Industriekongress 2022 : Klimakrise: Wie erfinderisch macht die Not?

Hans Joachim Schellnhuber, Monika Köppl-Turyna, Karlheinz Wex, Karin Exner-Wöhrer

Nur eine Auswahl der hochkarätigen Speakerinnen und Speaker des Industriekongresses am 23. Juni: Hans Joachim Schellnhuber, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Monika Köppl-Turyna, EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung, Karlheinz Wex, Vorstandssprecher Plansee Group und Karin Exner-Wöhrer, CEO Salzburger Aluminium Group

- © IM Grafik; Markus Rössle / OTS; Monika Skolimowska / dpa / picturedesk.com; beigestellt

Klimaforschung ist vielfältig. Jedes Jahr veröffentlichen Forschende aus den verschiedensten Fachrichtungen eine Vielzahl an neuen und weiterführenden Erkenntnissen zu den komplexen Zusammenhängen von Klima, Wetter und Biosphäre. Den Überblick zu behalten, fällt nicht immer leicht. Erst recht nicht für die Unternehmenslenker, die als wesentlicher Akteure der allerorts apostrophierten Energiewende weit in die Zukunft reichende Investitionsentscheidungen treffen sollen.

Als profunder „Übersetzer“ der wissenschaftlichen Evidenz tritt für den Themenblock „New Global Landscape: Jahrhundertchance für Klima und Industrie“ mit dem deutschen Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber einer der weltweit renommiertesten Klimaexperten als Keynote-Speaker aufs Podium des Industriekongresses am 23. Juni in Wien, dem Gipfeltreffen der Industrie. Schellnhuber ist einer der Begründer und Vordenker der interdisziplinären Klima- und Klimafolgenforschung. Wenn die neuen globalen Warenströme fossile Energie in Europa verknappen und ein Krieg sie deutlich verteuert, dann sieht Schellnhuber darin eben auch eine Jahrhundertchance. Er ist sich sicher: „Wie schon so oft in der Geschichte wird diese Knappheit zur Initialzündung für Innovationen.“

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Die akute Klimakrise hat das weltweite Bewusstsein dafür geschärft, dass das konventionelle industrielle Wirtschaftsmodell an die planetaren Grenzen stößt, sagt Schellnhuber. „Dieses Modell setzt auf immerwährendes exponentielles Wachstum durch Extraktion von mineralischen Ressourcen und nahezu kostenlose Abfallentsorgung in die Umweltallmende. Aber die nachgefragten Ressourcen – Öl, strategische Metalle, Sand usw. – gehen zur Neige und die Müllsenken der Erde – Atmosphäre, Böden, Ozeane usw. – laufen voll. Deshalb muss im 21. Jahrhundert der Übergang zu einer digitalen bio-basierten Kreislaufwirtschaft gelingen, wenn zehn Milliarden Menschen ein gutes Leben haben sollen.“

Hans Joachim Schellnhuber Director of the Potsdam Institute for Climate Impact Research
„Die Zeit zu handeln ist jetzt.“ Hans Joachim Schellnhuber, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) - © Christoph Soeder / dpa / picturedesk.com

Spannungsfeld.

Doch wie adressiert man den Paradigmenwechsel? Wie erfüllt man beispielsweise den „European Green Deal“ mit Leben? Was muss konkret zur Transformation getan werden? In der Theorie ist vieles denkbar, aus heutiger Sicht realistisch sind freilich Umsetzungen Schritt für Schritt. In Reutte in Tirol sieht das zum Beispiel so aus: „Derzeit läutet die Plansee Group einen Paradigmenwechsel ein“, erklärt Plansee-Vorstandssprecher Karlheinz Wex und mit Gerald Grohmann, Vorstandsvorsitzender Schoeller Bleckmann Oilfield Equipment, einer der Panel-Teilnehmer: „Seit 20 Jahren wird bei uns Wasserstoff überwiegend aus Erdgas erzeugt. Wasserstoff wird in mehreren wesentlichen Produktionsschritten als Prozessgas benötigt. Zukünftig soll Wasserstoff vorwiegend über die Elektrolyse aus grünem Strom gewonnen werden. Damit könnte nach internen Berechnungen der CO2-Fußabdruck in der Gruppe um rund 30 Prozent gesenkt werden", sagt Wex.

