Standort : Industrie in Niederösterreich: Standort zeigt Flagge

Austrotherm Produktion

Austrotherm-Produktion: Niederösterreichs Unternehmen stemmen sich erfolgreich gegen die Krise

- © Austrotherm, honorarfrei. / OTS

Jedes Ding hat bekanntlich zwei Seiten. Die Pandemie haben wir einigermaßen in den Griff bekommen, dafür endet allerdings auch die coronabedingte Sonderkonjunktur. Dem Gummi- und Kautschukkonzern Semperit mit seinem Stammwerk in Wimpassing im Industrieviertel bescherte das wie erwartet weniger Gewinn im ersten Quartal. Nach Steuern fiel er um 81,8 Prozent auf 15,5 Mio. Euro. Noch liegen die Verkaufspreise mit medizinischen Schutzprodukten über dem Vor-Corona-Niveau, sinken aber im Vergleich zu den Vorperioden weiter. Wäre Russland nicht in die Ukraine einmarschiert, hätte es auch für Semperit vermutlich ein gutes Jahr wie früher gegeben.

Teuerungswelle.


Wolfgang Ecker, vor zwei Jahren als neuer Präsident der Wirtschaftskammer in den Pandemiebeginn „hineingeboren“, auf die Frage, ob Corona oder der Ukrainekrieg den Wirtschaftsstandort Niederösterreich stärker treffen wird? „Wenn alles kommt, was kommen könnte, sind die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine schlimmer als die Pandemie“, sagte er in einem Interview, aber im Vergleich „sind (jetzt) die produzierende Industrie und das produzierende Gewerbe viel stärker als in der Pandemie betroffen“.

Nehmen wir ein Beispiel, das in Niederösterreich industriell hergestellt wird und in der gesamten Industrie millionenfach gebraucht wird. Paletten. 90 Prozent des sogenannten Drahtstahls, aus dem die für Paletten genutzten Nägel gemacht werden, kommen aus Russland. Florian Wieser von Wieserholz in Seitenstetten braucht zwischen 50 bis 70 Tonnen Nägel im Jahr. Aber auch die fertige Holz-Palettenware aus der Ukraine wird knapp. Der Preis einer Europalette habe sich seit 2019 von knapp 10 Euro auf derzeit etwa 25 Euro erhöht, sagt Wieser.


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Hatte die Industrie im Vorjahr noch das Wirtschaftswachstum in Niederösterreich getrieben – laut WIFO im ersten Halbjahr um fünf Prozent, der Wert der abgesetzten Produktion stieg sogar um 23,3 Prozent –, überwiegt momentan der Pessimismus in der nö. Industrie. Trotz guter Auftragslage. Das aktuelle Konjunkturbarometer der Industriellenvereinigung (IV), mit dem das Geschäftsklima als Mittelwert zwischen der Beurteilung der aktuellen und der Geschäftslage in sechs Monaten erfasst wird, ist im ersten Quartal von plus 25,5 auf minus 8,0 Punkte gesunken. IV-NÖ-Geschäftsführerin Michaela Roither: „Der „Konjunkturaufschwung ist vorbei.“ Ihr Präsident Thomas Salzer betont, nachdem die IV vom vom Industriewissenschaftlichen Institut IWI in einer Studie 31 Leitbetriebe und ihre vielfältigen Bedeutungen definieren hat lassen, dass gerade sie eine „tragende Rolle beim Weg aus der Krise“ haben werden. Studienautor Herwig W. Schneider: „Diese Unternehmen haben in der gesamten österreichischen Wirtschaft signifikante Hebelwirkungen: Ein Euro an Produktionswert dieser Leitbetriebe generiert 2,11 Euro an Produktionswert in ganz Österreich. Bei einem Euro Wertschöpfung entsteht eine gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung von 2,34 Euro. Und durch jedes Beschäftigungsverhältnis in diesen Leitbetrieben werden in Österreich insgesamt 2,46 Arbeitsplätze geschaffen.“ Von diesen 31 Unternehmen von A wie Austrian bis Z wie ZKW Group hängen direkt 83.000 Arbeitsplätze ab. Ihre kumulierte Wertschöpfung beträgt 7,6 Milliarden Euro.


Industrie-Player.

Das flächenmäßig größte Bundesland hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten im kollektiven Industrie-Bewusstsein enorm zugelegt. Die jüngste Erfolgsmeldung betraf den Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Er baut in Bruck an der Leitha für rund 1,2 Mrd. Euro eine neue Anlage für die Herstellung von biopharmazeutischen Arzneimitteln. Mehr als 800 neue Arbeitsplätze sind geplant. Als alternativer Standort war Hornstein im Burgenland geprüft, dann aber verworfen worden.

