Autokrise in Europa : Überraschender Rücktritt von Stellantis-Chef Carlos Tavares: Diese Personen werden als Nachfolger gehandelt

Stellantis Mirafiori Turin

Der Vorstandschef des Autokonzerns Stellantis, Carlos Tavares, ist mit sofortiger Wirkung zurückgetreten.

- © Stellantis

Carlos Tavares, Vorstandschef des internationalen Autokonzerns Stellantis, hat mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt eingereicht. Der Verwaltungsrat hat den Rücktritt des 66-jährigen Portugiesen bereits bestätigt, wie das Unternehmen am Sonntagabend mitteilte. Als Grund für den abrupten Abschied wurden interne Meinungsverschiedenheiten genannt, weitere Details dazu blieb Stellantis schuldig.

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Tavares hat mit seinem plötzlichen Rücktritt für erhebliche Unruhe in der internationalen Automobilindustrie gesorgt. Sein Abgang kommt überraschend und wirft Fragen über die Zukunft des 2021 aus der Fusion von Fiat Chrysler und der französischen PSA-Gruppe entstandenen Konzerns auf. Tavares, der als Architekt der Fusion gilt, hatte in den letzten Jahren eine Schlüsselrolle bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens eingenommen und war für seine Führungsstärke und kostensenkende Maßnahmen bekannt. Sein plötzlicher Abschied wurde von Stellantis nur knapp mit persönlichen Gründen begründet, was Spekulationen über interne Konflikte und strategische Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Unternehmens befeuerte.

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- © Industriemagazin

Umstrittener Führungsstil

Die Reaktionen auf seinen Rücktritt lassen die Spannungen zwischen Stellantis und der italienischen Regierung deutlich werden. Die politischen Parteien sowie die Gewerkschaften fordern nun verstärkt Transparenz und eine klare Strategie für die Zukunft der Stellantis-Werke im Land. Die italienischen Regierungsparteien fordern nun, dass Verwaltungsratschef John Elkann vor dem Parlament über die Zukunft der Stellantis-Werke in Italien berichtet.

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Tavares' Führungsstil war nicht unumstritten, und seine Entscheidungen, wie etwa die Verringerung der Produktionskapazitäten in Italien zugunsten anderer Standorte, wurden sowohl von Gewerkschaften als auch von der Regierung kritisch betrachtet. 

Seine Aussage im Oktober, dass die Autoproduktion in Italien ohne staatliche Anreize zu teuer sei, sorgte für breite Empörung. Zudem schloss Tavares mögliche Entlassungen in den italienischen Werken nicht aus.
„Wir werden Tavares nicht vermissen“, kommentierte Luigi Sbarra, Vorsitzender der Gewerkschaft CISL, am Montag in einem Interview mit dem Sender Sky.

Tommaso Foti, Fraktionschef der Regierungspartei "Fratelli d'Italia" in der Abgeordnetenkammer, betonte: "Der Übergang zum neuen Management erfordert Verantwortung, die Sicherung der Arbeitsplätze und Kompetenzerweiterung. Deshalb ist es umso wichtiger, dass John Elkann so bald wie möglich ins Parlament kommt, um über die Zukunft von Stellantis zu berichten."

Die Lega, geführt von Vizepremier Matteo Salvini, kritisierte Tavares' Führung bei Stellantis scharf. In einer Stellungnahme hieß es: "Wir sind neugierig zu erfahren, wie viel Geld Tavares als Prämie für seine katastrophale Führung bei Stellantis kassieren wird." Auch die führenden Gewerkschaften äußerten Besorgnis über die plötzlichen Entwicklungen bei Stellantis.

Die Beziehungen zwischen der italienischen Regierung und Stellantis sind seit Monaten angespannt. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni warf Elkann Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament vor, nachdem er im Oktober entschieden hatte, nicht vor dem Parlament über die Produktionspläne in Italien zu berichten. Dieser Beschluss stieß auf breite Kritik, insbesondere da Gerüchte über mögliche Werksschließungen kursierten.

Elkann erklärte sich zwar zu einem "offenen und respektvollen Dialog" mit den italienischen Institutionen bereit, betonte jedoch, dass er vorerst keine Neuigkeiten zu berichten habe und bereits Gespräche mit dem Industrieministerium führe.

Carlos Tavares Stellantis
Carlos Tavares - © Wikipedia

Meloni will Arbeitsplätze schützen

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni hat sich dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um Arbeitsplätze und die Zulieferindustrie in den italienischen Stellantis-Produktionswerken zu schützen. „Wir werden unser Bestes tun, um die Beschäftigung und die Zulieferindustrie zu schützen. Mitte Dezember haben wir einen Runden Tisch mit Stellantis einberufen“, sagte Meloni laut Medienberichten.

