KTM-Pleite 2024 : Wie der Kult-Motorradhersteller seine Insolvenz heraufbeschwor
Inhalt
- KTM am Scheideweg
- Auf der Suche nach neuen Investoren
- Ein Erfolgsmodell gerät ins Straucheln
- Lieferkettenprobleme belasten die Motorradbranche seit Covid
- 2.500 Gläubiger sind von KTM-Insolvenz betroffen
- Wurden Warnsignale übersehen?
- Interne Konflikte und mangelnde Transparenz
- Das ungenutzte Potenzial: Elektro- und Hybridfahrzeuge
- Ist eine Sanierung von KTM möglich?

Die börsennotierte KTM-Mutter Pierer Mobility AG ist auf Investorensuche, um neues Geld für den insolventen Motorradhersteller aufzutreiben.
- © heikomandl.atKTM am Scheideweg
Die Insolvenz eines Unternehmens ist selten das Ergebnis eines einzelnen Fehlers, sondern vielmehr eine Verkettung strategischer, operativer und finanzieller Fehlentscheidungen. Die Geschichte der Insolvenz von KTM ist keine Ausnahme. Sie zeigt, wie auch ein Unternehmen mit einer traditionsreichen Marke und internationalem Renommee durch eine Kombination aus wirtschaftlicher Fehleinschätzung, riskanter Unternehmenspolitik und fehlendem Innovationsmanagement in die Krise geraten kann.
KTM, bekannt für seine Spitzenleistung im Bereich Offroad-Motorräder und seine Erfolge in der Motorradweltmeisterschaft, stand Ende der 1990er-Jahre am Scheideweg. Die ambitionierten Expansionspläne, gekoppelt mit einer zu großen Abhängigkeit von bestimmten Märkten und Modellen, stellten eine immense Belastung dar. Hinzu kamen die Herausforderungen einer zunehmenden Konkurrenz, die KTM zusehends unter Druck setzte, sowie hohe Kosten in der Produktentwicklung, die nicht durch entsprechende Absatzsteigerungen kompensiert werden konnten.
Diese Faktoren führten dazu, dass das Unternehmen in finanzielle Schieflage geriet. Gleichzeitig mangelte es an einer klaren strategischen Neuausrichtung, um dem drohenden Untergang entgegenzuwirken. Die Insolvenz war somit nicht nur eine Folge von äußeren Umständen, sondern wurde auch durch interne Missstände heraufbeschworen. Wie KTM diese Situation herbeiführte und welche Lehren sich daraus ziehen lassen.
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Auf der Suche nach neuen Investoren
Die börsennotierte Pierer Mobility AG, Muttergesellschaft des insolventen Motorradherstellers KTM, sucht aktiv nach Investoren, um frisches Kapital zu beschaffen. Hierfür wurde die US-Investmentbank Citigroup mit der Neuordnung der Eigentümerstruktur beauftragt. Ziel ist es, dass Investoren „eine notwendige Barkapitalerhöhung bzw. Finanzinstrumente“ zeichnen.
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Mitte November hatte Pierer Mobility von einem Finanzbedarf in dreistelliger Millionenhöhe gesprochen. In der aktuellen Mitteilung wurde die genaue Summe nicht genannt. Die Barmittel sollen zur Stärkung der Pierer Mobility Gruppe, insbesondere der KTM AG, verwendet werden.
Die Insolvenz von KTM kam für viele dennoch überraschend, da das Unternehmen bis zuletzt an seinem Image als Innovationsführer arbeitete. Mit der Ankündigung der Zahlungsunfähigkeit im November 2023 begann ein Wettlauf gegen die Zeit. Tausende Gläubiger – etwa 2.500 laut aktuellen Berichten – und mehr als 3.600 Mitarbeiter sind von der Krise betroffen. Es wird erwartet, dass Hunderte von Arbeitsplätzen abgebaut werden, um die Restrukturierung voranzutreiben.
