Ernst Dieter Dickmanns kennen die meisten Österreicherinnen und Österreicher sicher nicht. Dickmanns lebt in einem beschaulichen Vorort von München – Jägerzaun, gepflegte Rasenfläche und seine Frau serviert Plätzchen zum Interview. Er war von 1975 bis 2001 Professor an der Universität der Bundeswehr. Dickmanns gilt als Vater des autonomen Fahrens – alle die heute an der Künstlichen Intelligenz (KI) für das Auto oder den Lkw schrauben, referieren gerne auf den Professor aus Deutschland. In den 1990er Jahren gelangte er selbstfahrend mit einer Mercedes S-Klasse von München ins dänische Odense. Vor wenigen Tagen erhielt er dafür das Bundesverdienstkreuz – Deutschlands höchste zivile Auszeichnung. Heute fahren wir immer noch nicht autonom und gleichzeitig rufen viele 2023 als das Jahr der Künstlichen Intelligenz aus. Alles nur wegen ChatGPT?
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Der Chefredakteur des deutschen Handelsblatts, Sebastian Matthes fasste die Stimmung in einem Kommentar zusammen. „Seit Jahren lautet die Erzählung über Künstliche Intelligenz so: Erst würden immer intelligentere Roboter Tätigkeiten in Fabriken übernehmen, anschließend seien Lastwagenfahrer dran, weil die 40-Tonner autonom zwischen den Metropolen dieser Welt unterwegs sein werden (…) Und danach, irgendwann und auch nur vielleicht, sind die Wissensarbeiter an der Reihe. Weil eine KI ja eigentlich nicht kreativ sein kann.“ Unabhängig davon, wie man die aktuellen Large Language Models (LLMs) bewertet, hat die Industrie das Versprochene nicht geliefert?
Es brodelt
Die Gesellschaft ist aufgeregt. KI-Größen wie Gary Marcus oder Yann LeCun von Meta diskutieren in den sozialen Netzwerken tagtäglich über die Grenzen, die Dummheit, die Gefahr von AI (und speziell zu LLMs) und der DeepMind CEO Demis Hassabis erklärte in Time: „Wir kommen in eine Zeit, in der wir anfangen müssen, über die Trittbrettfahrer nachzudenken, oder über Leute, die zwar lesen [Code], aber nichts zu dieser Informationsbasis beitragen", sagt er. „Und das gilt auch für die Nationalstaaten“. Er lehnt es ab, die Staaten zu nennen, die er meint – „es ist ziemlich offensichtlich, wen man meinen könnte“ -, aber er deutet an, dass die Kultur der KI-Industrie, ihre Ergebnisse offen zu veröffentlichen, vielleicht bald ein Ende haben muss. Wird wie schon bei den Chips aus den USA auch bald KI-Software reguliert? Kommt es zur Trennung von Open Source und KI-Tools, wäre es fatal, wenn die Europäer keinen Zugang mehr hätten. Die Industrie hängt von den KI-Tools, von den Modellen und auch von der Wissenschaftsförderung der großen US-Tech-Konzerne ab. Stellen Sie sich vor, PyTorch, TensorFlow oder Rasa gäbe es morgen nicht mehr. Übertrieben? Vielleicht. Aber Open AI lässt in GPT-4 auch niemanden mehr reinschauen. „In Anbetracht des Wettbewerbsumfelds und der sicherheitstechnischen Auswirkungen großer Modelle wie GPT-4 enthält dieser Bericht keine weiteren Einzelheiten über die Architektur (einschließlich der Modellgröße), die Hardware, die Trainingsberechnung, die Datensatzkonstruktion, die Trainingsmethode oder Ähnliches“, heißt es in einem technischen Report.
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In der KI-Welt brodelt es. Alte Gewissheiten werden in Frage gestellt. Die US-Konzerne spüren auch finanziellen Druck. Jobs werden gestrichen. Generative KI wird gehypt. Manche Beobachter befürchten schon ein Platzen der Blase – ist das eure KI, euer Modell oder nur eine API zu GPT?