Im vergangenen Jahr konnte Niederösterreich 31 Neuansiedlungen internationaler Unternehmen verbuchen. Das geht aus der Bilanz der österreichischen Standortagentur Austrian Business Agency (ABA) hervor. Wirtschaftslandesrat Jochen Danninger versteht es, das in zur Zeit passende Worte zu kleiden: „Gerade in Krisenzeiten setzen viele internationale Unternehmen bei der Standortsuche ganz besonders auf Stabilität, Kontinuität und Verlässlichkeit und hier spielt Niederösterreich in der obersten Liga.“ In Niederösterreich arbeitet die ABA dabei eng mit Ecoplus, der Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich, zusammen. Gemeinsame Projekt sind etwa die Ansiedlungen des Hygieneartikel-Großhändlers Arndt Handels GmbH in Wiener Neudorf oder auch der Josephinenhütte, eines deutschen Spezialisten für mundgeblasene Kristallgläser, in Brand-Nagelberg. Als weiteres Highlight setzt Microsoft erste Standorte der geplanten Datencenter Region in Niederösterreich um. Ecoplus-Geschäftsführer Helmut Miernicki:

„Insgesamt wurden im Vorjahr im Bereich Standort & Service 102 Projekte erfolgreich betreut. Damit konnten rund 1700 Arbeitsplätze geschaffen bzw. abgesichert werden. Das ist der beste Wert an Arbeitsplätzen seit sechs Jahren. Auch für heuer zeigt sich anhand der Standortanfragen, dass das Interesse an einem Unternehmensstandort in Niederösterreich bei in- und ausländischen Betrieben ungebrochen groß ist.“

Wolfgang Ecker, Präsident der Wirtschaftskammer Niederösterreich
"Wenn alles kommt, was kommen könnte, sind die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine schlimmer als die Pandemie." Wolfgang Ecker, Präsident der Wirtschaftskammer Niederösterreich, in einem Interview - © Philipp Monihart
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Österreichische Industrieunternehmen im Ausland

Und weil es auch hierbei immer eine zweite Seite gibt, ist das Thema keine Einbahnstraße – niederösterreichische Industrieunternehmen setzen auch in der Fremde ihre Anker. Die Isovolta Group mit Sitz in Wiener Neudorf, nur als Beispiel, hat vor Kurzem den Geschäftsbereich Luft- und Raumfahrt von der Schweizer börsennotierten Gurit Holding AG übernommen. Betroffen ist die im deutschen Kassel ansässige Produktionsstätte mit 80 Mitarbeitern. Isovolta stellt im Luftfahrtbereich Leichtbau-Materialien für das Interieur von Flugzeugkabinen in Wiener Neudorf und in Harrisburg (USA) her. Künftig werde an drei Standorten produziert. „Wir sind überzeugt, dass die Talsohle der pandemiebedingten Luftfahrtkrise durchschritten ist. Wir stellen mit diesem strategisch wichtigen Erwerb die Weichen für das künftige Wachstum in der Luftfahrtbranche", sagt Peter Höllwarth, CEO der Isovolta Group.

Arbeitskräftereservoir enden wollend.


Aus dem viel zitierten Fachkräftemangel ist längst ein Arbeitskräftemangel quer durch nahezu alle Branchen geworden. Es gibt 20.000 offene Stellen. Tendenz steigend. „Das ist eine besorgniserregende Entwicklung“, befindet Wirtschaftskammerboss Wolfgang Ecker. In der Österreich-Zentrale von Würth in Böheimkirchen trafen sich deshalb vor einem Monat alle Stakeholder mit der halben Landesregierung zu einem Gipfel. Ziel: Niederösterreich zur „Heimat der besten Köpfe“ zu machen. Denn Niederösterreichs Unternehmen können jede zehnte Stelle nicht besetzen. Das hat die KMU Forschung Austria im Auftrag der Wirtschaftskammer unter 1220 Unternehmen erfragt. Laut letzten Daten kostet dieser Mangel Niederösterreichs Betriebe rund 400 Millionen Euro pro Jahr. „Das entspricht einem BIP-Wachstum von 0,7 Prozent, das nicht realisiert werden kann“, gibt Ecker zu bedenken. Besonderer Fokus liegt auf der Lehre (siehe Seite XX), der Rekrutierung älterer Arbeitskräfte (50+), Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Höherqualifizierungen im Rahmen der Weiterbildung und weitere Kooperationen mit Bildungseinrichtungen. „Es muss möglich sein, nicht nur Höherqualifizierung zu fördern, sondern Qualifikationen generell, um alle Bedürfnisse der Wirtschaft abdecken zu können. Nur dann sind wir wirklich am Puls der Betriebe“, sagt Ecker und nennt dazu ein konkretes Beispiel: „Immer auf eine höhere Akademikerquote zu setzten, ist weder bildungspolitisch, noch arbeitsmarktpolitisch der Weg, der uns hilft, den Personalbedarf in unseren Unternehmen zu lösen.“ Mit einer Bus-Rundtour wollen das Land und die Sozialpartner über Förderungen und Ausbildungen informieren.

"Zusammenhalten".


„Die Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen vor allem mehr ‚Hausverstand‘“, adressiert Harald Servus an die politisch Verantwortlichen. Harald Servus ist in Niederösterreich Direktor des anderswo derzeit ziemlich diskreditierten ÖVP-Wirtschaftsbundes. „Wir müssen zusammenhalten und gemeinsam Lösungen erarbeiten, die realistisch und umsetzbar sind“, gibt Servus die Linie für den größten Beteiligungsprozess in der Organisationsgeschichte vor. Als Basis dient eine in Auftrag gegebene IMAS-Umfrage. Ihr folgen bis Oktober für die 3000 Funktionäre „Mission Hausverstand“-Events in allen Bezirken. Herauskommen soll ein „maßgeschneidertes“ Programm für die (Nach-)Krisenzeit. Wie ernst es die Parteifreunde Mikl-Leitner, Danninger & Co mit der Umsetzung nehmen werden, bleibt abzuwarten.

Michaela Roither, Geschäftsführerin IV Niederösterreich
„Der „Konjunkturaufschwung ist vorbei.“ Michaela Roither, Geschäftsführerin IV Niederösterreich - © andibruckner