Ein Erfolgsmodell gerät ins Straucheln
KTM galt lange Zeit als Vorzeigemodell für Wachstum und Innovationskraft in der Motorradbranche. Als Teil der börsennotierten Pierer Mobility AG war das Unternehmen maßgeblich für den Umsatz und die Marktposition der Muttergesellschaft verantwortlich. Allein 2022 erzielte KTM über 95 % des Gesamtumsatzes der Pierer Mobility AG und genoss eine weltweite Reputation. Doch hinter der glänzenden Fassade häuften sich über die letzten Jahre Probleme, die schließlich zur Zahlungsunfähigkeit führten.
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Bereits Mitte 2023 verdichteten sich die Anzeichen für finanzielle Turbulenzen. Während das Unternehmen weiterhin in die Entwicklung neuer Modelle und Motorsportprojekte investierte, schien es an der internen Finanzplanung zu hapern. Der aggressive Expansionskurs, der KTM zu einem globalen Marktführer machen sollte, führte zu einer massiven Verschuldung. Die Passiva belaufen sich inzwischen auf etwa 2,7 Milliarden Euro – eine Summe, die das Unternehmen ohne externe Hilfe nicht mehr stemmen kann.

Die Schuldenlast von KTM ist erdrückend: Die Verbindlichkeiten in Höhe von 2,7 Milliarden Euro haben das Unternehmen in die Knie gezwungen. Während die Umsätze durch die Einführung neuer Modelle wie der KTM 890 Adventure stabil blieben, reichten die Einnahmen nicht aus, um die hohen Kosten zu decken. Zudem wurden teure Motorsportprojekte wie das MotoGP-Engagement trotz finanzieller Engpässe aufrechterhalten.
Interessanterweise betonte der Tech3-Teamdirektor Hervé Poncharal kürzlich, dass das MotoGP-Programm für 2025 trotz der Insolvenz gesichert sei. Dies zeigt, dass KTM nach wie vor strategisch auf den Motorsport setzt, um sein Markenimage zu stärken. Doch Kritiker werfen dem Unternehmen vor, Ressourcen in Prestigeprojekte zu investieren, während die Kernbereiche des Geschäfts vernachlässigt wurden.
Lieferkettenprobleme belasten die Motorradbranche seit Covid
Neben internen Problemen spielt auch das schwierige Marktumfeld eine zentrale Rolle. Die globale Motorradbranche kämpft seit der COVID-19-Pandemie mit Lieferkettenproblemen, steigenden Rohstoffkosten und einer schwächelnden Nachfrage in wichtigen Märkten. Besonders die europäischen und asiatischen Märkte, auf die KTM stark fokussiert ist, zeigten in den letzten Jahren eine deutliche Abkühlung.
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Wie viele andere Unternehmen in der Automobil- und Motorradbranche kämpfte KTM nach der COVID-19-Pandemie mit erheblichen Problemen in den Lieferketten. Die Verfügbarkeit essenzieller Komponenten – von Elektronikbauteilen bis hin zu speziellen Legierungen für Motoren – war stark eingeschränkt. Dies führte nicht nur zu Verzögerungen in der Produktion, sondern auch zu deutlich höheren Kosten.
Die angespannte Situation zeigte sich insbesondere bei beliebten Modellen wie der KTM 1290 Super Duke und der Adventure-Reihe. Händler berichteten von monatelangen Wartezeiten, was das Vertrauen der Kunden schmälerte. Diese Engpässe führten dazu, dass KTM trotz hoher Nachfrage nicht in der Lage war, die Produktion mit den Marktanforderungen in Einklang zu bringen.
Ein weiterer Faktor, der die finanziellen Turbulenzen verschärfte, waren die weltweit steigenden Rohstoffpreise. Aluminium, Stahl und andere Materialien, die für die Produktion von Motorrädern entscheidend sind, wurden zunehmend teurer. Gleichzeitig trieben die steigenden Energiekosten – insbesondere in Europa – die Produktionsausgaben in die Höhe.