Und die Industrie? Man probiert sich an ChatGPT und Co. Unternehmensberatungen wie Zühlke fassen die wichtigsten Anwendungsfälle großer Language Models für den Maschinenbau zusammen: Patentrecherche, Analyse von Stellenanzeigen oder Bereitstellung statistischer Antworten auf individuelle, in natürlicher Sprache formulierte Fragen zu IoT-Daten, um die Analysezeit zu reduzieren sind drei Beispiele. Klingt nicht sehr aufregend!? Auf der Festo „IO Conference“ erklärte ein Teilnehmer, er nutze die Power der generativen AI um seinen Code zu vereinfachen. Andere lassen sich in ROS Robotik-Programmierungen schreiben.
„Wenn ich wetten würden, dann auf Folgendes: Innovative Industrieunternehmen werden sich in Kooperation mit Forschungseinrichtungen verfügbare LLM’s (wie LLama von Meta oder Alpaca) finetunen auf ihre eigenen Daten und PoC’s laufen lassen. Von diesen werden viele scheitern, aber diejenigen die den PoC > MVP > Pathway schaffen haben ein geiles Industrieprodukt. Knowledge Bases und Multimodalität sind die Schlüssel. Und genau diese Idee probieren wir mit einem Digitalisierungspartner und einem Industrieunternehmen bald aus“, erklärt Franziskos Kyriakopoulos Gründer von 7LYTIX aus Linz.
Packed with AI
Generative KI, wie GPT oder das Tool DALL-E, werden auch die industrielle Produktentwicklung verändern – der Konstrukteur erhält Unterstützung von einer Intelligenz. Festo arbeitet schon seit einigen Jahren im Bereich reinforcement learning für die Fertigungsprozesse. Der nächste Schritt ist die Nutzung von generativen Algorithmen für die Produktentwicklung. OpenAI veröffentlichte unlängst 3D-Modelle für DALL-E. Die Herausforderung in der Industrie neben der 3D-Herausforderung: Die Produkte müssen sich bewegen können. Und Dr. Jan Seyler aus der Festo-Forschung stellt die provokante Frage: Can machines build machines? Er ist sicher: „Viele Aspekte des Engineerings können durch KI-Methodik unterstützt werden. Die Herausforderungen sind vor allem das semantische, funktionale Verständnis und eine genaue Simulation.“ Und der Festo CTO Ansgar Kriwet definierte auf einer Konferenz vereinfacht zusammengefasst die Zukunft eines Festo Produkts: A multipurpose hardware as a software defined product packed with AI. Er mahnte: Industrial AI / Industrie 4.0 sei auch ein Bildungsthema.
Auch das Unternehmen Monolith AI geht in Richtung generative AI. Der Ansatz der Briten: Jede durchgeführte Simulation entwickelt ein Modell weiter, denn die Macher setzen auf Echtzeitdaten. Das bedeutet, der Maschinenbau könnte sich zahlreiche Tests sparen. Zusätzlich macht die KI dem Entwickler basierend auf den Echtdaten Vorschläge zu seinem Produkt. Die Engländer haben ambitionierte Ziele: Bis 2026 soll die Produktentwicklungszeit von 100.000 Ingenieurinnen und Ingenieuren um 50 Prozent reduziert werden. Die Entwickler bringen schon Referenzen aus der Automobilindustrie mit. Denn wer bei den 24 Stunden-Rennen in Le Mans siegt, der hat nicht nur die besten Fahrer am Steuer, sondern auch das beste Auto und die beste Technologie im Hintergrund. Jota gewann die Rennserie 2020, 2021 und 2022. Für die Entwicklung des Gewinner-Autos Oreca 07 setzten die Ingenieure auf KI im Engineering und Testing. Die Verantwortlichen konnten die Tests im Windkanal um 80 Prozent reduzieren, denn sie nutzten die KI-Plattform von Monolith AI. Siemens integriert die Lösung bereits in sein Ökosystem.