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Karlheinz Wex, Vorstandssprecher Plansee Group
„Es braucht die notwendigen Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige grüne Energieversorgung.“ Karlheinz Wex, Vorstandssprecher Plansee Group - © Plansee

Die Plansee Group fertigt seit über 100 Jahren Produkte aus den beiden Werkstoffen Molybdän und Wolfram. Wex: „Unser Auftrag ist es, mit diesen vergleichsweise energieintensiv hergestellten Werkstoffen (neue) Hightech-Anwendungen zu ermöglichen und Spitzenleistungen in allen Stufen unserer Wertschöpfung zu erzielen. Im Spannungsfeld zwischen dem erforderlichen Energieeinsatz in der Produktion und der Leistungsfähigkeit unserer Werkzeuge und Produkte in Herstellprozessen und Endanwendungen im Vergleich zu Konkurrenzwerkstoffen schaffen wir Transparenz für unsere Kunden und ermöglichen Entscheidungen zugunsten der effizientesten Lösung. Unser CO2-Fußabdruck wird sowohl für alle Produktionsstandorte als auch für einzelne Produkte und Produktgruppen ermittelt.“

Weitere Hebel bei der Plansee Group sind die Steigerung des Recyclinganteils – der größte CO2-Anteil an Wolframprodukten entsteht in den Verarbeitungsschritten vom Erz bis zum Metallpulver –, die Erhöhung der Materialeffizienz, bedeutet weniger Energieverbrauch, wenn Produkte fehlerfrei produziert werden, und laufende Prozessverbesserungen zur Optimierung des Energieeinsatzes. Klar ist, bei allen internen Anstrengungen, für den studierten Handelswissenschafter und Technischen Physiker: „Aufgrund der Energiemengen, die auch künftig in der industriellen Produktion benötigt werden, fordern wir die Politik auf, die notwendigen Rahmenbedingungen für eine sichere, wettbewerbsfähige und nachhaltige (grüne) Energieversorgung zu schaffen.“

Gerald Grohmann
Speaker der Paneldiskussion „New Global Landscape: Jahrhundertchance für Klima und Industrie: Gerald Grohmann, Vorstandsvorsitzender Schoeller Bleckmann Oilfield Equipment - © www.christianjungwirth.com

Flüssiger Wasserstoff.

Auch für eine andere Panel-Diskutantin, Karin Exner-Wöhrer, die Vorsitzende des Vorstandes der Salzburger Aluminium Group (SAG), führt kein Weg an Wasserstoff vorbei: „Ich bin überzeugt, dass Wasserstoff und grüne Energie das Powercouple in der Energiewende sind. Wir als SAG sind daher schon sehr weit fortgeschritten in der Entwicklung eines effizienten Kryo-Speichersystems für flüssigen Wasserstoff. Wir sind nämlich überzeugt, dass LH2 als Treibstoff schon in naher Zukunft eine Schlüsselrolle – vor allem auf der Langstrecke – einnehmen wird. Die ersten Prototypen sind bereits fertig. Was dringend noch in Angriff genommen werden muss, ist ein europaweites Netz an Wasserstoff-Tankstellen. Da muss jetzt rasch gehandelt werden. Pläne gibt es auch in Hinblick auf die Wasserstoffproduktion.“

Die Ziele seien vorgegeben, zählt Exner-Wöhrer auf: Die EU wolle laut ihres Plans „RepowerEU“ bis 2030 rund zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs selbst produzieren und damit jährlich 25 bis 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas ersetzen – das entspricht 16 bis 30 Prozent der 155 Milliarden Kubikmeter, die die EU zuletzt importierte. „Grüner Wasserstoff bietet ein enormes Potenzial für die Klimaneutralität. Und die aktuelle geopolitische Lage hat die Dringlichkeit des Ausstiegs aus Öl und Gas nochmal verstärkt“, fasst die Salzburger Unternehmerin zusammen.

Karin Exner-Wöhrer, CEO Salzburger Aluminium Group
„Die aktuelle geopolitische Lage hat die Dringlichkeit des Ausstiegs aus Öl und Gas nochmal verstärkt.“ Karin Exner-Wöhrer, CEO Salzburger Aluminium Group - © Lukas Ilgner / Verlagsgruppe News / picturedesk.com

Zu den Forschungsschwerpunkten von Monika Köppl-Turyna - sie ist Sprecherin der Paneldiskussion: Wandel durch Handel? Warum werden sowohl Russland als auch China autokratischer regiert als zuvor." - zählen Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie.

