INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Schöfberger, die Klimakrise und die Verwerfungen in den Lieferketten ringen Unternehmen Anstrengungen ab. Wie schlägt sich Österreichs Industrie die letzten Wochen und Monate?
Werner Schöfberger: Die Dynamik, die der Green Deal auf europäischer Ebene brachte, setzt sich nun, durch die angesprochenen Ausprägungen einer labilen Weltlage beschleunigt, auf nationaler Ebene und in den Unternehmen fort. Unternehmen haben tagtäglich mit riesigen Volatilitäten zu kämpfen. Und diese Herausforderungen meistern Österreichs Unternehmen gut. Da gibt es keinen Betrieb, der sich nicht Gedanken darüber macht, wie er Produktionsanlagen effizienter betreibt und sich in der Energieversorgung von Abhängigkeiten löst.
Das heißt, vielfach erleben Sie in den heimischen Unternehmen eine sehr strukturierte Auseinandersetzung darüber, wie Prozesse mittelfristig beschaffen sein müssen?
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Schöfberger: Exakt. Wenn wir heute über Energie und Nachhaltigkeit sprechen, reden wir auch immer von Digitalisierung. Beides beginnt beim Produktdesign. Dort werden die Weichen für den Co2-Fußabdruck eines Produkts gestellt. Und hier kommen wir ins Spiel mit Lösungen zur Simulation dieser Co2-Bilanz.
Zugleich wird an den Shopfloors - nicht selten über den kontinuierlichen Verbesserungsprozess - von der operativen Seite sukzessive an der energetischen Bilanz geschraubt.
Schöfberger: Und das ist gut. Auch hier braucht es strategische Betrachtungen und Umsetzungsstärke. Wie auch beim Prozessdesign. Dort lassen sich mittels Digitalem Zwilling Idealzustände der Prozesslandschaft simulieren und in harter Echtzeit mit realen Szenarien benchmarken. Klar ist aber auch: Wer bei der Produktspezifikation alles richtig macht, wird auch in nachgelagerten Schritten schönere Erfolge einfahren.
Welche Branchen sind mit der Ökologisierung ihrer Prozesslandschaften denn schon beachtenswert weit?
Schöfberger: Unternehmen jener Branchen, die sehr nah an Endverbrauchern operieren, sind zumeist unter den Vorreitern. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Das Nachhaltigkeitsbewusstsein von Konsumenten nimmt zu. Eine Dynamik, die auf viele Zweige der Industrie wie etwa die Glasindustrie einwirkt. Diese weist hohe Energiebedarfe auf, gegen welche sie laufend Maßnahmen ergreift. Neben den wachsenden Anforderungen durch Abnehmer verspürt diese Branche nun zusätzlich Druck infolge der gestiegenen Energiekosten. Weshalb sie stärker den gesamten wertschöpfenden Prozess vom Rohmaterial bis zum Rezyklat als Hebelpunkt für Optimierungen versteht.
Ist das Siemens-Portfolio für derartige Analysen über Unternehmensgrenzen hinweg gewappnet?
Schöfberger: Mit Estainium nahm kürzlich eine Plattform für das Co2-Tracking seine Arbeit auf. Wir sind darin mit unserer Plattform SiGreen vertreten. Diese macht Messungen des Co2-Fußabdrucks von Produkten samt Emissionen bei vorgelagerten Zulieferern möglich. Derzeit kontrolliert Schätzungen zufolge erst ein Zehntel aller Hersteller den Co2-Fußabdruck ihrer Produkte. Erfolgen Messungen, sind diese häufig relativ statische Betrachtungen. Das soll sich durch stärkere Vernetzung ändern. Für die wiederum Lösungen wie SIMATIC Energy Manager PRO den Grundstein legen. Die Software zur Schaffung von Transparenz über den Energieverbrauch in Fertigung und Infrastruktur kann für Unternehmensverbunde Daten liefern. Die Software wurde aus Österreich heraus entwickelt. Das sagen Siemensianer aus Österreich wie ich nicht ohne Stolz.
Wieweit passen Kleinunternehmen in dieses big picture? Denkt man dort auch schon stark grenzübergreifend?
Schöfberger: Sprechen wir von einem 25-Mitarbeiter-Unternehmen, dann ist hier vieles selbstorganisiert. Dort schaut vielleicht der Chef drauf, dass die oder der Letzte am Abend das Licht in der Halle ausschaltet. Aber selbstverständlich gibt es auch hier Potenziale. Sei es bei Maschinen-Standbys oder Verbrauchsmaterialien wie Druckluft.
Würden nicht Krisen auf ihr lasten, müsste die Zeit für Techniker-Seelen ja eine wunderbare sein: Noch nie waren die technologischen Herausforderungen, aber auch Realisierungspotenziale, größer.
Schöfberger: Absolut. Wem, wenn nicht den Technikern, ist der Mindset, die Klimaziele nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu sehen, naturgegeben. Jetzt muss sich dieser Mut und diese Überzeugung nur mehr durchsprechen.