Digitaler Wandel : Voestalpine-Divisionschef Franz Rotter: "Technologie für die nächsten Dekaden"

Voestalpine-Divisionschef Franz Rotter im Office
© Voestalpine

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Rotter, mit der Rückkehr in die Gewinnzone im gerade abgeschlossenen Geschäftsjahr hat die Voestalpine trotz COVID-Krise durchaus erfreuliche Zahlen vorgelegt - auch dank der die High Performance Metals Division. Welche Rolle spielten Prozessautomatisierung und Digitalisierung in der Krisenbewältigung?

Franz Rotter: Die stetige Prozessoptimierung und der Einsatz von Automatisierungstechnik trugen sicherlich auch ihren Teil dazu bei, nun positiv Bilanz ziehen zu können. Allerdings, nicht der beste Algorithmus und kein noch so gutes Vorhersagemodell konnte mit einer so gravierend krisenhaften Marktsituation rechnen, wie wir sie nach Ausbruch der Pandemie vorfanden. Dennoch ist die Trendwende zum Ende des ersten Quartals in den meisten Industriesegmenten gelungen. Insbesondere im sehr wichtigen Werkzeugstahlbereich konnten wir im Laufe des Geschäftsjahres vom Aufschwung der Automobilindustrie profitieren.

2018 öffnete am Standort Kapfenberg ein Kompetenzzentrum für Digitalisierung. Im heurigen April wurde dieses in eine eigene Gesellschaft, die Voestalpine High Performance Metals Digital Solutions GmbH, überführt. Was bewog Sie zu dem Schritt?

Rotter: Wir sehen dies als logischen nächsten Schritt auf unserer digitalen Reise. Vor fünf Jahren implementierten wir an sieben Produktions- und über 140 Vertriebs- und Bearbeitungsstandorten in unserer Division Leitsätze der digitalen Transformation, ernannten einen CDO, setzten in unserer Digital Academy neue Akzente in der Mitarbeiterausbildung und schufen innovative digitale Lösungen in globalen Prozessnetzwerken, etwa für unsere über einhundert Wärmebehandlungsanlagen. Digitalisierung wird nun noch stärker zum Wettbewerbsfaktor. Diese Kompetenz müssen wir ausbauen.

Apropos Verbund: Der Start des neuen Edelstahlwerks in Kapfenberg verzögert sich ins Jahr 2022 - auch wegen Lieferverzögerungen bei Anlagenlieferanten. Was heißt das für die digitale Datenlandschaft der Division?

Rotter: Diese Verzögerung hat keine Auswirkung auf unsere Digitalisierungsstrategie im Gesamten. Wir haben in Kapfenberg ein bestehendes Edelstahlwerk, das hocheffizient läuft und die Materialversorgung bis zum Start des neuen Werks in bewährt hoher Qualität sicherstellt. Wir wollen einen lückenlosen Übergang zum neuen Werk, darin stecken Unmengen an Innovation. Es geht hier um nichts weniger als Technologien für die nächsten Dekaden, auch was die Verarbeitung von vernetzten Daten betrifft.

Wie ist das Team Ihrer neuen Digitaleinheit organisiert?

Rotter: Momentan sind es zwölf Digitalisierungsexperten, die in dieser Gesellschaft tätig sind. Divisionsweit haben wir 70 Leute, die zu 100 % an Digitalisierungsthemen arbeiten und diese vorantreiben. Und wir haben mittlerweile hundert Mitarbeiter zu digitalen Botschaftern ausgebildet. Experten aus der ganzen Welt, ein hochagiles, schlagkräftiges Netzwerk.

Wo legen Sie zum Auftakt den Fokus?

Rotter: Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Standorte durch operationelle Exzellenz und die Vernetzung von Anlagen zu erhöhen ist sicher ein Treiber. Doch nur auf die Produktion zu schauen wäre zu kurz gedacht. Digitalisierung reicht ebenso in administrative Prozesse oder den Vertrieb, der Kunden digital künftig noch viel stärker über Webshops oder B2B-Plattformen binden kann. Hier ist schon ein Riesenschritt geschafft. Doch eine komplett digitalisierte Interaktion schließt immer neue Lösungen ein.

Stahlhändler experimentieren mit Kapazitätsbörsen und Vertriebs- und Serviceplattformen. Wird auch in der Voestalpine ein solches Software-Monument entstehen?

Rotter: Der Leitsatz "one fits all" für alle Industriesegmente und Märkte wäre völlig verkehrt. Natürlich existieren Standards, aber in der Regel ist unser Zugang schon der, auf Einzelkunden zuzugehen und individuelle Lösungen zu schaffen.

Der Bereich Werkzeugstahl trägt rund 50 Prozent zum Gesamtumsatz Ihrer Division bei. Als Werkstoffspezialist beschäftigen Sie sich auch mit ganz neuen Geschäftslogiken, etwa dem 3D-Druck. Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Rotter: Eine sehr vielversprechende Anwendung dieses zukunftsweisenden Produktionsverfahrens finden wir zum Beispiel im Druckguss. Bei Werkzeugen für Druckgussanwendungen können wir schon heute mittels 3D-Druck oberflächennahe Kühlkanäle anfertigen und die Prozessparameter dann auch noch sensorbasiert überwachen. Da sind wir mittendrin.

Wo steht man beim Zukunftsfeld KI?

Rotter: Unsere Data Scientists erarbeiten für unsere Produktionswerke aktuell einen sogenannten „Data Lake“, auf dessen Basis Schlüsse für die Optimierung unserer Prozessabläufe gezogen werden. Hier rüsten wir massiv auf. Im ersten Schritt schließt das die Algorithmik und das Strukturieren der Daten ein. Weltweit haben wir beispielsweise bereits einen Teil unserer 1.400 Sägen vernetzt. Großanlagen, die dank KI nun in der Lage sind, mit den besten Parametern zu fahren.

Wie ergeht es Unternehmen eigentlich bei der Verschränkung klassischer Methoden der Lean-Fertigung und jener der Digitalisierung? Tun sich Gräben auf?

Rotter: Im Gegenteil. Ich wage die fundamentale Hypothese, dass Lean-Konzepte erst die Basis für eine erfolgreiche digitale Transformation schaffen. Eine gute Lean-Umsetzung ist nunmal hochgradig datengetrieben. Ohne einer solchen bleibt auch die digitale Transformation bloßes Bestreben.

ZUR PERSON

Franz Rotter, 63

ist seit 2011 Vorstandsmitglied der Voestalpine AG und Leiter der High Performance Metals Division. Nach seinem Studium für Montanmaschinenwesen an der Montanuniversität Leoben begann Rotter seine berufliche Laufbahn 1981 bei der Voestalpine in Zeltweg. Er durchlief verschiedene leitende Positionen innerhalb des Konzerns, war Vorstand unter anderem bei der Austria Metall AG und Böhler-Uddeholm. In den Verantwortungsbereich seiner Division fällt auch der Bau des weltweit modernsten Edelstahlwerks in Kapfenberg, das Mitte 2022 den Betrieb aufnehmen soll.