Corona-Strategien : Lieferketten-Heroes: So halten heimische Manager ihre Supply Chains intakt

Abflughalle am Flughafen Frankfirt
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Energieeffiziente Warmwasserspeicher, Boiler und Isolierungen: Das Knittelfelder Produktionswerk von Austria Email fertigt Produkte dieser Tage unter Hochbetrieb. Der Auslastungsgrad liegt bei über 80 Prozent. Dafür haben die Steirer sich mit Vormaterialien eingedeckt. Schon bald nach der Werkseinfahrt wird es eng. Dort, wo sonst nach den Prinzipien des Lean-Managements freie Manipulationswege vorhanden sind, türmen sich nun die Bestände. „Lean can be mean“, sagt CEO Martin Hagleitner.

Die Tugend, mit möglichst geringen Beständen zu fahren, ist in den vergangenen Wochen über Bord geworfen worden. Eine Kombination mehrerer Faktoren machte das möglich. Unmittelbar vor dem Shutdown in der Lombardei Mitte März legte ein bedeutender Lieferant der Steirer in der besonders virusgeplagten Stadt Cremona eine Wochenendschicht hin, um eine vorerst letzte Tranche von Stahlrohren, für den Einsatz in Glattrohrtauschern bestimmt, zu produzieren. Zusätzlich wurden Alternativlieferanten aktiviert, erzählt der Leiter Verkaufsinnendienst in Knittelfeld, Gerd Schwandter.

Und noch im März langten zehn weitere Lkw-Lieferungen am Standort ein. Da war auch eine Menge Glück dabei. Aufgrund guter Konjunktur und einer höherer Sanierungsrate dank Faktoren wie Dekarbonisierung und Klimaschutzpaketen hatten die Steirer bei Speichern zu Jahresbeginn entsprechend mehr disponiert. Jetzt hat man die Läger - und nicht nur diese - voll. „Unsere Bevorratung am ganzen Standort mag aktuell nicht dem Lean-Ideal entsprechen, hält uns aber die nächsten Monate weitestgehend lieferfähig“, heißt es in Knittelfeld.

Neuer Aktivitätslevel

Das mag Lean-Manager verwundern. Als beim Zulieferkonzern Miba nach einer Übernahme in den Nachkrisenmonaten 2009 die Bestände im Werk Laakirchen an den Linien überquollen, gab es dafür seitens des Kaizen-Veranstalters harte Worte. Heute weiß man, die Strategie ging voll auf. Auch derzeit sind die Lieferketten in der arbeitsteiligen Welt verwundbar wie lange nicht - und die Handhabe darüber zu einem großen Teil dem Einfluss des Menschen entzogen.

Der Einkauf habe nun eine Schlüsselrolle eingenommen“, beobachtet Romana Buchner, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Cubudo mit Schwerpunkt Digitalisierung im Supply Chain Management. Um kurzfristig Bedarfe zu decken, müsse der Einkauf viel stärker in die Interaktion mit Lieferanten gehen. Es reicht nicht, einfach nur darauf zu hoffen, die Rahmenkontrakte verlängern zu können, sagt Buchner. Ein in volatilen Zeiten erfolgreicher Einkäufer „schlüpft jetzt stärker in die Rolle eines Verkäufers - und verhandelt für sein Unternehmen, so wie das Sales-Profis auch tun“, sagt sie.

Extreme Lagerhaltung, wie dies nun einige praktizieren, könne kurzfristig über schwierige Wochen helfen, zehre aber natürlich an der Liquidität. „Ein schmaler Grat“, sagt Buchner, die aus heutiger Sicht nicht an eine große Rückverlagerung von Sourcingquellen nach Europa glaubt. „Das wird kostenseitig nicht aufgehen“, sagt sie.. Belasten die einen nun ihre Logistiknetzwerke und beleben Partnerschaften, kommen andere durch Einkaufsbündelung im Konzern über die Runden - und schalteten vom normalen Geschäft auf Krisenmodus. „Mit allen auch menschlichen Begleiterscheinungen, die die Zeit nun eben mit sich bringt“, meint ein Geschäftsführer eines Produktionsbetriebs.