Die Inflation belastete nicht nur die Lieferkette, sondern auch die Kaufkraft der Kunden. Viele Motorradliebhaber, insbesondere in preissensiblen Märkten wie Südostasien und Südamerika, verschoben oder stornierten ihre Kaufentscheidungen. KTM, das stark auf den Export setzt, spürte diese Zurückhaltung deutlich.
Während KTM weiterhin stark auf den Motorsport und die Entwicklung hochpreisiger Modelle setzte, wurde die Nachfrage nach erschwinglichen Motorrädern in Schwellenländern vernachlässigt. Dies führte dazu, dass wichtige Marktsegmente von Konkurrenten wie Yamaha, Honda und BMW übernommen wurden.
2.500 Gläubiger sind von KTM-Insolvenz betroffen
Die Pierer Mobility AG, zu rund 75 % im Besitz der Pierer Bajaj AG, steht ebenso im Fokus der Krise. Letztere gehört zu 50,1 % dem KTM-Vorstandschef Stefan Pierer und zu 49,9 % dem indischen Partner Bajaj. Ein Viertel der Aktien der Pierer Mobility AG befinden sich im Streubesitz und werden an der Wiener Börse gehandelt. Seit Beginn des Jahres hat die Aktie über 78 % ihres Werts verloren – ein alarmierendes Signal für Investoren und Aktionäre.
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Die finanzielle Abhängigkeit der Pierer Mobility AG von KTM erwies sich als Achillesferse. Während das Unternehmen noch im November 2023 einen Finanzbedarf im dreistelligen Millionenbereich ankündigte, blieb die genaue Höhe der benötigten Mittel unklar. Um die Liquidität zu sichern, beauftragte Pierer Mobility die US-Investmentbank Citigroup mit der Neuordnung der Eigentümerstruktur. Ziel ist es, neue strategische und finanzielle Investoren zu gewinnen, die Kapitalerhöhungen oder andere Finanzinstrumente zeichnen.
Die finanzielle Schieflage von KTM ist erheblich: Die Passiva belaufen sich auf rund 2,7 Milliarden Euro, wobei etwa 2.500 Gläubiger betroffen sind. Zudem sind mehr als 3.600 Mitarbeiter von der Insolvenz betroffen, und es wird erwartet, dass Hunderte von Arbeitsplätzen abgebaut werden.
Trotz der finanziellen Herausforderungen betont KTM, dass das MotoGP-Programm für 2025 bestätigt ist und fortgesetzt wird. Hervé Poncharal, Direktor des Tech3-Teams, bestätigte, dass die Rennaktivitäten nicht beeinträchtigt werden und die Vorbereitungen für die kommende Saison planmäßig verlaufen.
Wurden Warnsignale übersehen?
Während diese externen Faktoren eine wichtige Rolle spielten, trugen auch interne Entscheidungen zur Krise bei. Die Geschäftsführung hatte in den Jahren vor der Insolvenz einen aggressiven Expansionskurs eingeschlagen. Neue Werke, insbesondere in Asien, sollten die Produktionskapazitäten erweitern und das Unternehmen auf neue Märkte ausrichten.
Dieser Expansionskurs war jedoch teuer und wurde überwiegend durch Kredite finanziert. Als die Nachfrage nicht in dem erwarteten Maße anstieg, konnte KTM die laufenden Kosten nicht mehr decken. Die Finanzierungskosten für die hohen Schulden, kombiniert mit den operativen Verlusten, ließen die Finanzlage des Unternehmens weiter erodieren.
Auch an der Wiener Börse mehrten sich die Anzeichen für finanzielle Schwierigkeiten. Die Aktie der Pierer Mobility AG, die Muttergesellschaft von KTM, verlor seit Jahresbeginn 2023 stetig an Wert. Während das Unternehmen weiterhin positive Zukunftsperspektiven kommunizierte, zweifelten Anleger zunehmend an der Fähigkeit, die ambitionierten Pläne umzusetzen.