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Im Zuge der Veränderungen in der Führungsriege hat Stellantis am Montag bekannt gegeben, dass Richard Palmer, ehemaliger Finanzchef des Konzerns, zum Sonderberater von John Elkann ernannt wurde. Palmer, der bis 2023 die Finanzen des Unternehmens verantwortete, wird eine Schlüsselrolle in strategischen Angelegenheiten einnehmen.

Italiens Industrieminister Adolfo Urso führte ein Gespräch mit Elkann, das zu einem Treffen am 17. Dezember im Industrieministerium in Rom führte. Ziel ist es, konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der italienischen Werke und der gesamten Zulieferkette zu besprechen.

Tausende Jobs auf der Kippe

Laut Gewerkschaften sind rund 70.000 Arbeitsplätze in Italiens Autoindustrie durch das geplante Verbot von Verbrennungsmotoren in Neuwagen ab 2035 gefährdet. Die italienische Autoindustrie, die stark auf traditionelle Verbrennungstechnologie setzt, beschäftigt direkt oder indirekt über 270.000 Menschen und trägt mehr als 5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Verkäufe vollelektrischer Autos in Italien sanken im vergangenen Jahr um 27 Prozent und machten nur 3,7 Prozent der Neuzulassungen aus.#

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Die Gewerkschaften schätzen, dass ohne Gegenmaßnahmen mindestens 12.000 Arbeitsplätze allein in den Stellantis-Werken gefährdet sind, ebenso viele in der Zulieferindustrie. Die Regierung Meloni drängt auf einen Plan zur Steigerung der Autoproduktion in Italien auf eine Million Einheiten pro Jahr.

Stellantis entstand im Januar 2021 aus der Fusion von Fiat Chrysler und der französischen PSA-Gruppe. Zum Konzern gehören Marken wie Opel, Peugeot, Fiat und Alfa Romeo. In Italien beschäftigt Stellantis etwa 43.000 Mitarbeiter; vor der Fusion waren es über 51.000.

Stellantis stoppt Produktion in Turin

Aktuell plant Stellantis, die Produktion im Werk Mirafiori in Turin vom 2. Dezember bis zum 5. Januar aufgrund schwacher Nachfrage nach dem elektrischen Fiat 500 zu stoppen.

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Zudem hat der Konzern angekündigt, dass der neue Lancia Gamma ab 2026 im Werk Melfi produziert wird, was einen weiteren Schritt in der Renaissance der italienischen Traditionsmarke darstellt. Trotz der aktuellen Herausforderungen hat Stellantis sein Engagement in Italien bekräftigt und betont, dass keine Werksschließungen geplant sind.

Das Unternehmen investiert zudem in die Transformation seiner industriellen Aktivitäten in Italien, um eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die italienische Regierung steht vor der Herausforderung, die Zukunft der Autoindustrie im Land zu sichern und die Arbeitsplätze in diesem Sektor zu erhalten. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um die Weichen für eine stabile und nachhaltige Entwicklung der Branche zu stellen.

Suche nach Nachfolger läuft

Die Suche nach einem Nachfolger soll bis spätestens Mitte 2025 abgeschlossen sein. In der Zwischenzeit wird Verwaltungsratschef John Elkann vorübergehend die Rolle des CEO übernehmen, um Kontinuität zu gewährleisten. Er plant, den vakanten Spitzenposten bis Mitte nächsten Jahres neu zu besetzen.

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Ein mit dem Vorgang vertrauter Insider hat gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärt, dass es mindestens zwei vielversprechende interne Kandidaten für die Nachfolge gibt. Einerseits könnte Antonio Filosa, der italienische Leiter des Nordamerika-Geschäfts von Stellantis, in Betracht kommen. Andererseits wird der Franzose Maxime Picat, derzeit Einkaufschef des Opel-Mutterkonzerns, als mögliche Option gehandelt.

Eine weitere mögliche interne Lösung ist Jean-Philippe Imparato, der operative Europa-Chef von Stellantis. Der frühere Markenchef von Peugeot und Alfa Romeo übernahm diesen Posten erst im Oktober von Uwe Hochgeschurtz, dem ehemaligen Opel-Chef, der zusammen mit anderen Führungskräften kurz nach einer Gewinnwarnung im Herbst das Unternehmen verlassen musste. Auch der Amerikaner Doug Ostermann, kürzlich zum Finanzchef ernannt, wird als Kandidat gehandelt.