Neue Routen

Ohne Einschränkungen weiter produziert derzeit etwa das internationale Fensternetzwerk IFN. Und das, obwohl man „auftragsbezogen fertigt und viele Materialien just-in-time beschafft werden müssen“, erzählt Geschäftsführerin Anette Klinger. Sie setze auf langjährige Lieferantenbeziehungen“, die sich jetzt bewähren würden. Neue Transportwege nimmt Schur Flexibles, ein Unternehmen, das dieser Tage sogar wächst, in Kauf: "Wir gehören zur kritischen Systemkette und stellen tatsächlich zehn bis 15 Prozent mehr Auftragseingänge fest“, sagt CEO Michael Schernthaner.

Allerdings gebe es große Herausforderungen, die Lieferkette durch die Grenzschließungen in Europa aufrecht zu erhalten. Man nutze etwa vom griechischen Werk einen anderen Transportweg: Was früher über die Fähre transportiert wurde, wird nun über die Schiene abgewickelt. "Das dauert allerdings ein, zwei Tage länger", so Schernthaner. Man kämpfe immer noch darum, an der Grenze priorisiert abgewickelt zu werden: "Man hat auf EU-Ebene vergessen, dass man bei der priorisierten Abwicklung auch die Lieferkette hinter den Food- und Pharma-Produzenten einbeziehen muss.“

Keinen Grund, auf andere Transportmittel umzurouten, sieht indes der Speicherhersteller Austria Email. Man setze auf die Straße, „da läuft es weiterhin sehr gut, es kommt zu keinen Verzögerungen an den Grenzen“, schildert Austria-Email-Mann Gerd Schwandter.

Auslastung für die neue Seidenstraße

„In der Beschaffung dran bleiben, drauf drücken, auf verlässliche Partner setzen“: So fasst Günter Eichhübl, Chef beim Antriebshersteller Traktionssysteme Austria, seine Beschaffungsstrategie dieser Tage zusammen. Ob Corona was an der grundsätzlichen Beschaffungsgeografie ändern werde, sei für ihn eher zweifelhaft. „Eine Rückverlagerung einst gegen Asien outgesourcter Beschaffungen im großen Stil schließe ich aus“, sagt Eichhübl. Dazu sei die Arbeitsteilung weltweit zu sehr fortgeschritten und die Stückkostendifferenzen sei noch zu groß. Wie sich das Unternehmen mit dem Sourcing in China tut? Eichhübl: „Der gefürchtete Corona-Einbruch hat bei uns nicht stattgefunden“.

Immerhin zehn des Beschaffungsvolumens beziehe man in China. „Bis auf ein paar wenige Produkte kommt das Bestellte pünktlich an“, sagt Eichhübl. Der zeitlich eingepreiste Transportweg per Schiff wurde auf die neue Seidenstraße verlagert. „Das hat den coronabedingten Stillstand unserer Lieferanten in China fast gänzlich ausgeglichen“, sagt der TSA-Chef.

Chancen für Plattformen

Nach dem Einknicken mancher Teile der Lieferketten an die Zukunft engmaschigerer europäischer Fertigungsnetze glaubt - berufsbedingt - Oliver Lödl. Der ehemalige Geschäftsführer des Berndorfer Wälzlagerherstellers Schaeffler Austria ist heute Vertriebschef beim CNC-Marktplatz Orderfox. „Ich gehe daher davon aus, dass viele Produktionsschritte wieder nach Europa zurückkehren werden“, sagt Oliver Lödl. Man sehe aktuell, was es bedeutet, wenn die Transport- und Produktionswege abgeschnitten werden. Und man sehe auch, welchen Stellenwert die Produktion im eigenen Land oder in Europa habe.