Insbesondere Mitte 2023 sorgte ein Bericht über mögliche Liquiditätsprobleme bei KTM für Unruhe. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte damals unter Berufung auf Insiderquellen berichtet, dass das Unternehmen Gespräche über eine mögliche Überbrückungsfinanzierung führe. Zwar dementierte KTM diese Berichte zunächst, doch die späteren Entwicklungen bestätigten die Befürchtungen vieler Beobachter.
Interne Konflikte und mangelnde Transparenz
Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Herausforderungen wurden in internen Kreisen auch Konflikte innerhalb der Unternehmensführung diskutiert. Einige Berichte deuteten darauf hin, dass es unterschiedliche Ansichten über die zukünftige Ausrichtung von KTM gab. Diese Spannungen führten offenbar zu Verzögerungen bei wichtigen Entscheidungen, etwa hinsichtlich möglicher Kostensenkungsmaßnahmen oder der Diversifikation der Produktpalette.
Mangelnde Transparenz gegenüber Investoren und Partnern trug ebenfalls zur Vertrauenskrise bei. Obwohl die Finanzprobleme bereits erkennbar waren, blieb die Kommunikation nach außen vage. Dies erschwerte es, rechtzeitig Unterstützer zu mobilisieren, um eine Insolvenz abzuwenden.
Ein weiterer kritischer Punkt war die finanzielle Abhängigkeit von KTM's Motorsportaktivitäten. Obwohl das Unternehmen durch Erfolge in der MotoGP und anderen Rennserien ein starkes Markenimage aufbauen konnte, verschlangen diese Aktivitäten erhebliche Ressourcen. Insbesondere die Entwicklung neuer Rennmaschinen und der Betrieb des Rennteams belasteten die Finanzen.
Während die MotoGP als Marketingplattform wertvoll ist, wurden interne Stimmen laut, die eine Reduzierung der Rennsportausgaben forderten. Doch das Management hielt an der Strategie fest, was die finanzielle Schieflage weiter verschärfte.
Das ungenutzte Potenzial: Elektro- und Hybridfahrzeuge
Eine interessante Randnotiz in der Krise ist die Tatsache, dass KTM im Bereich der Elektromobilität zwar Ansätze zeigte, diese jedoch nicht konsequent genug verfolgte. Während Konkurrenten wie BMW und Honda massiv in elektrische Motorräder und Scooter investierten, beschränkte sich KTM weitgehend auf kleinere Elektro-Offroad-Bikes wie die Freeride E-XC.
Angesichts des wachsenden Interesses an umweltfreundlicher Mobilität verpasste KTM die Gelegenheit, sich als Vorreiter in diesem Bereich zu positionieren. Dieses Versäumnis wird von vielen Branchenexperten als eine verpasste Chance gesehen, die dem Unternehmen möglicherweise eine stabilere Grundlage für die Zukunft hätte bieten können.

Ist eine Sanierung von KTM möglich?
Die Zukunft von KTM hängt maßgeblich von der Fähigkeit der Pierer Mobility AG ab, Investoren zu überzeugen. Laut Unternehmensangaben werden derzeit sowohl bestehende Partner als auch neue strategische und finanzielle Investoren angesprochen. Eine Kapitalerhöhung scheint unvermeidlich, um die Liquidität wiederherzustellen und die Restrukturierung zu finanzieren.
Eine zentrale Rolle könnte dabei der indische Partner Bajaj spielen, der bereits knapp 50 % der Pierer Bajaj AG hält. Es wird spekuliert, dass Bajaj seine Beteiligung erhöhen könnte, um die Kontrolle über KTM zu übernehmen. Dies könnte die finanziellen Ressourcen sichern, würde jedoch auch bedeuten, dass die strategische Ausrichtung des Unternehmens stärker von Bajaj bestimmt wird.
Darüber hinaus plant KTM, seine Produktpalette zu diversifizieren und den Fokus stärker auf Elektro- und Hybridfahrzeuge zu legen. Die wachsende Nachfrage nach umweltfreundlichen Mobilitätslösungen könnte neue Marktchancen eröffnen und das Unternehmen langfristig wieder auf Kurs bringen.