Darüber hinaus gibt es Spekulationen über Spitzenkräfte anderer Automobilhersteller. So wird etwa Renault-Chef Luca de Meo genannt. Der Italiener war vor seiner Tätigkeit bei Renault Chef der spanischen Volkswagen-Marke Seat und zuvor Manager beim italienisch-amerikanischen Autobauer Fiat Chrysler, der zusammen mit PSA aus Frankreich den Konzern Stellantis bildete. Am Finanzmarkt kursieren seit längerem Gerüchte, dass auch Renault von Stellantis übernommen werden könnte.

Auch eine Rückkehr des Briten Mike Manley zu Stellantis steht zur Diskussion. Manley hatte maßgeblich an der Fusion von Fiat Chrysler und PSA mitgewirkt, verließ das Unternehmen jedoch 2021 nach einem kurzen Einsatz als USA-Chef. Elkann hat außerdem Richard Palmer, einen früheren Finanzchef von Fiat Chrysler und Stellantis-Veteranen, als Berater in den Interimsvorstand geholt.

Die italienische Tageszeitung Il Giornale berichtet, Elkann könnte sich auch für eine Lösung entscheiden, wie sie zuletzt bei Ferrari umgesetzt wurde: die Ernennung eines Top-Managers aus der Tech-Branche als neuen Chef.

Tavares, der seit der Gründung des Konzerns im Jahr 2021 an der Spitze stand, sah sich in den vergangenen Monaten zunehmender Kritik aus verschiedenen Richtungen ausgesetzt. Sowohl Gewerkschaften als auch Autohändler und Aktionäre bemängelten unter anderem den Umgang mit rückläufigen Umsätzen und Erträgen. Diese Entwicklung hatte Stellantis zuletzt dazu gezwungen, seine Gewinnprognose nach unten zu korrigieren.

Der Konzern, der zu den weltweit größten Autobauern zählt, vereint unter seinem Dach renommierte Marken wie Opel, Peugeot, Citroën, Fiat, Chrysler, Jeep und Ram. Stellantis entstand aus der Fusion von Fiat Chrysler und der PSA-Gruppe und erwirtschaftet einen Großteil seines Umsatzes in Europa und Nordamerika.

John Elkann übernimmt vorübergehend die Rolle des CEO
John Elkann übernimmt vorübergehend die Rolle des CEO - © Menno Ridderhof/Wikipedia

Traditionsstandort seit 1939

Das traditionsreiche Werk Mirafiori in Turin, seit 1939 ein bedeutender Standort der italienischen Automobilproduktion, hat im Laufe seiner Geschichte über 28,7 Millionen Fahrzeuge hervorgebracht. Aktuell werden dort der vollelektrische Fiat 500 sowie mehrere Maserati-Modelle gefertigt, darunter der GranTurismo, Ghibli, Levante und Quattroporte.

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Die Produktionskapazität für den Fiat 500 Elektro liegt bei etwa 80.000 Einheiten pro Jahr, mit der Möglichkeit, diese Zahl bei Bedarf zu erhöhen. Allerdings wurde die Fertigung dieses Modells in den letzten Monaten mehrfach unterbrochen, zuletzt von Ende November 2024 bis Anfang Januar 2025, was auf eine schwache Nachfrage nach Elektrofahrzeugen zurückzuführen ist.

Im Jahr 2023 wurde die Produktion der Maserati-Modelle im Werk Mirafiori bereits für insgesamt 58 Tage ausgesetzt. Diese wiederholten Unterbrechungen spiegeln die aktuellen Herausforderungen wider, mit denen die Automobilindustrie konfrontiert ist, insbesondere hinsichtlich der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen und der globalen Marktbedingungen.

Stellantis, der weltweit viertgrößte Automobilhersteller, verzeichnete im dritten Quartal 2024 einen signifikanten Umsatzrückgang von 27 Prozent auf 33 Milliarden Euro. Dieser Einbruch ist hauptsächlich auf einen Absatzrückgang von 20 Prozent zurückzuführen, was etwa 1,15 Millionen verkauften Fahrzeugen entspricht. Besonders betroffen war der nordamerikanische Markt, wo die Auslieferungen um 36 Prozent sanken. In Europa betrug der Rückgang 17 Prozent. Ursachen hierfür sind unter anderem vorübergehende Produktionslücken, ein schwieriges Marktumfeld in Europa sowie der Abbau hoher Lagerbestände in Nordamerika.