Im aktuellen Ranking 2021 von Presse/FAZ/NZZ belegt Rang 5 der einflussreichsten Ökonominnen und Ökonomen in Österreich. Frage an die Direktorin des Institut für Wirtschaftsforschung EcoAustria und Impulsgeberin im Klimarat der Bürgerinnen und Bürger: Ist die Wirtschaft bereit für die von Wissenschaft und Politik geforderten, teils gravierenden Veränderungen? „Die Wirtschaft ist bereit. Aber man muss ihr manchmal das Leben einfacher machen.“ Womit wir unausgesprochen mitten in der,. manchmal eben mühsamen österreichischen Wirklichkeit gelandet sind. Photovoltaik, Wasserkraft und Windkraft sind die drei wichtigsten Hebel, um die für 2030 definierten Klimaziele zu erreichen. „Dazu müssten Genehmigungsverfahren – gemessen an der bisherigen Geschwindigkeit – dreimal so schnell abgewickelt werden“, sagt Köppl-Turyna. Das größte Problem sei der Föderalismus, weil ein Bundesgesetz nicht in die Kompetenzen der Länder und Gemeinden eingreifen kann, wo bestimmte Verfahren oder auch die Flächenwidmung angesiedelt sind.

„Die zweite Voraussetzung ist Innovation“, erklärt die Ökonomin. „Sie werden immer noch ein bisschen unterschätzt. Es muss viel mehr passieren, dass wir neue Technologien entwickeln. Da kann man vor allem durch mehr Kombinationen von privatem und öffentlichem Geld und richtigen Rahmen arbeiten. Das Erste, was in diesem Kontext wichtig ist: Das muss nicht alles der Staat finanzieren. Es ist genau so wichtig, dass wir Privatgeldgeber animieren.“ Auch dazu brauche es Anreize und Wertschätzung. Global bewege sich hier einiges: „Noch nie wurde weltweit so viel Risikokapital für grünes Investment privat aufgebracht wie im vergangenen Jahr.“

Bei jeder Maßnahme sei zu überlegen, ob diese womöglich den Weg zur Dekarbonisierung verhindert. Mit „ausschließlich supergrün“ drohe die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Entweder-oder-Vorschriften für die Wirtschaft seien ein Schuss nach hinten, „weil dann müssen manche abschalten und das kann es nicht sein. Es muss auch möglich sein, sich über bestehende Technologien zu verändern, zu dekarbonisieren.“

Monika Köppl-Turyna, EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung
Speakerin der Paneldiskussion: Wandel durch Handel?: Monika Köppl-Turyna, EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung - © Markus Rössle / OTS

Bleibt als Gretchenfrage: Wird das alles ausreichen oder sind wir nicht recht am Erfindung-des-Fahrrades-als-nach-Hungersnot-1817-die-Pferde-starben-Moment angelangt? „Ich hoffe doch, dass wir weiterkommen mit der menschlichen Kreativität, als mit unseren heutigen Vorstellungen, dass wir noch zusätzliche, neue Technologien finden werden“, sagt die EcoAustria-Direktorin. „Wenn wir allein diese 27 TWh in Österreich bis 2030 ausbauen, dann ist das nur die elektrische Energie – wir werden künftig jedoch noch mehr ersetzen müssen mit grünen Technologien.“

Auf einer Unterseite des Deutschen Umweltbundesamtes stehen aktuell über 3000 (dreitausend!) Publikationen zu Forschungsergebnissen und Best-Practice-Beispielen zu Umwelttechnologien „made in Germany“ komplett und recht verständlich bereit. Von Abfallwirtschaft über Luftreinhaltung und nachhaltige Mobilität bis hin zum Klimaschutz reicht die Themenvielfalt und, betont das Umweltbundesamt: „Alle hier präsentierten technischen Verfahren und Lösungen sind von unabhängiger Stelle geprüft.“ Schon ihre schiere Zahl zeigt: Die einfachen Antworten auf die drängenden Fragen gibt es so schnell nicht.

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