„Man wird sich überlegen, ob man auch künftig alles in die Ferne vergibt oder ob es doch besser ist, zu einem minimal höheren Preis, in nächster Umgebung zu vergeben“, so Lödl. Eine Entwicklung, die dem CNC-Startup Orderfox zupass kommen könnte. Orderfox verknüpfe unterschiedlichen Interessen in nur wenigen Sekunden und bringt sie über ein automatisches Matching an einen digitalen Verhandlungstisch.“ Heute finden sich auf dieser CNC-Plattform laut Unternehmen bereits 22.000 Partner, die eine Million Bauteile abwickeln.

Lieferantenportal verhindert Engpässe

„Unbestritten ist aus Sicht eines umfänglichen Risikomanagements eine Mehrlieferantenstrategie die sicherste Variante“, sagt Franz Mathi, CTO beim Intralogistikhersteller Knapp. Jedoch würde die Entwicklung von Lieferanten bei innovativen Unternehmen mit kurzen Innovationszyklen meist zeitlich versetzt stattfinden, sagt er. „Aus dieser asynchronen Vorgangsweise ergeben sich ganz natürliche Engpässe, die in Krisenzeiten noch stärker wirken als sonst“, so Mathi. Rund 1500 Unternehmen beliefern den Intralogistiker. Rahmenverträge sollen „einen monetären Effekt bei kurzfristigen Lieferengpässen verhindern“. Mit dem Großteil der Partner sei man online über ein Lieferantenportal verbunden. In diesem „close monitoring process“ könne man frühzeitig auf kritische Veränderungen reagieren. „Aktuell, so Mathi, ergebe sich bei weniger als einem Prozent der wichtigen Partner Probleme.

Keine Zusatzkosten für außertourliche Transporte

Die Hirsch Servo Gruppe investierte „gezielt über viele Jahre in einen fairen Umgang mit ihren Lieferanten“, schildert Supply Chain Manager Johannes Hengsberger. Jetzt stellle man fest, dass „unsere Zulieferkette weitestgehend unverändert funktioniert“, sagt er. Die Möglichkeit der Eigenfertigung sei nun freilich ein wichtiger Faktor. Aufgrund einer effektiven Bevorratungsstrategie und Reichweitenplanung bleibe man auch mittelfristig lieferfähig. „Zusatzkosten für Sondertransporte sind eher die Ausnahme“, sagt Hengsberger.

Forecasting-Frequenz erhöht

Mit keinem Mangel an Rohstoffen konfrontiert sieht sich Greiner Packaging. Auch Kernlieferanten, die sich in Krisengebieten wie Norditalien befinden, würden ohne Unterbrechung weiterproduzieren. „Aufgrund unserer Systemrelevanz priorisieren uns einige Lieferanten“, sagt Helmut Haberleitner, Global Procurement Director. Was die Logistik angehe, habe man mit denselben Herausforderungen zu kämpfen wie alle Unternehmen. „Grenzschließungen, Fahrermangel und Quarantänebestimmungen werden aber zum Glück immer weniger“, sagt Haberleitner.

Alle Informationen aus der Lieferkette speichere man zentral und aktualisiere sie ständig. Man habe die Forecasting-Frequenz erhöht und erarbeite Back-Up-Szenarien für den Ernstfall. „Fallweise haben wir Rohstoff-Transporte aus dem Ausland eigenständig mit österreichischen Spediteuren organisiert“, sagt Haberleitner.

Auch bei der Medizintechnikfirma Greiner Bio-One ist die Versorgungskette intakt. Ein Teil der Beschaffungsstrategie ist es, „Preisansätze zu wählen, die unseren Lieferanten in einem schwierigen Marktumfeld erlauben, kostendeckend zu produzieren“, schildert Tobias Wieser, strategischer Einkäufer Granulat. Diese Preisstrategie ermögliche eine umfassende Partizipation an fallenden Rohstoffpreis-Notierungen, wie wir sie derzeit am Rohöl-Markt sowie in Folge anhand der für die Kunststoffindustrie wichtigen Vorprodukte sehen. „Dieser positive Nebeneffekt bestätkt uns in unserer nachhaltigen Beschaffungsstrategie“, sagt Wieser.