautet also die Antwort auf die Frage „Produktion nach Europa holen?“ ganz grundsätzlich und unabhängig von der aktuellen politischen Situation: „Ja, auf jeden Fall!“
Nie mehr die wichtigsten News aus Österreichs Industrie verpassen? Abonnieren Sie unser Daily Briefing: Was in der Industrie wichtig wird. Täglich um 7 Uhr in ihrer Inbox. Hier geht’s zur Anmeldung!
Automatisierung und Lean Management: Warum Europas Industrie Mut braucht
Es gibt längst Wege, wie wir in Europa wettbewerbsfähig produzieren können. Sie erfordern Mut – nicht Magie. Hier ist der Plan.
>>> Automatisierungstechnik: Die wichtigsten Trends der Smart Automation 2025
Ich beschäftige mich bei Fraunhofer Austria seit vielen Jahren damit, europäische Produktionsbetriebe schlanker, effizienter und somit heimische Produkte günstiger und Europa dadurch ein bisschen unabhängiger zu machen. Automatisierung und Lean Management sind hierbei zwei Dinge, um die man nicht herumkommen wird. Führt man sich vor Augen, dass asiatische Länder eine höhere Roboterdichte haben als Europa, obwohl die Lohnkosten dort deutlich niedriger sind, so wird schnell klar, dass der Aufholbedarf enorm ist. Laut dem letztjährigen Bericht der International Federation of Robotics (IFR) ist Südkorea mit 1.012 Robotern pro 10.000 Industriebeschäftigten weltweit führend, gefolgt von Singapur mit 770, China auf Platz drei mit 470 und erst dann folgt Deutschland mit 429 Robotereinheiten pro 10.000 Beschäftigten. Der Durchschnitt der EU liegt sogar nur bei 219. Ergibt das in Anbetracht der Lohnniveaus und des Wunsches, in Europa produzieren zu wollen, Sinn? Definitiv nicht.
Wenn wir in Österreich seit Jahren wissen, wie Automatisierung, Lean und Digitalisierung funktionieren – warum sind wir dann immer noch im Rückstand? Die Antwort ist unangenehm: Es fehlt an Konsequenz in der Umsetzung und an strategischem Investitionsmut.
Wettbewerbsfähig – aber wie?
Wir müssen aufhören, uns im Kreis zu drehen und stattdessen beginnen, radikal anders zu denken und gezielt zu handeln. Es braucht systemische, taktische und operative Maßnahmen – gleichzeitig.
1. Kosten sind kein Argument mehr.
Wenn Länder mit deutlich niedrigeren Löhnen massiv in Automatisierung investieren, ist ganz klar, dass unsere Zurückhaltung hausgemacht ist. Wer in Europa wirtschaftlich produzieren will, muss Prozesse radikal entschlacken und automatisieren. Ein realistischer Handlungsplan beginnt so: Lean-Optimierung mit dem Ziel einer 30 %-igen Produktivitätssteigerung – bevor überhaupt von Rückverlagerung gesprochen werden kann. Und jede Neuinvestition muss mindestens einen Automatisierungsgrad von 70 % aufweisen, z. B. durch Cobots oder modulare Fertigungszellen. Dasselbe gilt übrigens auch für digitale Geschäftsprozesse.
2. Systemische Hürden lassen sich gestalten.
Statt weiter über Energiepreise zu klagen, brauchen wir neue Standortkonzepte, wie Mikrofabriken an strategischen Standorten in Europa – vernetzt mit lokaler Zulieferkette, Recyclingströmen und eigener Energieversorgung. Kreislaufwirtschaft statt Rohstoffimport. Industrielle Skalierung gelingt nur mit wirtschaftlich nutzbarer Rohstoffrückgewinnung. Förderprojekte für diese Themen müssen nicht nur angesucht, sondern aktiv zur Umsetzung gebracht werden. Geschäftsmodelle müssen hierzu entwickelt und neu gedacht werden – also bspw. Shared Factory oder Pay-per-Use-Modelle.
3. Arbeitskräfte werden kommen, wenn wir ihnen passende Modelle bieten.
Es stimmt: Menschen wollen heute anders arbeiten – flexibler, sinnerfüllter, familienfreundlicher. Aber: 4-Tage-Woche oder Zehnteldienste funktionieren nur, wenn Prozesse vorher automatisiert, digitalisiert und gestrafft wurden. Konkret könnte das bedeuten: 2-Schicht-System mit Automatisierung nachts und am Wochenende, eine Kombination aus Zehnteldiensten, Zeitkonten und 4-Tage-Woche sowie eine smarte Schichtplanung und Aufgabenrotation.
4. Lieferkettennähe und Kundennähe sind ein unterschätzter Mehrwert.
Produktion in Europa ist nicht nur eine Kostenfrage – sie ist ein strategischer Vorteil. Sie halbiert Lieferzeiten, reduziert Lagerbestände, realisiert Just-in-time und Last-Minute-Änderungen und sichert Prozesswissen in Europa.
Produktionsrückverlagerung kann gelingen – mit radikaler Prozessoptimierung, Mut zur Automatisierung sowie einem Neudenken von Standort, Energie und Personal.
Ein Test: Wie weit ist mein Unternehmen schon?
Um zu ermitteln, wie weit das eigene Unternehmen schon fortgeschritten ist und ob Handlungsbedarf in Richtung Automatisierung und Lean Management besteht, kann man sich folgende Fragen stellen:
- Stammen mehr als 15% des Umsatzes aus der Produktion der letzten drei Jahre?
- Haben wir mehr als 2 strategische Beschaffungsalternativen je kritischem Rohstoff?
- Treffen wir Make-or-Buy-Entscheidungen quartalsweise datenbasiert?
- Kennen wir OEE pro Linie täglich?
- Liegt unsere Rüstzeit unter 20 %?
- Gibt es ein Null-Ausschuss-Programm?
- Haben wir schon evaluiert, ob Cobots uns einen Vorteil bringen?
- Ist die Abwesenheitsquote unter 1,5 %?
- Ist die Fluktuation unter 7 %?
- Werden jährlich mehr als 40 h pro Mitarbeiter an Weiterbildung genutzt?
- Bieten wir flexible Schichtmodelle?
- Sind wir in einer EU-Community oder einem Unternehmensnetzwerk aktiv?
Wer weniger als drei Fragen mit „nein“ beantworten muss, führt ein Unternehmen in Topform. Vier bis fünf „Nein“-Antworten zeigen Handlungsbedarf, und mit mehr als fünf „nein“ ist dringender Bedarf zur Veränderung gegeben.
Wer diese Fragen ernst nimmt, braucht keine neue PowerPoint, sondern einen Partner, der Prozesse wirklich verändert. Genau hier setzen wir bei Fraunhofer Austria an – mit erprobten Methoden, praxistauglicher Umsetzung und dem klaren Fokus auf Wertschöpfung.